Materialien 1977

Knatterminen

Als Einleitung sollte hier stehen: Warum geht die Linke nicht ins Theater? Aber woher soll ich das wissen? Tatsache ist, dass die Linke alternative Theaterproduktionen im Gegensatz zu Film und Musik höchstens am Rande wahrnimmt. Der fehlende Bezug vom Blatt auf die Münchner The-
aterszene ist nur ein Beispiel dafür.

So konnten sich die „Knatterminen“, eine neue Münchner Theatergruppe, auch nicht gerade über massenhaften Zulauf beklagen. Schade, denn wer noch träumen kann und will, wer in politischer Arbeit auch den Spaß sieht, für den/die hätte sich der Besuch im Theater k sicherlich gelohnt. „Auf der Hatz“ heißt die Polit-Revue der Knatterminen, wobei mir das Wort Polit-Poesie viel besser ge-
fallen würde, weil es keine Assoziationen in Bezug auf den Bierernst mancher Polit-Revuen zulässt. Polit-Poesie, das heißt: die Phantasie an die Macht, weg von der linken Flugblattsprache, weg von den Abstraktionen, in denen wir selbst nicht mehr vorkommen, hin zu einer Poesie, die die Utopie eines besseren Lebens ahnen lässt.

Wir werden verunsichert, wenn wir mit den Erwartungen an ein politisches Theater im Zuschauer-
raum sitzen und zunächst ein Märchen hören und sehen, wobei das Gefühl des Verzaubertwerdens, des Abhebens aus dem Hier und Jetzt zusammenfällt mit der Verwirrung darüber, dass das doch wohl nichts politisches sei?!? Aber dann wird uns klar, dass uns selbst unsere Träume genommen werden sollen, dass sie (nicht nur, aber auch) in CSU-Wahlschriften pervertiert werden zum Mär-
chen von der Anarchistenprinzessin, daß Hetze und Hatz nicht nur auf dem Niveau der Bildzeitung stattfinden.

Bundesdeutsche Realität – ein Gruselkabinett? Tatsächlich, mir ist es ziemlich kalt den Rücken hinuntergelaufen, als die Herren Strauß, Kohl, Schmidt, Genscher, Schreiber, Schwarz, auf der Bühne gezeigt wurden. Der Wirklichkeit wurde die Maske heruntergerissen. Da fehlten auf einmal das flotte Politikerlächeln und der sonore Klang in der Rednerstimme, das was dahintersteckt, wurde in Bilder, in Bewegungen umgesetzt und machte so die Brutalität der Aussagen erfahrbar. Gleichzeitig aber sahen viele Zuschauer nur noch das Spiel, sie weigerten sich, die wirklichen Reden als wirklich hinzunehmen.

Natürlich sind die Maschinenpistolen, die ein Schreiber auf der Bühne in Bewegung setzt, in Wirklichkeit nicht so laut, sie sind so leise, dass wir sie überhören können. Die grausige Fröhlich-
keit eines Empfangs des BKA in Wiesbaden, die bedrohliche Lustigkeit einer Büttenrede des In-
nenministers Schwarz von Rheinland-Pfalz, sagen viel über die versteckte Repression, die wir täglich erfahren und oft zu vergessen suchen. Doch da wird auch gezeigt, dass wir uns wehren um zu überleben, dass unser Leben, unsere Fröhlichkeit eine andere Qualität hat. Zwei Leute die Plakate kleben

mit an Eima voi Leim
und an Malerwaschi,
a Flaschn Wein
und zwoa lustige Leit,
mia lassa uns net untagriang
von nun an und in Ewigkeit.
(Lied aus dem Stück)

Mir hat dieser erste Versuch der Knatterminen (Amelie, Barbara, Fritz, Hoschi, Ingo, Moran) in einer Theaterproduktion Sinnlichkeit und politische Aussage miteinander zu verbinden, unheim-
lich gut gefallen. Ihr Spaß am Selbstgemachten wird zum Ausdruck dafür, dass das „sich wehren“ nicht nur aus der objektiven politischen Notwendigkeit kommt, sondern zugleich die Chance ist, ein besseres Leben nicht nur als Utopie zu begreifen. Die Buntheit, der Einfallsreichtum, die Poesie dieser Revue zeigen uns, wie viel Möglichkeiten wir haben, wenn wir anfangen uns zu entdecken, und wie simpel, weil nur gewalttätig und grausam, die Herrschenden selbst noch in ihren Festen sind. Die Knatterminen vermitteln ein Stückchen Mut, das wir brauchen um weiterzumachen. Und doch ist es ein Stück nicht nur für die Szene. So wie wir uns in einzelnen Szenen wiederfinden, so können auch andere uns erfahren; ein Versuch, das Bild des Terroristen, des Anarchisten, des Un-
geheuers aufzubrechen und zu zeigen, daß die Gewalt nicht von dieser Seite kommt, sondern in den Richterstuben sitzt, in den Polizeipräsidien, in den Regierungssälen.

Die Knatterminen spielen ihr Stück ab 23. Februar 1977 bis 28. Februar 1977 im Theater k. Danach wollen sie im Stadtteilzentrum Milbertshofen etwa zweimal in der Woche auftreten und von dort aus weiter Theater als Teil der Stadtteilarbeit machen. Unter dieser Adresse sind sie auch zu errei-
chen, wenn Leute von außerhalb an einem Gastspiel oder sonstwie interessiert sind.

Sigi


Blatt – Stadtzeitung für München 88a vom 18. Februar 1977, 22.