Materialien 1978

Der Blatt-Korrespondent F. Leichnam berichtet

Der Promenadeplatz sieht festlich aus. Fromme Seelen haben etliche Birkenwäldchen abgeholzt und die Bäumchen an den Häuserwänden aufgestellt. Die größte Frömmigkeit scheint bei den Großbanken anzutreffen zu sein: sie sind so schön geschmückt, wie sonst nicht einmal am Welt-
spartag.

Die Straßen sind abgesperrt. Hinter den Seiten stehen Neugierige, an die rote Heftchen mit den Texten der Lieder verteilt werden. Die Berechtigung wird nicht geprüft; auch Agnostiker und Athe-
isten vermögen sich unschwer in den Besitz eines solchen Heftchens zu setzen.

Angeführt wird die Prozession von fünf uniformierten Polizisten zu Pferde. Darauf folgt gleich ein Polizeiauto, das die Aufgabe hat, Tausende der Liederheftchen zu transportieren. Auch zwei Ver-
teiler dürfen zeitweise mitfahren. Gehen den anderen die Heftchen aus, so gehen sie zum Polizei-
wagen und holen Nachschub.

Es folgen Schwärme von Ordensbrüdern und -schwestern, dann Vertreter studentischer Verbin-dungen, herausgeputzt wie die Pfingstochsen mit Kappen, Stiefeln, Säbeln und Fahnen.

Hinter Scharen von Jugendlichen in Fußdiener- und anderer Tracht und einem großen Klerusauf-
gebot kommt der Kardinal, gleich hinter ihm Ministerpräsident Goppel, im Frack, wie es sich ver-
steht, durchaus noch rüstig, keineswegs senil, wie Ihr mal geschrieben habt. Auch der kleine In-
nenminister vermag wacker Schritt zu halten. Nun erscheint der Oberbürgermeister mit seinem Tross. Täusche ich mich, oder grinst er mich tatsächlich an?

Entschuldigend, als wolle er erklären: „Gewiss, Oberbürgermeisterwürde und -kette sind mir drei Nummern zu groß, aber was macht’s schon.“ Dann höre ich ihn sagen: „Wir bitten dich, erhöre uns“ und begreife, dass nicht ich gemeint sein kann.

Dann wird’s richtig vornehm: Herren mit Amtsketten, Damen mit Schleier auf dem Kopf, eine hat sich gar so etwas wie einen Orden an ihren schwarzen Regenmantel geheftet.

Nun kommen, nicht viele hätten’s vermutet, die frömmsten Angehörigen von Bundeswehr und Po-
lizei in Uniform. Später tritt sogar noch eine wahrhaftige Legion auf, aber es ist nur die Legio Ma-
riae. In ihren Reihen schreitet kaum beachtet, fast unerkannt auch Prälat Dr. Emilio Teufel mit, der Vorsitzende der Kongregation gegen unkatholische Umtriebe.

Außerdem sieht man viel gläubiges Volk, darunter ausländische Landsmannschaften wie Ungarn, Slowenen. Freunde oder Bekannte sieht man nicht.

Den Abschluss bilden wieder fünf berittene Polizisten.

Jeremias Thudichum


Blatt. Stadtzeitung für München 122 vom 9. Juni 1978, 8.

Überraschung

Jahr: 1978
Bereich: Religion

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