Materialien 1977

Weihnacht

Christus kommt. Seine Parteigänger sind schon da

„‚Begegnung mit Gott’ hieß das Thema, das der Kardinal für seine nächste Predigt gewählt hatte. Nun ist er schon zwei Tage bei ihm.“
BILD-München über Döpfners Tod

„Niemand meint es so gut mit uns wie Gott.“
Kardinal Volk beim Requiem für Döpfner. – Jahreseinnahmen der katholischen Kirche in der BRD: über 3 Milliarden DM.

Aufgefordert, einen Artikel über die katholische Kirche in Bayern zu schreiben, ist wenig zu sagen: es GIBT sie leider. Und zwar pestilenzhafter als anderswo, durchdringender. Der unschuldige, fromme Augenaufschlag ist hier Politikern, Meineidsbauern, Geschäftsleuten und anderen Gewohnheitsverbrechern geradezu angeboren. Das Land ist gespickt mit dem Marterinstrument ihres Gottes, dem Kreuz: in Krankenhauszimmern, Schulräumen, Gerichtssälen, auf unschuldigen Berggipfeln, als Marterln und wohl auch im Kabinettssaal. Die Politik in diesem ‚Freistaat’ ist denn auch danach.

Der Minister, der es hier der Kultur besorgt, Herr Maier, ist praktizierender Kirchenorganist. Er will zwar auch nachgedacht haben, Bücher sollen das beweisen, aber die Unbildungspolitik stinkt eher nach Weihwasser und Spätkapitalismus. Trotzdem entfachen NOCH christlichere Christen des Freundeskreises Maria Goretti dagegen – DAgegen! – „GebetsSTÜRME“ vor dem Kultusministerium. Denn in Schulen wird, pfui Teufel, Sexualität erwähnt.

Auf jeden Fall ist der Salvatorplatz, wo Maier den Kultus, die Kultur oder was auch immer verwaltet, schon ganz geheiligt. Eingeweihte wollen dort schon die Engel oder mindestens den Päpstlichen Nuntius singen gehört haben. Und bevor Strauß alle Marxisten und Demokraten im 0lympiastadion den Löwen vorwirft, gibt’s gewiss ein Hochamt oder gar ein Pontifikalrequiem. Und die schönsten Teufelsaustreibungen mit Todesfolge werden in Bayern zelebriert; in Nordbayern – erst unter Napoleon der Alpenfestung einverleibt – wird so was bekannt; in Altbayern würde keiner den ersten Stein werfen.

Die dubiose stigmatisierte Neurotikerin Therese Neumann aus Konnersreuth kann nur in Bayern kongeniale Fans finden, und Altötting ist noch kitschiger als der ganze Vatikanstaat. Nirgendwo in Deutschland lassen sich „Frömmigkeit“, Geschäftssinn und brutale Inhumanität so gemütlich verbinden wie in Bayern. „Wenns karteln wollt – gehts ins Herrgottseckerl!“ (O-Ton Kellnerin Hertha, Schweizerhof in Pasing) Alle sind gemäßigt fromm: Bosse, Offiziere, Wirtshausschläger, Politiker – und selbst Diebstähle konzentrieren sich (neben FIBAG usf.) auf sakrale Kunst. Das ganze schöne Land ist übersät mit Kirchen und Kapellen, in denen für Diebe die lieblichsten Kunstwerke bereit stehen, die dann von der heimischen Bourgeoisie in der Kellerbar gewürdigt werden. Ansonsten gibts Schulgebete, Maiandachten, Christvespern, Metten, Messen, den Vorsitzenden von Bayern München, der vor jedem Europapokalspiel Kirchenkerzen stiftet, Berufsverbote auch für kritische Christen sowie Fronleichnamsumzüge. Deshalb sind auch Faschings- und Oktoberfestumzüge überaus beliebt. Das Volk ist heiter, trinkfest, zu 62 Prozent klinikreif, besucht zu 5 Prozent regelmäßig die Messe und lässt sich fast vollständig christlich beerdigen. Doch obwohl der klerikale Geist sich weitgehend durchgesetzt hat, ist der Umbau von Klöstern zu Bierschänken noch nicht abgeschlossen. Dafür gibt’s statt Soziologie- oder Philosophielehrstühlen eher theologische. Aber das ist auch wurscht, denn in der Philosophie redet laut Konkordat die Kirche mit. Warum denn Marx, wenn’s Thomas von Aquin auch tut?

Auch die Aufgabe der Schule ist in der Verfassung fixiert: Erziehung zur Ehrfurcht vor Gott. Und damit auch vor den 10 Geboten – besonders vor jenen, die vor Eigentumsverletzungen warnen. Denn arm sind die Nachfolger dessen, laut dem eher ein Kamel durch das Nadelöhr kommt als ein Reicher in den Himmel, denn arm sind sie, bei Zeus, wirklich nicht. Kirchensteuer, Ländereien, Grundstücke, Staatszuschüsse – und so kommt ein Geistlicher Rat auf über 4.000 Mark monatlich. Und damit nicht gedarbt wird: die heilige Institution der Pfarrköchin ist immer noch beliebt. Es fehlt an nichts. Und im Erzbischöflichen Palais beten sie gewisslich für den brutalen Kapitalismus hier, der uns ja bekanntlich den freiesten Staat, den wir je usf. usf. bescherte – und für den Kapitalismus etwa in Bolivien. Und da vor Gott kein Ding und speziell kein Zynismus unmöglich ist, auch noch für die verhungernden Opfer. Hier gibts Militärbischöfe – dort Missionen. Hier wird der förderliche Kapitalismus verherrlicht – dort sterben die Hungernden wenigstens als Christenmenschen. Hier sagen sie nichts gegen die Waffenschmieden Krauss-Maffei, Siemens, Messerschmidt-Bölkow-Blohm, sondern sammeln durch Kinder für Misereor – für die Opfer der Waffen in den Waffenimportländern.

Trotzdem, ein Silberstreifen am schwarzen Horizont: als 1974 bundesweit die Kirchenaustrittszahlen schmählich zurückgingen, waren Frankfurt und MÜNCHEN die Ausnahmen. In beiden Städten hat die Aktion Froher Heide ihre Schwerpunkte, dort wurden damals 60.000 Kirchenaustrittsanregungen verteilt. Es gibt Hoffnung. Andererseits erhält man nur in Bayern – vom Lande – schon für 50 Zettel einen anonymen Schmähbrief, der – auf gut christlich – Prügel, die Hölle oder den Staatsanwalt androht. In weniger urigen städtischen Gegenden Norddeutschlands sind dazu schon fast 5.000 Zettel nötig. Bayern hat also auch seine Meriten. Auf die Anzahl der anonymen Christen, die nach diesem Artikel aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen, sondern alttestamentarisch Auge um Auge fordern und das auch noch mitteilen, haben wir schon Wetten abgeschlossen.

Heinz Jacobi


Der Bote Nr. 8. Der Martin-Greif-Bote. Die politisch-literarische Zeitschrift aus der Martin-Greif-Straße, München 1978, 71 ff.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Religion

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