Materialien 1977
Uni-Demo
Am Donnerstag, 23. Juni, so gegen 15 Uhr, kriegen wir in der Redaktion Besuch. Der Mensch erzählt uns, dass die Studentendemo am Unibrunnen gleich steigt, müde winken wir Blattmenschen ab; keiner von uns hat recht Lust, sich anzuhören, wie sich irgendwelche Gruppen gegenseitig als Revis und Reaktionäre beschimpfen. Und im übrigen sind wir der Meinung, dass, wenn der AStA oder sonstwer uns für wichtig hält, die uns Bescheid geben könnten.
Aber nach längerem Gelaber mit unserem Besucher zieh ich doch mit; eigentlich nur, weil die Sonne so schön scheint. Wir fahren also mal zum Uni-Brunnen – hintenrauf die Königinstraße. „Ich bereu nix mehr; muss ja toll was los sein“, denk ich – alles steht voll Bullenautos; bei der Tiermedizinischen muss das Nest sein. Dauernd geht das Tor auf und spuckt Mannschaftsbusse aus. Endlich sind wir am Unibrunnen. Ich schau mir fast die Augen aus, weil es ja sein könnte, dass sich die Demonstranten versteckt halten. Aber es sind wirklich nur ein paar Hundert. Die meisten sitzen im Gras und schaun der Theatergruppe zu, die auf einer kleinen Bühne neben dem Unibrunnen lustige Sachen abzieht. Etwas verwirrt schau ich meinen Begleiter an, aber der fummelt immer noch an seinem Fotoapparat rum und murmelt was von DIN und Belichtungszahlen. Ich frag also mal jemanden, der neben mir hockt, und erfahre, dass das Theater k sein „Glücksspiel“ spielt und erst anschließend sich die Demo formiert. Dass langsam mal neue Demonstrationsformen auftauchen, freut mich; ich klatsche begeistert mit. Mein Begleiter knipst derweil schon hektisch, nicht nur die Theatergruppe, nein, auch die Zivilschutztruppe. Einer dieser Typen schlägt ihm dabei die Kamera aus der Hand, was ihr nichts geschadet hat, wie das Bild zeigt.
Dann ist es soweit. Während die Münchner Songgruppe ihre Musik macht, formiert sich der Demonstrationszug. Transparente tauchen auf: Weg mit BHG und HRG, Schluss mit der Schnüffelpraxis, Weg mit dem Berufsverbot, Für freie politische Betätigung an den Hochschulen, Weg mit dem Studienverbot.
Es ist jetzt so gegen vier Uhr; die ersten ziehn schon die Ludwigstraße runter; der Zug wächst auf gut 1.000 Menschen an. Natürlich sind das zuwenig, wenn man bedenkt, dass diese Themen hier in München ca. 30.000 Studenten betreffen; aber auch die Angst der nicht Demonstrierenden ist verständlich. Dem System ist gelungen, in der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, Studentenstreiks und Demos seien was Radikales, Verwerfliches. Aber genau an dieser Sicht würde sich was ändern, wenn mehr und entschiedener auf die Strasse gegangen würde.
Blatt – Stadtzeitung für München 98 vom 1. Juli 1977, 12.