Materialien 1976

„Freier“ Wohnungsmarkt ab Januar

Nun ist es also soweit! Auch Die Altbau-Wohnungen – und das sind in Stadt und Landkreis München gar nicht wenige – werden dem freien Wohnungsmarkt preisgegeben. Ab 1. Januar 1977 dürfen die Vermieter auch hier voll zulangen.

Begründung: Die soziale Marktwirtschaft soll auch da (preistreibend) wirken dürfen, wo bisher der Staat seine Bürger vor zu großer finanzieller Belastung schützen zu müssen glaubte. Angeblich stehen jetzt nämlich genügend Wohnungen zu Verfügung. Zu den „Wohnungen“ zählen dabei natürlich auch solche lärm- und benzingefüllten Löcher wie in der Landshuter Allee und anderen Durchgangsstraßen. Ganz so leicht wird’s mit der Mieterhöhung aber nicht gehen, wenn man sich nicht alles gefallen lässt.

Ab 1. Januar 1977 kann der Vermieter die Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete verlangen, wenn die Miete seit einem Jahr unverändert ist und die verlangte Miete die sog. ortsübliche Vergleichsmiete nicht übersteigt. (Dies und alles folgende gilt übrigens auch für die Mieten von Neubauten, außer Sozialwohnungen). Was die ortsübliche Vergleichsmiete jeweils ist, ist schwierig zu sagen. Die vergleichbaren Wohnungen, für die nach Meinung des Vermieters bereits eine höhere Miete verlangt wird, müssen sich in München befinden. Weiter müssen ungefähr gleich sein: Größe, Erhaltungszustand (Baujahr), Ausstattung, Lage (Gartenbenutzung), Abschlussdatum des Mietvertrags (!).

Die Mieterhöhung muss schriftlich verlangt und begründet werden. Dabei muss der Vermieter mindestens drei Vergleichswohnungen angeben, bei denen angeblich schon höhere Miete verlangt wird. Der Vermieter muss wenigstens den Mieter, die Anschrift, die Grundmiete und die Größe der Vergleichswohnung angeben. Sonst ist sein Erhöhungsverlangen unwirksam.

Schließlich darf’ er auch keine Wohnungen zum Vergleich anbieten, die ihm selbst gehören. Einen sogenannten Mietspiegel gibt es in München noch nicht.

Der Mieter hat jetzt eine Überlegungsfrist bis zum Ablauf des nächsten Monats, also mindestens einen Monat. Er kann sich jetzt über die Vergleichswohnungen informieren, allerdings kann er von den „Vergleichsmietern“ keine Auskunft oder Zutritt zur Wohnung verlangen, wenn diese nicht wollen. Wichtig ist vor allem zu erfahren, ob die Mietverträge vor dem 1. Januar 1975 abgeschlossen worden sind oder danach. Beim Abschluss von neuen Mietverträgen brauchten sich nämlich die Vermieter schon seit 1. Januar 1975 nicht mehr an die alten Vorschriften über Altbauwohnungen zu halten. Seit 1. Januar 1975 können die Vermieter bei allen Wohnungen (außer Sozialwohnungen) Mieten verlangen, wie sie wollen. Nur abnorm hohe Mieten gelten als „sittenwidrig“ und damit unwirksam. Wer also seinen Mietvertrag vor dem 1. Januar 1975 abgeschlossen hat, ist noch einigermaßen gut dran. Der Vermieter kann nämlich keine Altbauwohnungen mit den neuen Mietverträgen zum Vergleich anbieten.

Viele Vermieter haben vor dem 1. Januar 1975 mehr Miete verlangt, als damals zulässig war. Auch solche „Vergleichswohnungen“ darf der Vermieter nicht anbieten. Entsprechende Auskünfte gibt das Amt für Wohnungswesen, Burgstr. 4, Tel. 215/8402.

Wenn man feststellt, dass das Erhöhungsverlangen des Vermieters diesen ganzen Voraussetzungen nicht entspricht, z.B. die Wohnung ist nicht vergleichbar, braucht man an sich gar nichts zu tun. Der Vermieter kann dann innerhalb von zwei weiteren Monaten eine (erfolglose) Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung beim Amtsgericht erheben. Man kann dem Vermieter aber auch innerhalb der Überlegungsfrist mitteilen, dass man sein Erhöhungsverlangen für nicht wirksam hält. Dann geht das ganze von vorne los, auch die Überlegungsfrist. Auf jeden Fall, also auch wenn man dem Erhöhungsverlangen innerhalb der Überlegungsfrist zustimmt, schuldet man die Miete erst vom Beginn des 4. Monats an, also mindestens drei Monate Zwischenraum zwischen dem Erhöhungsverlangen und der neuen Miete.

Leider gibt es auch noch andere Tricks, die Miete zu erhöhen, z.B. bei Erhöhung der sog. Betriebskosten (Heizung, Wasser usw.) und bei Renovierungen. Dazu gehören der Einbau von Bad, Küche, Zentralheizung, Anschluss an Fernheizung usw. Hier kann der Vermieter durch einseitige Erklärung (mit Begründung und Berechnung) die Miete erhöhen, und zwar ganz saftig. Von den anteiligen Kosten kann er vierzehn Prozent auf die Jahresmiete der jeweiligen „verbesserten“ Wohnung draufschlagen. Man muss sich solche Berechnungen ganz genau ansehen, Reparaturen und bloßer Ersatz müssen nämlich nicht bezahlt werden. Hier gibt es auch keine Überlegungsfrist. Allerdings muss man sich nicht gefallen lassen, dass der Vermieter plötzlich aus einem alten Loch eine Nobel-Herberge macht.

Bis jetzt ist mit Modernisierungen nicht weit hergewesen. Weil aber ab 1. Januar 1977 der freie Markt herrscht, werden endlich auch die Altbauten profitabel. Auch eine Reform: Sechs Prozent mehr Lohn und hundert Prozent mehr Miete.

Übrigens scheint sich immer noch nicht genügend herumgesprochen zu haben, dass ein Vermieter nur ausnahmsweise bei sogenannten berechtigten Interessen kündigen kann.

Nachdem mal wieder die „armen Hausbesitzer“ unterstützt werden, (ca. 3/4 der Leheler Häuser gehören Löwenbräu, der Münchner Rückversicherung und der bayr. Versicherungskammer), haben wir im Lehel eine Bürgerinitiative gegründet. Wir finden, dass die Mieten in den 3.500 Altbauwohnungen im Lehel sowieso schon zu teuer sind und wir meinen, dass man schon was gegen die Mieterhöhungen machen kann.

Laut „Wirtschaftswoche Nr. 46“ vom 12. November 1976 steht der Münchner Durchschnittspreis für 1 qm Altbauwohnung mit DM 4,50 an vierthöchster Stelle im Bundesgebiet. Unser Antrag in der Bürgerversammlung Lehel an den Stadtrat den Bundestag aufzufordern, den Grauen Kreis bis 31. Dezember 1979 zu verlängern, ist durchgekommen – ebenso wie in anderen Stadtteilen (Haidhausen, Schwabing, Neuhausen, Altstadt). Aber da wir die „Reaktion“ des Stadtrats auf Anträge aus der Bürgerversammlung kennen, bauen wir auf unsre eigene Empörung. Wir sammeln Unterschriften im Lehel, um sie dem Bundestag direkt zu überreichen und fordern die anderen Stadtteile auf, sich uns bei dieser Aktion anzuschließen, weils nicht nur im Lehel Altbauwohnungen gibt. Außerdem werden wir wahrscheinlich eine eigene Bürgerversammlung fürs Lehel organisieren.

Stadtteilgruppen oder Bürgerinitiativen sollen sich bei uns melden.

Jetting-Müller-Luber, Thierschstr.12, Tel 292898
Angela Dahl, Ländstr. 4, Tel 298876


Blatt Stadtzeitung für München 82 vom 26. November 1976, 10 f.

Überraschung

Jahr: 1976
Bereich: Stadtviertel

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