Materialien 1978

Warum wir therapeutische Wohngruppen wollen

Hilfe in Lebenskrisen

Viele von uns haben in ihrem Familien- oder Freundeskreis erlebt, was der Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik für den Patienten und seine Familie bedeutet. Die Lage und Struktur psy-
chiatrischer Krankenhäuser schließen den Betroffenen aus seiner gewohnten Umgebung, von Familie, Freunden und Arbeitsplatz aus. Darin liegt die Gefahr der sogenannten „Hospitalisie-
rungsschäden“.

Gemeint ist damit, dass der Mensch unselbständig wird, sein Selbstvertrauen verloren geht, er unfähig wird, mit dem Alltag „draußen“ fertig zu werden. Dies sind dann keine Zeichen der psy-
chischen Störung, deretwegen der Patient in die Klinik eingeliefert wurde, sondern Folge der sozialen Isolierung.

Bei unserer Arbeit in der Kontakt- und Beratungsstelle „Hilfe in Lebenskrisen“ haben wir sehr schnell erfahren, dass sowohl aktuelle Krisenhilfe als auch die Betreuung von Menschen nach einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik häufig nicht genügen, um eine Auf- bzw. Wie-
deraufnahme in diese Einrichtung zu verhindern. Um dem entgegen zu wirken, wollen wir in Haidhausen diesen Personenkreis unterstützen, indem wir eine von uns betreute Wohngruppe schaffen.

Das Zusammenwohnen und Zusammenleben hat in vielerlei Hinsicht therapeutische Funktion. Durch gegenseitige Anteilnahme, Unterstützung und Anerkennung fällt es den Bewohnern leichter, neue Möglichkeiten der Lebensbewältigung und Problemlösung zu entwickeln. Gemeinsam kön-
nen Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Umgang mit der Familie, Freunden und am Ar-
beitsplatz besprochen werden. Diese neuen Erfahrungen in einem geschützten Rahmen, in gewis-
ser Weise einer Familie vergleichbar, sollen die Bewohner befähigen, wieder volle Eigenverant-
wortlichkeit für ihr Leben übernehmen zu können. Das heißt, sie sollen nach einer Zeit der Unter-
stützung in der Wohngruppe (etwa ein Jahr) ohne fremde Hilfe wieder selbständig wohnen, mit ihrer Familie zurechtkommen oder neue Lebensformen finden, Kontakte knüpfen und einem ge-
regelten Arbeitsleben nachgehen können.

Gelingen kann unser Projekt nur, wenn die Wohngruppe von den Haidhauser Bürgern nicht iso-
liert wird, die Bewohner nicht zu Außenseitern gestempelt werden. Gerade die Beziehungen zu Nachbarn, Arbeitskollegen und die Teilnahme am Stadtteilleben sind wichtig für jeden einzelnen.

Bisher ist es uns noch nicht gelungen, in Haidhausen eine 5-7-Zimmerwohnung zu finden. Wer kann uns helfen? Nachricht bitte an: „Hilfe in Lebenskrisen“, Metzstraße 30, Telefon 45 85 85.


Haidhauser Nachrichten 3 vom Mai 1978, 3.

Überraschung

Jahr: 1978
Bereich: Psychiatrie

Referenzen