Flusslandschaft 1960

Zensur

„Frivolität“ war angesagt in den prüde-verklemmten 50er und auch noch 60er Jahren. Die „Schwa-
binger Gisela“ singt meist erst um Mitternacht, dass „sie der Novak nicht verkommen lässt“. Eines Tages steht die Polizei vor ihrer Haustüre.1

Der in München erscheinende Simplicissimus, ein in weiten Teilen harmloses, oft reaktionäres und antikommunistisch eingestelltes Blatt, veröffentlicht in seiner Nummer 18 vom 30. April 1960 Aus-
züge aus „Der gescheite Hans“, „Die zwölf Brüder“ „Fischers Vogel“ und anderer Märchen der Ge-
brüder Grimm; Max Radler illustriert deren Texte. „Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bonn hat am Freitag den Antrag des bayerischen Innenministeriums abgelehnt, die Simplicissimus-Ausgabe vom 30. April 1960 in die Liste der jugendgefährdenden Schriften aufzu-
nehmen … Wie verlautete, ist die Bundesprüfstelle der Ansicht, dass dem Simplicissimus in Deutschland ,eine gewisse Narrenfreiheit’ zugebilligt werden müsse. Er wende sich auch nur an ein begrenztes und intellektuell ansprechbares Publikum. Die umstrittenen Illustrationen zeigten in karikierender Darstellung sechs Szenen aus Grimmschen Märchen, unter anderem folgende: ,Darauf rissen sie ihr die feinen Kleider ab, legten sie auf einen Tisch, zerhackten ihren schönen Leib in Stücke und streuten Salz darüber.’ In seinem Antrag hatte Ministerialrat Walter vom bayerischen Innenministerium dazu ausgeführt: ,Auf Erwachsene wirken diese Bilder bestürzend; auf Jugendliche müssen sie bei der geradezu sadistischen Grausamkeit und Brutalität verwirrend und verrohend wirken und damit in erzieherisch-sittlicher Hinsicht als jugendgefährdend ange-
sehen werden’ …“2


1 Siehe „Beschlagnahme: Aber der Novak“ und Michalkes „Die Schwabinger Knef“.

2 Süddeutsche Zeitung 134/135 von Pfingsten 1960, 25.