Materialien 1978

Vergewaltigung

Jährlich werden in der BRD 35.000 Frauen vergewaltigt,
d.h. jede Viertelstunde eine

Von einem dieser 35.000 „Fälle“ wollen wir berichten. ER fand Mitte Mai hier in München statt.

Das Mädchen war auf der Bude von dem Typen, der sie dann vergewaltigt hat. Es ging ihr an diesem Tag sehr dreckig und sie suchte ein Gespräch. Er spielte ihr Lieder auf der Gitarre vor, sie unterhielten sich und plötzlich sagte er dann, dass er mit ihr schlafen wolle. Sie hatte überhaupt keine Lust dazu und nun begann eine einstündige Debatte darüber. Er brachte ganz tolle Argumente: dass es das einzig Wahre für sie jetzt wäre; dass sie es ja auch wolle, es bloß nicht wisse (toll, diese Einfühlsamkeit!); dass es ihr danach ganz sicher besser ginge etc. – die altbekannten Sprüche von Männern, die dem typisch männlichen Größenwahn verfallen sind, nach dem ihre Schwänze das Tollste überhaupt wären für alle Frauen, dass Frauen nichts anderes brauchten und wollten – Männer, die in Wirklichkeit nie danach fragen, was Frauen tatsächlich für Bedürfnisse haben. – Als die Frau dann immer noch nicht wollte, vergewaltigte er sie halt einfach. Er setzte auch noch ganz fiese Druckmittel ein, zwei riesige Hunde, die vor der Tür lagen. Das Kräfteverhältnis war somit eindeutig.

Am letzten Dienstag war dann ein Treffen mit der Frauengewaltgruppe für alle, die sich betroffen fühlten und sich mit dieser Frau wehren wollten. Anfangs waren wir ca. 13 Frauen. Es gab längere Debatten über verschiedene Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen. Wir wollten schon einen neuen Termin festsetzen, sind aber dann darauf gekommen, dass wir uns eigentlich einig waren, was wir machen wollten und dass nichts dagegen sprach, es sofort zu tun. Wir hatten vor, zu dem Lokal zu fahren, wo der Typ seinen Auftritt als Sänger und Gitarrespieler hatte und ihm seinen Auftritt zu vermasseln. Wir wollten, dass möglichst viele Leute, also das Publikum, mitbekam, dass wir uns durchaus wehren können; wollten anderen Frauen damit Mut machen; wollten, dass sich Männer Gedanken machen, die vielleicht auch auf subtilere Weise Frauen vergewaltigen. Toll war, dass sich beim Losfahren viel mehr Frauen spontan anschlossen. Wir waren dann 25 und trafen uns alle vor dem Lokal, bewaffnet mit Tomaten und Eiern.

Draußen lief die übliche Anmache, es war in einer Gegend, wo ein Lokal neben dem anderen steht. Wir gingen also geschlossen rein, mir war’s ein bisserl mulmig, ich glaub, so ging’s vielen, der Anblick drinnen ermutigte erst mal auch nicht: gesteckt voll und fast nur Männer. Der Geschäftsführer begrüßte die ersten Frauen noch händereibend, schmierig-freundlich, er witterte das große Geschäft – die Männer machten uns gleich an. Nach den ersten zehn Frauen allerdings machte er ein langes Gesicht und fragte, was wir überhaupt wollten. Die erste Minute waren wir alle etwas verunsichert, aber dann fingen wir einfach an zu brüllen und dann ging es, das mulmige Gefühl verschwand. Ich sah dann auch den Typen, er saß da mit seiner Gitarre, schwarzem Lederzeug und Cowboyhut (sehr bezeichnend alles!), silbergrauer Bart, männlich-herbes Gesicht – ich fand ihn einfach widerlich und wunderte mich nicht, dass dieser Typ Frauen vergewaltigt. Zuerst grinste er uns noch süffisant an, als er aber unser Gebrüll hörte und die ersten Eier auf seinem tollen Anzug und seiner Gitarre landeten, bekam er Schiss und flüchtete unglaublich schnell aufs Klo. Wir schrieen auch ganz laut, warum wir hier waren und alle bekamen’s mit. Es war einfach ein toller Auftritt. Die Männer reagierten sehr aggressiv, beim Rausgehen riefen sie uns vermeintliche Beleidigungen nach: „Ihr hässlichen, frustrierten Emanzen“ (die Assoziation Emanze und frustriert hört frau ja oft), „Wenn’s wenigstens schön wärt!“, etc. Wir bekamen aber auch positive Reaktionen von Frauen aus dem Publikum, die unsere Aktion gut fanden. Der Geschäftsführer war völlig aufgelöst, brüllte uns draußen noch nach, drohte mit der Polizei etc.

Wir fühlten uns ganz toll danach, freuten uns darüber, dass wir was machen konnten, dass wir uns wehren konnten. Es gäb dazu sicher noch sehr viel Diskussionspunkte, aber der Artikel soll auch nicht so lang werden. Was mir und uns am Wichtigsten zu vermitteln ist: Wir haben eigene Stärke, wir haben eigene Möglichkeiten, uns zu wehren. Wir brauchen die männliche Staatsgewalt, sprich Bullen und Justiz nicht, um uns zu wehren.

Es würde nichts besser machen, wenn der Typ in den Knast käme, zumal ein solches Verfahren auch für die betroffenen Frauen widerlich ist, und der Knast ist sicher kein Mittel, die Gründe, warum ein Typ sowas macht, zu beseitigen. Er verschlimmert nur. Wir benutzen die Justiz nicht für unseren Kampf gegen die Männerherrschaft – die Justiz ist ein Teil dieser Männerherrschaft. Also Frauen: Besinnt Euch Eurer eigenen Stärke und Fähigkeiten!

Boa Constrictor

PS: Es gibt in München seit einiger Zeit eine „Gruppe gegen Vergewaltigung“. Sie schickte uns folgenden Aufruf zu:

Betrifft: VERGEWALTIGUNG

Wir haben seit einiger Zeit in München die Arbeit gegen Vergewaltigung aufgenommen. Sie gliedert sich in drei Teile:

♀ Organisation und Ausbau des Telefon-Dienstes
♀ Beratung und Hilfeleistung für vergewaltigte Frauen
♀ Information und Öffentlichkeitsarbeit

Leider sind wir bis jetzt erst sieben Frauen. Um alles bewältigen zu können, müssten wir viel mehr sein. Wir glauben nicht, dass wir die einzigen sind, die von Gewalt gegen Frauen betroffen sind und die Gewalt gegen Frauen betroffen macht. Wir sind darauf angewiesen, dass noch mehr Frauen ihre Betroffenheit in die Tat umsetzen. Zur Zeit sieht es bei uns so aus, dass uns schon die Organisation des Telefondienstes (täglich 18 – 24 Uhr) und die Beratung überfordern, so dass an Öffentlichkeitsarbeit gar nicht mehr zu denken ist, geschweige denn an einen ganztägigen Telefondienst. Deshalb ruft uns bitte an, wenn Ihr an einer Mitarbeit Interesse habt.

Gruppe gegen Vergewaltigung, Frauenzentrum, Gabelsbergerstraße 66, 8000 München 22, Tel. 52 83 11. Telefonische Beratung täglich von 18 – 24 Uhr über 52 83 11.


Blatt. Stadtzeitung für München 124 vom 7. Juli 1978, 12.

Überraschung

Jahr: 1978
Bereich: Frauen

Referenzen