Materialien 1977
Dokumentation
Franz Xaver Kroetz, Briefwechsel mit der Süddeutschen Zeitung
An die Süddeutsche Zeitung — Schriftleitung
Kirchberg, 27. Dezember 1977
Sehr geehrte Herrn,
in der SZ von Weihnachten lese ich auf Seite 1, dass „auf gemeinsame Empfehlung des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger und des Bundesverbandes Druck … sich die Verlagsleitungen der anderen Münchner Zeitungen entschlossen, ihre Freitagausgabe nicht zu drucken, um eine Schwächung der bestreikten Zeitungen im Wettbewerb zu vermeiden“.
Wie schön, kann man da nur sagen, diese weihnachtliche Solidarität einiger hochkarätiger Herrn.
Nur, ich bin Abonnent der SZ. Sie hätte erscheinen können. Die Drucker der SZ wollten ab 18 Uhr wieder drucken. Aber die Verlagsleitungen entschlossen sich „nicht zu drucken“ — unter anderm auf meine Kosten.
Denn ich will nicht auf das im Grundgesetz verbriefte Recht der Informationsfreiheit hinaus, wie weiland die Verleger es den Druckern schon vorwarfen, das wäre ein Kapitel für sich, mit oder ohne SZ, sondern ich will auf mein Geld hinaus. Ich zahle ja die Gebühren für die SZ im voraus, noch dazu jährlich.
Nun würde ich einem der Herrn Verlagsleiter der SZ — meinetwegen auf dem Klo oder in der Telefonzelle — die paar Zehnerl sicher schenken, die da in Frage stehen. Aber es geht ja nicht um so Menschliches, sondern darum, den Belegschaften bzw. der IG Druck und Papier ein paar vor den Latz zu knallen: Wenn ihr streikt, sperren wir aus!
Ja, und nun muss sich mir doch die Frage stellen, wer mir näher steht: Die Kollegen der IG Druck und Papier, oder die Herrn vom Bundesverband Zeitungsverleger usw.
Und da komme ich zu folgendem Ergebnis: Mit ihrer Zeitung können die Verleger machen, was sie wollen, das gehört zur Pressefreiheit, sagt man; aussperren können sie auch, wenn sie wollen, das gehört zur persönlichen Freiheit, sagt man – gut, aber dass man sich von mir via Dauerauftrag bzw. Vorauszahlung für diese schönen Freiheiten eine „Solidaritätsspende“ erschleicht, das geht mir zu weit! Was sollen denn da meine Kollegen von der IG Druck und Papier sagen? Die haben nämlich meine Freundschaft und Solidarität in diesem Fall: Ich finde es barbarisch, einen der bedeutendsten und ehrbarsten Berufsstände, Setzer und Drucker wegzurationalisieren, wegzutechnisieren, sprich „wegzuprofitsionieren“, die Kollegen zu „Tippsen“ zurückzuschulen und basta. Dafür gebe ich nicht einen einzigen runden Pfennig her, im Gegenteil:
Überweisen Sie die achtzig Pfennig, die Sie mir schulden, weil ich mir am Freitag eine „gleichwertige“ Zeitung kaufen musste, obwohl ich die SZ bezahlt hatte, auf das Konto der IG Druck und Papier in München und veröffentlichen Sie diesen Brief recht bald in der SZ, damit auch noch ein paar andern Abonnenten ein Licht aufgeht!
Freundliche Grüße
Franz Xaver Kroetz
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Süddeutscher Verlag GmbH
den 30. Dezember 1977
Sehr geehrter Herr Kroetz,
haben Sie besten Dank für Ihren Brief vom 27. Dezember 1977.
Auch die Setzerei in unserem Hause hat von 16.00 bis 18.30 Uhr nicht gearbeitet, sich dann allerdings nach einer Abstimmung bereit erklärt weiterzumachen. Durch den 2½-stündigen Streik war jedoch soviel Zeit verstrichen, dass wir die Fernausgabe und einen Teil der Bayern-Ausgabe — zusammen etwa 1/3 der Auflage — nicht mehr hätten herausbringen können. Als wir dann erfahren haben, dass im Hause Bayerstraße überhaupt nicht weitergearbeitet werden kann, haben wir uns entschlossen, von einer Herausgabe der Süddeutschen Zeitung für den Freitag abzusehen, um uns nicht den Vorwurf einzuhandeln, wir würden auf Kosten der Konkurrenz nur unser Geschäft suchen. Wären wir auch erschienen, so hätten beispielsweise der Münchner Merkur und die tz sicher die dort disponierten Anzeigen nicht nachholen können. Hierfür bitte ich um Verständnis.
Ausgesperrt haben wir unsere Mitarbeiter nicht. Alle Mitarbeiter wurden voll bezahlt, als wenn sie gearbeitet hätten.
Zum Ausgleich für die fehlende Ausgabe lege ich DM 0,70 in Briefmarken bei.
Mit freundlichen Grüßen
SÜDDEUTSCHER VERLAG GMBH
Geschäftsführung
Klaus Wagner
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Franz Xaver Kroetz an den Süddeutschen Verlag
2. Januar 1978
Sehr geehrter Herr Wagner,
haben Sie recht herzlichen Dank für Ihr promptes Schreiben vom 30. Dezember 1977. Auch für die Übersendung der Briefmarken im Wert von DM 0,70 bedanke ich mich. Allerdings kostete die Frankfurter Allgemeine DM 0,80, auf die auszuweichen mir vernünftig schien, um eben eine „gleichwertige“ Informationsquelle zur Verfügung zu haben. Aber um dieses Zehnerl soll es bestimmt nicht gehen.
Da Sie in der Süddeutschen Zeitung am Jahresende auf der Seite 68 bereits zwei äußerst „couragierte“ Leserbriefe zur Sache abgedruckt haben, wobei vor allem der zweite die gewerkschaftlichen Forderungen diffamiert1, nehme ich an, dass Sie meinem Wunsch entsprechen werden, meinen Brief vom 27. Dezember 1977 umgehend als Leserbrief zu drucken. Das wäre sicher schon im Hinblick auf die Meinungsvielfalt der Süddeutschen Zeitung für alle von Nutzen.
Die mir überwiesenen DM 0,70 werde ich umgehend an die IG Druck und Papier in München weitersenden und die Kollegen über unseren Briefwechsel informieren.
Freundliche Grüße
Franz Xaver Kroetz
1 Solidarität ausgezeichnet. — Ich bin Abonnent der SZ und möchte Ihnen zum Nichterscheinen der SZ am 23. Dezember mitteilen, dass ich voll und ganz hinter Ihnen stehe. Gern verzichte ich auch länger auf das Erscheinen der Zeitung, wenn damit den unsinnigen Gewerkschaftsforderungen entgegengetreten werden kann. Ich finde die Solidarität, die Sie bewiesen haben, ausgezeichnet.
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Süddeutsche Zeitung, Chefredaktion, Dr. Hans Heigert:
4. Januar 1978
Sehr geehrter Herr Kroetz,
für redaktionelle Angelegenheiten ist nicht die Geschäftsleitung verantwortlich, sondern die Chefredaktion der SZ. Deshalb darf ich Ihren Brief vom 2. Januar an Herrn Wagner beantworten.
Sie wünschen, dass wir Ihren Brief vom 27. Dezember „recht bald“ veröffentlichen. Diesem Wunsch können wir nicht nachkommen. Über den wahren Sachverhalt sind Sie von Herrn Wagner ins Bild gesetzt worden. Es hat hier keine Aussperrung und keine Lohnminderung gegeben. Außerdem war der SZ schon früher zu entnehmen, dass hier keine Setzer (nicht „Drucker“, wie Sie fälschlicherweise vermuten) „wegrationalisiert“ werden, sondern Einigung über einen langfristigen Sozialplan erzielt werden wird.
Indessen, Fakten scheinen Sie nicht zu interessieren. Sie ziehen es vor, sich mit einer vorgefassten Idee zu solidarisieren. Die Wirklichkeit ist ganz anders.
Gewiss haben wir von der Redaktion nicht die Interessen der Setzer zu vertreten. Sie sind dafür selbst Manns genug. Wir wissen aber eines ganz gewiss: „Maschinenstürmer“ sind weder unsere Setzer noch deren Vertreter in der Gewerkschaft. Sie scheinen jedenfalls erheblich aufgeschlossener und gewissermaßen „moderner“ als Sie, der Sie wohl in der Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts verhaftet sind. Auch Ihr reichlich rüder Ton, den Sie möglicherweise für kämpferisch halten, deutet darauf hin. Ich kann deshalb auch kaum auf Ihr Verständnis hoffen.
Mit freundlichen Grüßen
Hans Heigert
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Franz Xaver Kroetz
Kirchberg, 9. Januar 1978
Sehr geehrter Herr Dr. Heigert,
haben Sie herzlichen Dank für Ihren Brief vom 4. Januar 1978. Wenn ich rasch zu etwas Stellung nehme, dann hat das nicht die Ausgewogenheit meiner Stücke und theoretischen Arbeiten. Kann und soll es auch nicht. Drum hab ich einen Leserbrief und keinen Artikel geschrieben.
Trotzdem scheint mir die Aktion der von Streik nicht betroffenen Zeitungsbesitzer auch im Nachhinein sehr wohl eine Art Aussperrung gewesen zu sein. Und mit dieser Meinung stehe ich — da hab ich mich erkundigt — nicht ganz allein da.
Aber, der Kern meines Briefes war folgender: Ich bezahle eine Zeitung und erhalte dafür antigewerkschaftliches Verhalten. Ich höre keinen Ton, dass mir das Geld zurückerstattet wird, sondern muss das extra anfordern. Ich schreibe an dem Brief länger, als die 70 Pfennig wert sind. Aber es geht nicht ums Geld, sondern um die Moral und das Prinzip. Drum entschließe ich mich zu dem Leserbrief.
Dass Sie kein Interesse daran haben, ihn wirklich zu publizieren, kann ich mir denken.
Es hätte da nämlich passieren können, dass hundert oder vielleicht sogar tausend Abonnenten der SZ es mir nachgemacht hätten. Die IG Druck und Papier hätte ein paar Mark in der Streikkasse mehr gehabt und — was viel mehr zählt — eine Menge Solidarität gespürt.
Aus Angst davor, dass man die Dinge beim richtigen Namen nennt, und aus Angst vor einer Solidaritätsaktion für die IG Druck und Papier, haben Sie den Brief unterdrückt und legen ihn auf die Goldwaage.
Einen anderen Brief, der Ihnen halt genehmer war, haben Sie auf diese Goldwaage nicht gelegt. Ich zitiere: Gern verzichte ich auch länger auf das Erscheinen der Zeitung, wenn damit den unsinnigen Gewerkschaftsforderungen entgegengetreten werden kann. (SZ Jahresende)
Ganz schön pauschal, gell, und rüde? Apropos: Mein Ton passt zum Anlass. Und: Sie hoffen nicht auf mein Verständnis — klar, verstehe ich Sie doch besser, als Ihnen recht sein kann.
Trotzdem recht herzliche Grüße
Ihr
Franz Xaver Kroetz
PS:
Vorschlag: Wer von uns beiden mehr im 19. Jahrhundert lebt, lassen wir getrost die Nachwelt entscheiden. Ich halte nichts von Maschinenstürmerei — aber wenn ein ganzer Berufsstand von der Technik überrollt wird (und — mag sein — werden muss), denke ich an die Konsequenzen daraus für den Einzelnen, und halte gefühlsmäßig erst mal zu den Schwächeren: den Überrollten.
Mit den „Druckern“ haben Sie recht: Die sollen den Setzern erst allmählich folgen, hört man.
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Industriegewerkschaft Druck und Papier, Landesbezirk Bayern
16. Januar 1978
Lieber Kollege Kroetz,
vielen Dank für Deinen Brief und für die beigefügten Briefmarken. Wir haben diese „Spende“ sofort für die VS-Arbeit zur Verfügung gestellt, so dass nun sicher ist, dass der Etat für das Jahr 1978 für die Berufsgruppe des VS außerordentlich gestärkt sein dürfte.
Die Idee, die Du bei Deiner Aktion gegen die Süddeutsche Zeitung verfolgt hast, ist sicherlich gut, und so bedauern wir es ebenfalls, dass sich nicht eine viel größere Anzahl von Lesern gleichermaßen verhalten hat. Andererseits ist es für uns nicht weiter verwunderlich, dass die Redaktion der SZ die Veröffentlichung eines entsprechenden Leserbriefes ablehnt, denn es würde sich ja gegen die Interessen des eigenen Hauses richten.
Dessenungeachtet nochmals besten Dank und kollegiale Grüße
Willi Baumann
Nachbemerkung: Kroetz spendete außerdem 200 DM in die Streikkasse seiner Gewerkschaft.
kürbiskern. Literatur, Kritik, Klassenkampf 2/1978, 168 ff.