Materialien 1976
Zeitliches aus München
Die Szene war gespenstisch: kahle Alleebäume an der Münchner Würmtalstraße waren in schwarze Folie eingewickelt, verschnürt, an den Ästen schwankten glänzende Plastik-Fetzen leicht im Dezemberwind, augenfälliger Protest Münchner Bürger gegen das von der Stadtverwaltung geplante Abholzen von 130 Bäumen.
Damals, im Dezember 1974, reagierten Oberbürgermeister Georg Kronawitter und seine 80 Stadträte empfindlich. Die Bäume blieben. Die Naturschützer hatten gesiegt.
Seither hat die Münchner Verwaltung eine Baumschutz-Ordnung verabschiedet. Dabei war vorgesehen, dass Bäume, die in einem Meter Höhe einen Umfang von 65 Zentimetern aufweisen, nicht mehr ohne Genehmigung gefällt werden dürfen. Heftiger Protest von Seiten der Bauverwaltung war die Folge – angeblich standen nicht genügend Beamte zur Verfügung, um die Einhaltung dieser Vorschrift zu kontrollieren. Hinzu kam noch, dass die Stadt eine Welle von Entschädigungsforderungen befürchtete: Der geschützte Baumbestand hätte bestehendes Baurecht vor allem in Münchens „grünen Vororten“ Nymphenburg, Solln, Harlaching und Pasing drastisch eingeschränkt.
So stimmen denn auch die Klagen überlasteter Beamter und die Furcht vor teuren Prozessen Georg Kronawitter um. Dabei hatte dieser noch am 16. Mai 1975 im Plenum des Münchner Stadtrates erklärt: „Alle Anstrengungen, mehr Grün in München wieder heimisch zu machen, sind illusorisch, wenn es nicht gelingt, das nachgerade rücksichtslose Abholzen zum Zwecke einer exzessiven baulichen Ausnutzung von Grundstücken auf ein vertretbares Maß zurückzuführen.“
Doch Kronawitter gab dem Druck der städtischen Beamten nach, und so beschloß der Stadtrat, dass in München nur noch im Zentrum Bäume von über 85 Zentimetern Umfang unter Schutz stehen. Als Folge des langen Gerangels blieb natürlich nicht aus, dass Bauherren noch kurz vor der Verabschiedung der Baumschutz-Ordnung im vergangenen Jahr auf ihren Grundstücken schnell abräumten.
Der Baumstreit hatte auch seine guten Seiten: Die Münchner kämpfen seither um jeden einzelnen Baum, der den Sägen zum Opfer fallen soll. Dies zeigt sich jetzt auch bei der Bebauung des Leopoldparkes in Schwabing: Während die Universität nach einem Beschluss des Landtages vorerst keinen Erweiterungsbau aufziehen darf, besteht das erzbischöfliche Ordinariat auch weiterhin auf seinem Baurecht und will sein Grundstück abholzen. Dagegen wenden sich bereits die Naturschützer und eine Bürgerinitiative. Sie fordern die katholische Glaubensoberen auf, die Expansionspläne zu vertagen (was bei den zahlreichen Kirchenaustritten in München gar nicht unvernünftig klingt) und den Leopoldpark sofort für die Öffentlichkeit freizugeben.
Noch sind die Kirchen-Repräsentanten dazu nicht bereit, obwohl sie von den Baum-Verteidigern daran erinnert werden, dass sie auch eine Verpflichtung gegenüber den lebenden Gläubigen haben: Immerhin produziert eine 25 Meter hohe Buche innerhalb einer Stunde den Sauerstoff-Tagesbedarf für drei Menschen. Und im Leopoldpark stehen einige Buchen … L.M.T.
Die Zeit 28 vom 2. Juli 1976.