Materialien 1976

Protest-Studenten

Studenten protestieren wieder! – Ich nehm’s erfreut zur Kenntnis, reib mir die Hände und denk an APO, Sit-In und Teufeleien. Nach dem Händereiben mach ich mich an die Brille; seh’ klarer: Pro-
teststudenten sind’s, die heute gegen den Abbau ihrer Privilegien angehn. Sie gehen’s gemächlich an, und vor allem auf dem Boden der Freiheitlich Demokratischen Grundordnung. Wie alles an-
fing: Am Montag der vergangenen Woche ging ich mal zur Fachschaftsratsitzung des Fachbereichs 11. Ein bisschen irritiert steh ich dort rum, krieg aber dann doch so mit, dass es mit der einheitli-
chen Meinungsbildung happert. Es wird nicht klar, ob alle streiken oder nur ein Teil der Münchner Fachhochschulen und was mit der Stiftungsfachhochschule ist, weiß zu diesem Zeitpunkt der Hen-
ker. Nächstes Date war am Mittwoch in der Dachauer. ’ne Menge Leute standen rum, so an die Achthundert über den Daumen. Der KSV malte seine Forderungen auf die Tafel: Nieder mit der Politischen Unterdrückung in beiden Teilen Deutschlands. Weg mit dem Berufsverbot für RA Gildemeier, etc. etc. … Dafür forderte der MSB etwas realistischer: Bafög rauf auf mindestens
DM 660. Wiedereinführung der verfassten Studentenschaften. Nieder mit dem HRG, etc., etc. … Dagegen wünschte sich der RCDS keine Streiks und ’ne ordentliche Demo auf dem Boden der FDGO.

Die Urabstimmung erbrachte ein eindeutiges Votum für den Streik. Die Parolenauseinandersetzung entschied der AStA für sich.

:: Erhalt der verfassten Studentenschaften.

:: Weg mit dem Ordnungsrecht, Raum- und Büchertischverbot.

:: keine Beschränkung des Übertritts von Fachhochschule an Unis.

:: Sicherstellung eines kostendeckenden Bafög.

:: Weg mit dem Hochschulrahmengesetz.

Am Donnerstag, so nach Mittag machte ich mich auf den Weg zum Unibrunnen, von wo aus die gesamtbayrische Demo abging. Bis zum Sendlinger Torplatz ging’s gemächlich zu, fand ich, und wärmte mich an dem Gedanken, wieder mal einer von gut 7000 Demonstranten zu sein. Am Sendlinger Torplatz so beim Warzenbene, hörte ich das erste Gerücht über die Festnahme eines Mädchens und der ED-Behandlung auffälliger Demonstranten; über eine Schlägerei zwischen KSV und MSB. Wobei’s dem MSB klar darum ging, die Demo möglichst ruhig und ohne Auseinander-
setzungen mit den staatlichen Ordnungskräften zu gestalten. Aufgrund dieser Intention brachten sie auch gleich ihre eigenen Ordner mit. Erkenntlich an den weißen Armbinden, der Hiwi-Schleife. Worum’s dem KSV eigentlich ging, außer dem MSB aufs schärfste entgegenzutreten, konnte ich nicht ausmachen. Dagegen stach mir in’s bebrillte Auge, dass die relativ kleine Gruppe des KSV von den übrigen durch eine Polizeikette abgeschirmt war. Zu ihrem Eigenschutz oder weil’s noch keine eigenen Ordner haben, is’ mir nicht klar geworden. Von den Reden bekam ich überhaupt nix mit, weil weder das Megaphon noch die Lautsprecheranlage zu verstehen war. Aber vielleicht kann ich das die nächsten Tage irgendwo nachlesen. ’n Anflug von Phantasie brachten die Aubinger ein. Sie schleppten einen Sarg mit, um auch optisch klarzustellen, dass die Lernfreiheit jetzt ganz ausgestorben ist. Oder sollte der Sarg gar das Ableben jeglicher politischer Auseinandersetzungen signalisieren.

1 Protestant


Blatt — Stadtzeitung für München 83 vom 10. Dezember 1976, 13.

Überraschung

Jahr: 1976
Bereich: StudentInnen