Materialien 1977

Dagegen leben

Margit Czenki, Mitarbeiterin beim Münchner BLATT und außerdem noch in einem Schülerladen tätig, war 1971 wegen Bankraubs zusammen mit Rolf Heissler und Roland Otto zu 6½ Jahren verurteilt worden. Nachdem sie fünf Jahre abgesessen hatte, wurde sie vor zwei Jahren auf Bewährung entlassen. Nun läuft ein Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der Bewährung. Er wird begründet:
1.) mit einer Verurteilung wegen dem Kleben von Plakaten für die Theatergruppe „Rote Rüben“,
2.) mit ihrem formalen Verhältnis zu ihrem Bewährungshelfer,
3.) mit einem laufenden Verfahren, wo es bis jetzt erst die Anklageschrift gibt.

Während einer fünftägigen offenen Tag-und-Nacht-Überwachung im Mai 1977 protestierten die Betroffenen vorm Amtsgericht München gegen diesen Terror. Provoziert durch eine willkürliche Festnahme der Polizei, kam es zu Schlägereien; 5 Leute wurden festgenommen und haben ein Verfahren wegen Widerstand, Beleidigung, Körperverletzung, versuchter Gefangenenbefreiung, Vortäuschung einer Straftat. Als Margit schon festgenommen war, wurde noch der Polizeihund Cäsar auf sie gehetzt, der ihr zwei Verletzungen beibrachte.

Wer die Diskussion über die Sicherungsverwahrung verfolgt, weiß, dass für politisch motivierte Gefangene, die jetzt reinkommen oder drin sind, die Gefahr besteht, nicht mehr heraus zu kommen. So auch für Margit.

Fünf Jahre war ich im Frauenknast Aichach. Dann kam ich Weihnachten vor zwei Jahren – für mich überraschend – heraus. Da konnte ich keinen Badeofen mehr in Gang kriegen, keinen Herd mehr bedienen, kriegte mit Maschinen und Einrichtungen, von denen ich nicht von vornherein begriff, wie sie funktionierten, eine Panik und ließ es dann erstmal, sie zu benützen. Die U-Bahn gab’s damals noch nicht, wie ich reinkam, – sie machte mir Angst: diese getäferten Schächte, diese Löcher kamen mir wie Folterkeller vor, aus denen ich nie mehr rauskäme. Beim Über-die-Straße-gehen mußte ich mich irre konzentrieren; ich konnte nimmer abschätzen, wie schnell ein Auto rankommt und ob ich noch rüberkomme,- es ist, wie wenn du einen trip schluckst und Entfernungen, Zeit, Geschwindigkeit unberechenbar werden, wegflutschen. Auf dem Marktplatz in Stuttgart stand ich: viele Leute um mich herum, mit entmenschlichten Blicken, kaufend kaufend kaufend, – ich wusste nimmer, was ich da zu suchen haben könnte, hatte das Gefühl, ganz alleine zu sein, mit niemand was zu tun zu haben, „was soll ich denn da“, und kriegte eine Panik, heulte, war unfähig, auch nur einen Schritt zu machen; ein Alptraum.

Ich war in ständiger Angst vor diesen „männlichen“ Männern, die so durch die Gegend tigerten, vor ihrer Anmache, ihren Blicken; ich hab mich zum erstenmal richtig geborgen gefühlt auf einem Frauenfest, an Silvester. Jeden Tag ging ich stundenlang mit Freunden spazieren – das war toll, einfach so gehen und gehen zu können, ohne Begrenzung, ohne Gitter, irgendwo. Ich konnte nicht so schnell gucken – es gab so viel zu sehen – ich sah auch alles neu und scharf.

Im Frühjahr konnte ich das intensive Grün nicht aushalten; ich hab gedacht, ich werd verrückt mit all den Farben um mich herum. Ich hab ganz intensiv gelebt. Alles sehr genossen, auch sehr viel Angst und Panik gehabt.

Schwierig war es mit all den Genossen und Leuten aus der Szene um mich herum. Da gabs viele Menschen, auf die ich mich beziehen konnte, – kaum welche, die ich von früher her kannte. Viele hatten ein Bild von mir im Kopf, was sie halt von mir gehört oder gelesen hatten. Ich war für sie nicht Margit, sondern ein Fall.

Da wurden Ängste vor dem Knast auf mich projiziert, ich kriegte ziemlich viel Ablehnung und Aggression ab. Dann gab’s sowas wie Fan-tum: da fanden mich welche schon von vornherein toll, erwarteten ich weiß nicht was Neues, Revolutionäres von mir. Andere hatten schon so den Mitleidsblick: die arme Margit. Die wenigsten konnten mit mir als Frau aus dem Knast – damit wurde ich identifiziert – umgehen. Mit mir als Person hatte das wenig zu tun. Ich redete auch viel und dauernd vom Knast. Klar, das waren eben die letzten fünf Jahre gewesen – und war in Gefahr, sowas wie eine Knastidentität zu behalten.

So vor einem halben Jahr hatte ich’s, meine ich, geschafft, von all dem wegzukommen, wieder so ein bisserl wie früher zu werden und die Knastmacken aufgearbeitet zu haben, den Knast als ein Stück meiner Geschichte mit vielen anderen zu sehen, aber nimmer so dran zu kleben. Ich war endlich wieder etwas freier, konnte Einfälle haben, arbeiten, Perspektiven für mich entwickeln. Und jetzt?

Durch diesen Antrag auf Bewährungswiderruf ist dies alles gefährdet, werde ich in die alte Mühle zurückgedrängt, werde gezwungen, mich mit all dem Repressionsmüll vor allem andern, was ich gern machen möchte, zu beschäftigen. Darüber habe ich die größte Wut.

DAGEGENLEBEN ist das einzige, was ich und sicher viele andere, die aus dem Knast raus sind, machen können. Leben gegen Hausdurchsuchungen in unserer Wohnung, in dem Schülerladen, wo ich arbeite, in den Wohnungen von Freunden, meiner Mutter. Leben gegen die Kündigung des Jobs – weil zivile Herren da waren und Druck ausgeübt hatten. Leben gegen die Wohnungskündigung für uns alle: „… da es sich hierbei um eine kriminelle Person (sog. ‚Bank-Lady’) mit Bewährung handelt, sehen wir uns gezwungen, mit Rücksicht auf die anderen Hausbewohner … den sofortigen Auszug zu verlangen … Wir bedauern im Hinblick auf die letzten Gewaltverbrechen in der BRD nicht anders handeln zu können. Eine Solidarisierung durch Vermietung von Räumlichkeiten ist dem Hauseigentümer , uns und anderen Hausbewohnern nicht zumutbar …"

Leben gegen die ständige aufsässige, offene oder versteckte Bewachung, gegen Nachfragen und Überprüfungen bei Nachbarn, Hausmeistern, bei der Dienststelle meiner Mutter (möglichst mit der MP im Anschlag), bei ihr selbst und bei ihrem Bekanntenkreis, gegen neue Ermittlungsverfahren für Sachen, die vor nunmehr sieben Jahren gelaufen und noch immer unaufgeklärt sind, oder neue völlig aus der Luft gegriffene Beschuldigungen.

Dazu kommen unmotiviert ausschauende Festnahmen und Knast in der Schweiz und in Griechenland mit anschließender Abschiebung. Die Presse wärmt alte Kamellen auf und verlautbart Vermutungen eines Staatsanwalts über mich. Der Bewährungshelfer wird mir gegen seinen Willen unüblicherweise entzogen.

Leben gegen ständigen Terror also, wo die Häufung von Maßnahmen, Vorfällen den permanenten Druck ausmacht, der mich in den Untergrund treiben soll oder mich zu einem total angepassten Vegetieren bringen soll, in einer anderen Stadt, ohne Freunde, möglichst mit Mann und Kind, ohne politische Identität und am besten ohne einen Funken Zivilcourage.

Ich meine, der Antrag auf Widerruf der Bewährung ist in seiner ganzen Unverhältnismäßigkeit nur durch die Vorgänge um Schleyer möglich geworden.

Es wird da vorausgesetzt, dass es für solche Maßnahmen, wie sie gegen mich laufen, keine Öffentlichkeit mehr gibt, kein Interesse.

Nur wenn diese Maßnahmen und der Prozess Öffentlichkeit haben, bin ich geschützt, gibt es noch eine Chance, dass ich nicht reinkomme. Viele meinen: Man kann eh nichts mehr machen in diesem Land. – Aber punktuelles Sich-wehren ist immer – auch jetzt – möglich. Wenn wir uns nicht jeden Tag im Alltäglichen wehren, dann können wir das bald nimmer, dann fällt uns bald überhaupt keine Möglichkeit mehr dazu ein, dann kriechen wir, dann schlucken wir alles. Ich meine, viele kleine Initiativen – nicht nur die großen – die nehmen uns diese Lähmung weg, die uns alle befallen hat. Wir sehen dann vielleicht auch mal andere Möglichkeiten, wieder offensiv zu handeln.

Das ständige Sich-abgrenzen voneinander, das Sich-gegenseitig Isolieren, geschieht aus Angst, die wir alle haben, vor Leuten aus dem Knast oder wo’s klar ist, daß sie bald drin sind. Und um die eigene Haut zu retten, isoliert sich leicht jeder selbst. Dann genau wird er angreifbar, wird er fertiggemacht. Dazu haben wir doch nun massenweise Erfahrungen.

Margit

Spendenkonto für die Verteidigungskosten: PSchAmt München, 256858 – 800 (Wolfgang Stoye).

Eine Informationsveranstaltung zur Sicherungsverwahrung findet in der nächsten Woche statt. Ort und Zeit werden noch über Flugblätter und Plakate bekannt gegeben.


Blatt – Stadtzeitung für München 109 vom 8. Dezember 1977, 4 f.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Bürgerrechte

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