Materialien 1977
Sog. Bank-Lady
Polizei
Die Kindergärtnerin Margit Czenki, die 1971 eine Bank ausraubte, tut sich nach fünf Jahren Haft mit dem Alltag schwer: Für Polizei, Arbeitgeber und Vermieter bleibt sie die linke „Bank-Lady“.
Die Kreuzung Milch-/Keller-Straße im Münchner Sanierungsviertel Haidhausen scheint für die Polizei eine heiße Ecke zu sein. Immer wieder tauchen da zivile oder uniformierte Streifen auf, die angestrengt den Laden mit der aufgemalten großen Sonne gegenüber der Gaststätte „Ansbacher Schlößl“ observieren.
Denn hinter der Schaufensterscheibe waltet eine polizeibekannte Person: die Kindergärtnerin Margit Czenki, 35, die 1971 zusammen mit drei Komplizen – darunter dem heute steckbrieflich gesuchten Terroristen Rolf Heißler – eine Münchner Bank ausgeraubt hat (Beute: 54.382,66 Mark).
Sie wurde damals zu sechseinhalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt und vor zwei Jahren auf Bewährung freigelassen – obschon sich das Oberlandesgericht in seinem Beschluss durchaus bewusst war, dass „die Anhörung der Verurteilten keine Zweifel daran gelassen hat, dass ihre politische, als Tatmotiv dienende Grundüberzeugung von der Ungerechtigkeit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung im wesentlichen uneingeschränkt fortdauert“. Trotz unveränderter politischer Grundhaltung ist der Kindergärtnerin allerdings seit der Haftentlassung „klar, dass ich nicht mehr in den Untergrund gehe“. Auch hat sie auf jeden „Avantgarde-Anspruch“ verzichtet und will hinfort nur noch „mit Menschen, nicht für Menschen was machen“. Sie möchte „die Knastmacken aufarbeiten“ und „wieder so ein bisschen wie früher werden“.
Dies freilich wird ihr von Polizei und sonstigen Behörden ziemlich schwer gemacht; sie wird ständig mit Ermittlungsverfahren, voreiligen Beschuldigungen, Hausdurchsuchungen und Observationen traktiert. Czenki-Anwalt Hans-Peter Meier: „Sie ist ein billiges, identifizierbares Opfer, das man jagen und fangen kann.“
Im April 1977, kurz vor dem Urteil im Baader-Meinhof-Prozess, wurden Margit Czenkis Wohnung, Arbeitsplatz und Kneipe rund um die Uhr von Polizeieinheiten überwacht. Als sie zusammen mit anderen gegen die Dauer-Observierung protestierte und dabei Flugblätter verteilte („1 Woche Polizeistaat“), wurde sie sogleich festgenommen und dann auch noch vom Polizeihund Cäsar zweimal gebissen. Vom Hundeführer hörte sie nur: „Der braucht auch mal was Knackiges.“
Zur optischen Beobachtung durch die Polizisten vorm Haus gesellt sich zumindest zeitweilig die akustische durch behördliches Abhören des Telephons – wie Margit Czenki hinterher erfährt, wenn wieder mal eines der zahlreichen Ermittlungsverfahren eingestellt wird.
Auch Margits Mutter, Angestellte im Stuttgarter Regierungspräsidium, und sogar die 90jährige Großmutter wurden schon von Polizeitrupps heimgesucht – in der Wohnung wie am Arbeitsplatz. Margit Czenki: „Sechs schwerbewaffnete Polizisten standen um meine kleine alte Oma rum, die überhaupt nimmer wusste, was los ist.“
Die Macht der Polizei reicht offenbar über die Grenzen hinaus. In Zürich wurde Margit Czenki zu Pfingsten unversehens wegen Verdachts des Rauschgift- und Waffenschmuggels auf offener Straße verhaftet und nach sechs Tagen im Gefängnis als „unerwünschte Ausländerin (im Ausland schwer vorbestraft)“ abgeschoben. In Kreta, wo sie Urlaub machen wollte, bekam sie kaum ein Bein auf den Boden, als sie schon ins nächste Flugzeug Richtung Heimat bugsiert wurde. Margit Czenki: „Die haben ihre Drähte überallhin.“
Daheim in der Republik sieht sich die ehe- und einmalige Bankräuberin ohnehin „in die alte Mühle zurückgedrängt“ und mit „Repressionsmüll“ überschüttet. Als unlängst von Unbekannten in ein Filmtheater, das den Hitler-Film von Fest spielte, ein Molotow-Cocktail geworfen wurde, fahndete die Polizei wie selbstverständlich bei Frau Czenki, weil ihr eine solche Tat „eben zuzutrauen“ sei (so der ermittelnde Kriminalhauptkommissar Albert Pschorr).
Als sich Margit Czenki mit einer Beleidigungsklage zur Wehr zu setzen versuchte, gab Polizist Pschorr achselzuckend zu Protokoll: „Jedermann weiß doch, dass es sich bei Frau Czenki um die sogenannte Bank-Lady handelt.“
Das Ermittlungsverfahren gegen den Beamten wurde eingestellt, und die Staatsanwältin Helga Einhauser bekräftigte noch einmal, die wegen eines politisch motivierten Verbrechens der Schwerkriminalität Vorbestrafte müsse es halt „hinnehmen, dass die Polizei sie bei Vorliegen auch keineswegs dringender Verdachtsmomente … zunächst einmal in den Kreis der Tatverdächtigen einer politisch motivierten Gewalttat aufnimmt, mit anderen Worten ihr die Tat ‚zutraut’“.
Die Kinder in ihrem Laden verteidigen ihre Bezugsperson noch in ungelenken Zeichnungen und Schriften vor den „grünen Ungeheuern“, die „im purpurnen Dunst lauern“ und das „Weiße in den Radieschen schwärzen“ wollen.
Doch im sonstigen privaten Bereich von Margit Czenki blieben die Polizeiaktionen und die öffentliche Berichterstattung darüber nicht ohne Folgen. Ihr geschiedener Ehemann versucht das Besuchsrecht des mittlerweile 13jährigen Sohns Carol unter Hinweis auf abträgliche Berichte in den Zeitungen zu verkürzen.
Der Inhaber eines Reisebüros, wo Frau Czenki früher arbeitete, kündigte den Job, nachdem ihn „zwei Herren in Zivil“ besucht hatten. Und der Vermieter ihrer Wohnung in der Münzstraße schrieb unter Berufung auf die Massiv-Überwachung durch die Polizei, aber auch „im Hinblick auf die letzten Gewaltverbrechen in der BRD“ letzten Monat seinen Kündigungsbrief: „Da es sich hierbei um eine kriminelle Person mit Bewährung (sog. Bank-Lady) handelt, sehen wir uns gezwungen, mit Rücksicht auf die anderen Hausbewohner und das nebenan befindliche Hotel, den sofortigen Auszug von Frau Czenki zu verlangen.“
„Wenn man mal ’ne Bank gemacht hat, dann bleibt man ’ne Bankräuberin und sonst gar nichts“, erkennt Margit Czenki, die schon letzten März wegen eines Selbstmordversuchs mit Schlaftabletten ins Krankenhaus gebracht wurde, immer deutlicher. „Ich sehe fast keine Möglichkeit mehr, davon runter zu kommen.“
Dabei ist sich die Kindergärtnerin klar, dass sie einen Großteil der Verfolgungen und Beobachtungen ihrer politischen Tatmotivation zu verdanken hat: „Hätte ich die Bank ausgeraubt und mir von dem Geld ‘nen Nerz gekauft, dann hätt’ ich heute meine Ruh’.“
Doch es geht nicht nur um Ruh’ und Ruf allein. Jedes der gegen sie schwebenden Ermittlungsverfahren kann zum Widerruf der Bewährung führen, der von der Staatsanwaltschaft bereits beantragt wurde, also dazu, „dass ich wegen irgend so einem Dreck wieder rein muss“ (Czenki) – für die noch offenen, zur Bewährung ausgesetzten zwei Jahre.
Der Spiegel 2 vom 9. Januar 1978, 52 ff.