Materialien 1978
Niederlage für Sanierungsunternehmer
Gerichtsentscheid: Niederlage für Sanierungsunternehmer
Das Münchner Landgericht hat entschieden: Sanierungskritik lässt sich nicht so ohne weiteres abwürgen. Wohnungsbauunternehmer Paul Ottmann, zuständig für die Sanierung in Haidhausen Süd, verlor einen Prozess gegen den Haidhauser Edgar Vögel auf ganzer Linie. Ottmann fühlte sich durch bestimmte Äußerungen Vögels auf der letzten Bürgerversammlung vom 8. Juni diffamiert und wollte derartige Kritik an seinen mutmaßlichen Sanierungsabsichten in Zukunft gerichtlich (bei Androhung von 500 000 Mark Geldstrafe) verbieten lassen.
Mittwoch, 28. Juni, 11 Uhr, vor der 23. Zivilkammer des Münchner Landgerichts wird unter Vorsitz von Richter Dr. Buggele die Sache Ottmann gegen Vögel verhandelt. Gegenstand des Rechtsstreits: Ottmann wirft Vögel vor, er sei von ihm diffamiert worden. Er unterstellt Vögel, er habe auf der Bürgerversammlung gesagt, er, Ottmann, wolle die Mieten verdoppeln und den Kündigungsschutz abschaffen, um die Mieter rauszuwerfen. Vögel bestreitet auf der einen Seite, die ihm vorgeworfenen Äußerungen wörtlich so getan zu haben; legt auf der anderen Seite aber Zeitungsartikel vor (unter anderem die Haidhauser Nachrichten vom März dieses Jahres), die die mieterfeindlichen Ansichten des Herrn Ottmann belegen.
Vor Gericht erschienen sind der Beklagte Edgar Vögel mit seinem Anwalt, sowie der Anwalt der Gegenseite. Nicht erschienen, trotz Vorladung, ist Paul Ottmann. Er schickte als Vertretung jenen Angehörigen seiner Firma, der auf der damaligen Bürgerversammlung anwesend war und im Auftrag des Chefs mithörte: Herrn Schneck.
Paul Ottmann glaubte wohl, mit Vögel leichtes Spiel zu haben und mit seiner Verurteilung einen Warnschuss an kritische Haidhauser Bürger abgeben zu können. Das beweist auch die Tatsache, dass er in seiner Klageschrift Vögel in die Nähe der DKP zu rücken versuchte. Gleich zu Anfang des Prozesses wird daher erst einmal festgestellt, dass Vögel Mitglied der SPD ist, und diese Frage der Parteizugehörigkeit ohnehin für die Urteilsfindung ohne Bedeutung zu sein hat. Als nächstes stellt der Richter an Ottmanns Anwalt die Frage, ob er nicht meine, dass Vermieter normalerweise so teuer wie möglich vermieten, Mieter hingegen so billig wie möglich wohnen wollten? Buggele: „Da besteht doch ein ganz natürliches Spannungsverhältnis, da muss es doch immer wieder auch zu öffentlichen Auseinandersetzungen kommen.“
Schließlich geht es um den sachlichen Gehalt der Aussagen, die Vögel vorgeworfen werden. In einem Zeitungsartikel wird Ottmann zitiert: Ihm sind fünfundzwanzig Prozent Mietanteil am Einkommen lieber als zwölf Prozent, wie das zur Zeit der Fall ist. Richter Buggele: „Also, wenn ich richtig rechne, dann bedeutet das eine Verdopplung der Mieten.“ In einem späteren Schreiben versucht Ottmanns Anwalt dieses Zitat als eine mieterfreundliche Aussage umzudeuten: Nur bei solchen Mieten könnten auch gute Wohnungen gebaut werden.
Es geht noch eine Weile im gleichen Stil hin und her im Gerichtssaal. Mieterfeindliche Aussagen will der Wohnungsbauunternehmer entweder nicht getan, oder, wenn sie schwarz auf weiß vorgelegt werden, im ureigensten Interesse der Mieter geäußert haben. Ganz neue Sachen von der trauten Dreisamkeit Mieter – Hausherr – Wohnungsbauunternehmer kann man da lernen … wenn mans glaubt. Aber es will niemand so recht glauben.
Der Richter steuert schließlich einen Kompromiss an: Vögel soll m Zukunft die ihm vorgeworfenen Äußerungen nicht mehr tätigen, Ottmann soll als Gegenleistung seine Klage zurückziehen. Doch jetzt gewinnt der Prozess eine neue, politische Dimension: Vögel und sein Anwalt betonen, dass dieser Kompromiss eine „Illoyalität“ gegenüber den Haidhauser Bewohnern wäre, die sich ohne Angst vor Gerichten auf Bürgerversammlungen und anderswo über ihre Sanierungsprobleme unterhalten wollen.
Vögel: „Ich muß und werde auch weiterhin an Sanierungspraktiken Kritik üben, wenn ich mich auf Tatsacheninformationen stützen kann. Bürgerversammlungen sind wichtig, hier muß man frei reden können. Wenn der anwesende Vertreter der Firma Ottmann eine Kritik unberechtigt findet, soll er sich zu Wort melden und dagegen reden, wie das jeder andere auch täte.“
Nach eineinhalb Stunden, einer ungewöhnlich langen Zeit für derartige Verfahren, wird die Verhandlung beendet, die Urteilsverkündung wird auf Mittwoch, den 19. Juli festgesetzt. Am 6. Juli versucht der Anwalt Ottmanns nochmals, in einem 10seitigen Schreiben auf die Gerichtsentscheidung Einfluss zu nehmen, vergeblich. Das Gericht hat seine Entscheidung zugunsten Vögels getroffen: Ottmann hat kein Recht, Vögels kritische Äußerungen auf der Bürgerversammlung mit Strafe belegen zu lassen. Er hat die Kosten des Gerichtsverfahrens zu tragen.
Die schriftliche Begründung dieses für Haidhausen so wichtigen Urteils liegt noch nicht vor. Wir werden weiter berichten.
Haidhauser Nachrichten 8 vom August 1978, 1 ff.