Materialien 1977

Vater unser, der du bist im Himmel!

Splitterfasernackt!!!

Um auf eine neue Art der Zensur hinzuweisen, veranstaltete die „Rote Rübe“ am 10. März eine spontane Protestaktion. Sie zogen sich nackt aus und legten ihre Kleider direkt vor die Tür des Kulturreferenten Dr. Kolbe. Dann verließen sie nackt das Kulturreferat.

Mit diesem Protest will das Kollektiv auf die merkwürdige Kulturpolitik hinweisen, die für 1977 vorgesehen ist. Los ging’s damit, daß der neue Kulturreferent Dr. Kolbe quasi als Antrittsgeschenk die Verdoppelung des Subventionsetats auf 400.000 DM für die Privattheater bekam und im No-
vember auch gleich einen Verteilungsmodus vorlegte. 300.000 DM sollten an bestehende Theater zur existenziellen Absicherung verteilt werden und der Rest in Form von Prämien. Die Theaterlei-
ter sollten im Januar eingeladen werden, um die Verteilung an die einzelnen Theater zu diskutie-
ren. Dieser Termin fiel flach mangels Einladung. Im Februar sahen die Summen schon anders aus. Der Kulturreferent sprach auf einer Veranstaltung nur noch von 200.000 DM Prämien. Und im März wurde die Katze voll aus dem Sack gelassen. Jetzt wurden 135.000 DM vergeben und der Rest soll auf Prämienbasis verteilt werden. Prämienbasis heißt konkret, dass Textbücher von einer Kommission begutachtet werden. Sie legt fest ob und wie viel die Gruppe für ihr Stück bekommt. Es ist daher stark daran zu zweifeln, dass Theaterstücke, die bestimmte politische Inhalte vermit-
teln bei einer solchen Subventionspolitik unterstützt werden. Stücke wie „Terror“ oder „Frauenpo-
wer“ werden wohl nicht den Beifall dieser Kommission finden. Wir bezeichnen diese Linie als Zen-
sur. Diese Subventionspolitik bringt einige Münchner Theatergruppen jetzt schon in finanzielle Schwierigkeiten. Theater K, Rationaltheater und Rote Rübe sind dieser Subventionspolitik schon zum Opfer gefallen und dürfen nun in die Röhre gucken.

Achim


Blatt – Stadtzeitung für München 90 vom 18. März 1977, 19.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Zensur

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