Materialien 1977
Leserbrief von einem Bullen (?)
Ich mag Rumgammeln, Popmusik, das Blatt u.v.a. unheimlich gern, obwohl ich einer von den anderen bin. Ich hätte auch gerne wieder lange Haare und vielleicht ‘nen anderen Job. Hatte auch früher mal gekifft und bin heute noch fleißig im Rock/Jazz tätig, aber ich bin trotzdem einer von den anderen, und das stinkt mir manchmal. Es gibt zu viele Leute, die genauso, aber ganz genauso bevorurteilt kritisieren wie Kollegen meiner Berufsbranche. Ich bin Polizist. Ich hasse viele meiner Arbeitspartner, da sie tatsächlich oft so sind, wie sie allgemein beschrieben werden. Aber es gibt auch welche, die in Ordnung sind, schwer in Ordnung. Die treten aber in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung, da sie eben gute Polizisten sind und nicht das, was die Bevölkerung zum Schimpfen, Schwätzen oder Ratschen braucht. Bemerkt wird nur der Scheiß-Bulle, der Schläger, das Fies-Maul und der Arrogantling (die es ja leider alle zur Genüge gibt). Dass ich keiner von denen bin, erlaube ich mir zu sagen. Deshalb betrübt oder ärgert es mich oft auch maßlos, wenn sich Leute ohne begründeten Anlass in Beschimpfungen und Beleidigungen hineinsteigern, obwohl der gegenüberstehende Polizist vielleicht den gleichen Charakter besitzt wie der Schimpfende und sich vielleicht selber fragt, warum er hier überhaupt eine Absperrung vornehmen muss (Pink Floyd Konzerte in München). Dass es für einen Polizisten nicht leicht ist, Leute aufzuschreiben, die eigentlich Gleichgesinnte sind, das dürft ihr mir glauben. Warum ich sie dann überhaupt aufschreibe? Weil es gewisse Richtlinien gibt, die ich einhalten muss, um nicht selber die Schaufel draufzukriegen. Warum ich dann überhaupt dabei bin? Das frage ich mich auch manchmal. Doch ich habe nicht vor, länger in diesem niedrigen Niveau der Schutz(?!)-Polizei rumzukrebsen. Will jetzt dann zur Kriminalpolizei, um echte Sachen zu bearbeiten. Es ist wirklich traurig, wie viele Leute die Polizei einfach so, ohne Anlass, wirklich nur so anfegen und sich dann selber aufregen, die Polizei sei durchwegs gemein, ein aus rücksichtslosen Rüpeln bestehender Verein, der nur dafür lebt, den Leuten auf der Straße ihre momentane Machtstellung zu beweisen oder sie solange zu provozieren, bis sie ihre Machtstellung ausnützen können. Aber es gibt auch Bullen, die o.k. sind, leider zu wenig, die sich daher auch meist nicht kennen, um vielleicht eine „Guter-Bulle-Aktion“ zu starten. Noch was: es ist dann auch nicht für die guten Bullen leicht, ihren ohnehin tatsächlich sehr stressreichen (lacht ruhig, aber ich weiß es besser; es stimmt echt) Dienst zu verkraften, wenn sie beispielsweise hinter eine KKW-Absperrung gestellt werden und hier gefälligst aufpassen sollen, dass keiner drübersteigt, und im Grunde genommen selber gegen KKW’s sind. Überlegt Euch doch das vielleicht mal auch anhand anderer Beispiele und denkt mal an diesen Brief, wenn ihr wieder mal mit der Polizei zu tun habt.
Blatt – Stadtzeitung für München 92 vom 22. April 1977, 53.