Materialien 1976
Wie sich das Blatt wendet
München (ID) 13. Juli
Am Tag nach Erscheinen des 68. Blattes – am 15. April 1976 – wurde es durch Beschluss des Amtsgerichts München beschlagnahmt. Als Grund dafür gab Richter Zeilinger eine Zeichnung im Anzeigenteil des Blattes an, die eine Person zeigt, die einen Gegenstand wirft – nach Meinung des Richters einen „Molotow-Cocktail“ – daneben steht der Ausspruch „Right on“. In dieser Zeichnung und dem Spruch wurde die Aufforderung gesehen, „dem bezeichneten Beispiel nachzueifern“, d.h. Brandstiftung zu begehen. Strafbar nach § 111,308 StGB.
Gegen den Beschluss wurde am 11. Mai 1976 durch die Rechtsanwälte Arnold und Wolff Beschwerde eingelegt. Die Anwälte stellten fest, dass durch die Zeichnung nicht zu einer bestimmten Straftat aufgefordert wurde, da überhaupt nicht klar ist, ob der angebliche Molotow-Cocktail auf Gebäude oder ins Wasser, einen Sandhaufen oder einen Abfallkübel geworfen werden soll.
Mit gleicher Begründung hätte die Staatsanwaltschaft gleich eine Aufforderung zum Mord oder Totschlag sehen können, da sogenannte Molotow-Cocktails bekanntlich auch gegen Personen eingesetzt werden. Aber solche Spekulationen können und dürfen nicht Gegenstand einer strafrechtlichen Würdigung sein, meinten die Anwälte, die Beschlagnahme sei daher rechtswidrig.
Bei Fertigstellung dieser Dokumentation erreichte die Blatt-Redaktion die Mitteilung, dass die Beschlagnahme von Blatt 68 durch Beschluss des Landgerichts aufgehoben wurde. In Übereinstimmung mit der Beschwerdebegründung der Anwälte führten die Richter Dr. Mayer, Ulrich und Dr. Reichold aus, dass es in keiner Weise erkennbar sei, wohin die Brandflasche fliege oder geschleudert werde. Die Annahme, dass eine Brandstiftung begangen werden solle, sei eine „reine Spekulation“. Außerdem hätten die Worte „Right on“ nur zustimmenden, nicht aber auffordernden Charakter.
Sehr ausführlich setzte sich das Landgericht mit der Körperhaltung des Werfers auseinander und kam zu dem Ergebnis, dass der Molotow-Cocktail gar nicht von der Figur geworfen sein kann, da „allenfalls ein Linkshänder nach dem Wurf die abgebildete Körperhaltung“ einnehmen könnte. Dagegen wiederum spreche aber die Haltung der Beine der abgebildeten Person.
Eine immerhin erfreuliche Entscheidung, zeigt sie doch, dass noch nicht jede Absurdität der Staatsanwälte die Zustimmung der höheren Gerichte findet.
Informations-Dienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten ID 134 vom 16. Juli 1976.