Materialien 1976

Schwarze Sheriffs

Im Anfang wurden sie dazu eingesetzt, das Olympia-Gelände „sauber“ zu halten. Dann wurden sie als U-Bahn-Schutztruppe angeheuert, weil die städtischen Verkehrsbetriebe glaubten, mit Pennern und Schwarzfahrern allein nicht mehr fertig zu werden. Fortan sah man diese Gestalten mit betont arroganter Haltung und baumelnden Colts U-Bahn fahren. Es kam zu Prügeleien, ein Ausländer wurde angeschossen, die Behandlung der „Täter“ war mehr als rüde.

Der Volksmund nennt sie die „schwarzen Sheriffs“ und als Kämpfer für Law + Order fühlen sie sich auch. Längst beschränken sie sich nicht mehr nur auf den ihnen angetragenen Dienstbereich. Wegen „Misshandlung eines Studenten am Sonntag 21. November 1976 in einem Vernehmungsraum im U-Bhf Marienplatz 21.30 Uhr“ wurde gegen zwei von ihnen und einen Zivilbeamten Anzeige erstattet, die so begründet wurde:

Der geschädigte Student, Harry Bunge verließ am Sonntag, 21. November 1976 um 21.30 Uhr das Lokal „Muh“ (Musikalisches Unterholz), Sendlingerstraße, in dem er zuvor öffentlich mit Klavierspiel aufgetreten war, und begab sich ins 1. Untergeschoss U-Bhf-Marienplatz.

Als dort ein Hund nicht mehr aufhören wollte mit kläffen, sagte er im Vorbeigehen zu zwei nebenstehenden „schwarzen Sheriffs“, sie könnten ja wohl den Hund mal beruhigen. Bunge merkte erst eine Minute später, dass beide Männer ihm folgten, da ergriffen diese ihn auch sofort und schleppten ihn auf ein Vernehmungszimmer.

Dort angekommen wurde er an die Wand geworfen und ihm unablässig beim Fragenstellen mit gestrecktem Zeigefinger in den Bauch gebohrt. Entgegen allen Regeln zur Wahrung der Menschenwürde bei Vernehmungen, wurde er nun „abgewatscht“.

Bei seiner Durchsuchung kam auch der Studentenausweis zu Tage und prompt hieß es: „Sowas von Student, rumlungern, Stadtstreicher, müssten wir gleich nach Haar einliefern, unsere Studenten.“

Als dann auch noch seine Zahnbürste in einer Tasche gefunden wurde, steckte man ihm diese kräftig in den Mund, indem er diesen erstmal nochmal abwatschte. Als Bunge Einwand erheben wollte, hieß es: „Noch ein Wort und wir ziehen dir die Vorhaut über den Kopf’ (Liste wird mündlich verlängert.)

Am folgenden Tag erzählte mir Bunge die Sache und ich begab mich mit ihm in den U-Bhf-Marienplatz. In einem Fahrstuhl begegneten wir tatsächlich dem Zivilbeamten vom Vorabend, der Bunge ebenfalls geschlagen hatte. Ich forderte diesen sofort um Angabe seiner Dienststelle auf und um seinen Namen. Dieser jedoch sagte nur „Oh, ab nach Haar mit solchen Leuten, ab nach Haar“ (vermutlich Klinik für psychiatrische Fälle in Haar gemeint).

Der Mann war aber nicht aufzuhalten und ging zum Bahnsteig (S-Bahnen Ostbahnhof). Bis zum Zug rannte ich hinterdrein und forderte energisch seine Identität. Die S-Bahn war aber schon anfahrend, er stieg ein und verschwand. Ich konnte nicht folgen, da ich keine Karte hatte.

Wir ersuchen nun die Staatsanwaltschaft um Ermittlung des Mannes, der offenbar seinen Dienstraum im U-Bhf-Marienplatz hat. Dem MVV in der Einsteinstr. 28 haben wir die gleiche Mitteilung gemacht. Dort werden die Beamten des MVV nämlich koordiniert.

Ist der Mann gefunden, könnten auch die beiden Sheriffs ermittelt werden.

Aus den genannten Gründen wird hiermit Anzeige wegen Misshandlung und Körperverletzung, Beleidigung und Missachtung der Menschenwürde erstattet.

Der Geschädigte: Harry Bunge
Teilzeuge: Alfred Roeck


Blatt Stadtzeitung für München 84 vom 24. Dezember 1976, 17.

Überraschung

Jahr: 1976
Bereich: Bürgerrechte

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