Materialien 1976
Städte zum „Erholungsraum“ erklärt
Zu einer Ausstellung im Münchner Lenbachhaus
In der Städtischen Galerie in München lief die Ausstellung „Erholungsraum Stadt“ an, die danach nach Wien und Zürich gehen soll. Gezeigt wird (in bombastischer Aufmachung) das Ergebnis eines 22.000-DM-Forschungsauftrags des Bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltplanung an ein „interdisziplinäres“ Team unter Leitung von Hermann Grub. Nach CSU-Minister Max Streibl (im Katalog) „… geht es vor allem darum, den verantwortlichen Planern und den betroffenen Bürgern das Konzept einer ,Innerstädtischen Erholungslandschaft’ als notwendigen Beitrag zur Stadtentwicklung näherzubringen und damit langfristig auf eine allgemeine Bewusstseinsänderung hinzuwirken.“ Entgegengewirkt werden soll der „Stadtflucht“ — gemeint ist die Mietervertreibung durch die Spekulanten, aber uminterpretiert als Flucht vor dem Stress. „Wieder aufgebaut“ werden soll die „Erlebnisfähigkeit des Städters“, seine „Sensibilisierung“ (H. Grub). Stadtsanierung: letztlich ein rein subjektives Problem?
Der Ausstellungsbesucher wird mit „Bestandsaufnahmen“, Zahlen, Tabellen, Koordinatenschaubildern, „Computerplänen“ (deren Schraffuren niemand versteht) und mit Fachjargon überwältigt. Dem Bürger, aufgefordert zur „Eigeninitiative“, wird gleich mitgeteilt, man müsse „bei allen Planungsüberlegungen eine gewaltige Fülle von Informationen berücksichtigen“ — und das schafft eben nur der Computer! Dankenswerterweise hat der Siemenskonzern — umweltfreundlich wie er ist, unterstützt er das „Konzept“ — ein kleines Rechenzentrum mitten in die Ausstellung hineingesetzt. Auch die Lufthansa erklärt auf einer großen Tafel: „Unsere Bemühungen zur Verbesserung der Lebensqualität haben uns diesem Projekt der Stadtsanierung nahegebracht.“
Hermann Grub (+ Team) schlägt die Umgestaltung Münchens vor, ausgehend von „Pilotprojekten“ („Stadtoasen“) „grüne Entwicklungsachsen“ anzulegen, mit Spielstraßen für Kinder und Erwachsene, mit Biergärten, Flohmärkten usw. Das sei keineswegs „utopisch“, sondern nahe an der „Realität“. Die erforderlichen Freiräume seien längst vorhanden, der Computer habe sie nun ans Licht gebracht, es sind Hinterhöfe und Privatgärten, Hermann Grub hat sie in den Plänen grün angemalt, und jetzt müssen sie erschlossen werden. Nicht durch Enteignung (Gott bewahre!), sondern durch „Öffentlichkeitsarbeit“. Das haben schon ganze Architektengenerationen vorgeschlagen; sie haben Bäume und Hügel und Brunnen in ihre Entwürfe hineingezeichnet und „Bolzplatz“ oder „Spielen“ oder „Forum“ oder „öffentlicher Kunstraum“ dazugeschrieben (das Team Grub weiß da auch nicht mehr), aber irgendwann hat es irgendein noch nicht sensibilisierter Bauherr herausgestrichen, weil ihm das alles keinen Gewinn bringt, oder er hat die Kosten auf die Mieten umgelegt, und dann sind die Kinder und die „Senioren“ ausgezogen, für die man das alles sich ausgedacht hat. Jeder Architekturstudent lernt heute im Fach Städtebau, die öffentlichen Grünflächen möglichst klein zu halten, weil die Gemeinden kein Geld für den Unterhalt haben. Wenn es ihm gelingt, das ganze Gelände in private Grundstücke aufzuparzellieren, bekommt er eine Eins. Und da sollen auf einmal die Innenhöfe für die Öffentlichkeit zugänglich werden (wer zahlt übrigens die dann erforderlichen Tiefgaragen?), da wird für ein bisheriges Teppichlager z. B. „eine Nutzung ähnlich der Hamburger ,Fabrik’“ vorgeschlagen, da soll eine Villa „für eine Kulturstiftung ähnlich der Villa Massimo in Rom genutzt“ werden. Die Einbeziehung „bisher privater Grundstücke und Gärten“ in Fußgängerzonen werde „dadurch ermöglicht, daß die Grundstücksgrenzen zu Wegen ausgebaut, das Innere der Gärten durch lebende Zäune gegen Passanten abgeschirmt wird“.
Mit der CSU des Max Streibl und mit den Herren von Siemens geht da nichts zu verwirklichen. Und die Allianz AG wird sich auch nicht freiwillig einen „Kettenpark“ durch den Hinterhof legen lassen, wo sie ihr Rechenzentrum plant. Das Gelände des Leopoldparks — bei Grub grün gemalt — ist die CSU-Regierung jedenfalls wild entschlossen mit Hochschulbauten zuzupflastern — gegen alle Proteste der darum wohnenden Bürger.
Die Ausstellung ist nicht mehr als Dekoration zur Bonner Bodenrechtsreformpleite. Sie verschweigt nicht nur, wer hier die Städte so unmenschlich macht und was die Bewohner dagegen tun können, sie macht den Besuchern nicht einmal den Mund wässrig nach realen Veränderungen. Wer so viel „Wissenschaftlichkeit“ finanziert, ausgebreitet in vielen Fotos, Plänen und Modellen, aufgehängt an chromglitzernden Gestängen, dem muss man einfach glauben, dass alles nur eine Frage einer „langfristigen allgemeinen Bewusstseinsänderung“ ist. Wer würde da nicht im „Besucherfragebogen“ beide Kreuzchen machen bei der Frage 8:
Würden Sie zur Gestaltung und Unterhaltung Ihres Hinterhofs beitragen?
durch persönliche Mitarbeit 0
durch finanzielle Leistungen 0
Zurückgekehrt in die alltägliche Wohnumwelt wird freilich mancher Ausstellungsbesucher seinen Nachbarn fragen, wann die Bürgerinitiative des Viertels ihre nächste Aktion gegen Mietwucher und öffentliche Gebührenerhöhungen, für die Schaffung eines Kinderspielplatzes oder gar für eine demokratische Kontrolle der Stadtsanierung macht.
Werner Marschall
tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 107 vom Mai/Juni 1976, 62 f.