Materialien 1979

Die Krise, der Alltag und Macher

Die Krise gleißt und glitzert. Sie hat die verschiedensten Facetten. Stellt euch vor, 60 Leute der verschiedensten Zeitungen sitzen in einem Raum. Die Vorstellung beginnt. „Guten Tag, wir heißen…, wir kommen vom… blatt/zeitung. Ja und, bei uns gibt es auch eine Krise!“

Spätestens nach der fünften Wiederholung dieser Szene geht der Krisensatz im Gelächter der Anwesenden unter. Der Witz liegt in der Wiederholung.

Und worum geht es bei der Krise? Vor allem um Menschen, Mäuse, Manuskripte. Die Äußerlichkeiten sind bekannt. Bei der ID-Krise geht’s um Mäuse (Geldmangel, Auflagenschwund), Menschen (Fluktuation des Personals, mangelnde feste Mitarbeiter, die möglichst auch noch anderswo her ihr Geld kriegen, schwindende freie Mitarbeiter), Manuskripte (Diskussion um den Inhalt, wenig gute Berichte, viel vorgestanzte Presseerklärungen). Und darum geht’s auch bei den anderen Zeitungen – bei denen vor allem gut situierten Stadtzeitungen – nur weniger ums Geld und mehr um Mitarbeiter und Inhalt.

Das hat der Rainer vom „Nordwind“ (Oldenburg) kurz und knapp gesagt: Von Nr. zu Nr. sieht der „Nordwind“ nach außen besser aus, nur wir werden immer unzufriedener damit. Kurz und gut, den Zeitungsmachern gefallen ihre Blätter nicht mehr. Mangelnde Diskussion, wachsende Routine, wenig Anregungen von außen, steigende Auflagen bei den Stadtzeitungen.

Den Münchner blatt-Läusen gefällt ihr blatt nicht mehr (haben sie gesagt, als sie jüngst beim ID zu Besuch waren), die Freiburger mögen ihre „Stadtzeitung“ nicht mehr, der „Nordwind“ fragt sich, ob steigende Auflage wirklich ein Grund ist, weiterzumachen, den „radikal“-Leuten aus Berlin ist das Selbstverständnis abgehauen, der ID kriselt und kracht. Einzig die ganz „Kleinen“ und ganz neuen Blattmacher haben noch gute Laune. Die Saarbrückener streiken, beim „Motzer“ (wo wart ihr eigentlich?) hats schon vor Wochen gekracht.

Na, da kommt einem doch das kalte Kotzen. Zumachen, sollte man denken.

Aber mitnichten: das Treffen hatte seine Überraschungen. Ergebnis war nicht etwa ein geschlossenes Einstellen aller Alternativblätter. Beileibe nicht. Das Treffen hatte eine psychologische Wirkung. Die Erfahrung, dass es auch anderen dreckig geht, dass man mit seinem Blättchen nicht allein im eigenen Krisensaft schmort, ließ die Erkenntnis dämmern, dass es auch für das Zeitungsmachen objektive Bedingungen gibt.

Deren erste: Die Zeiten und die Zeitungen haben sich geändert. Provokation und Bürger-Schock sind nicht mehr so leicht zu haben wie dunnemals Anfang der 70er . Skandal macht kaum noch eine unserer Zeitungen. Eine neue Biederkeit macht sich breit. Die Alternativzeitungen werden sich, wie sehr richtig einer der Vielleser bemerkte, immer ähnlicher. Eine gewisse Langeweile verduftet sich durch die Redaktionsräume. Wie sagte doch der blonde Mensch aus Freiburg? Wir nehmen Entwicklungen nicht mehr wahr. Realitäten, die sich außerhalb der eigenen begrenzten Szene abspielen, liegen außerhalb unseres Gesichtsfelds. Realitäten, Subkulturen (z.B. die Disco-Szene). Die radikal-Leute stellen fest, dass ihnen eine „Öffnung nach außen“ nicht befriedigend gelungen ist, „Nur-Szene-Zeitung“ wollen sie aber auch nicht sein.

Auffällig, dass sich Beispiele einer „Öffnung nach außen“ allzu oft auf „Gewerkschaften“ und „Arbeiter“ beschränken.

Weiter: Wir haben uns „linke“ Tabus aufgebaut und klammern unsere eigene Realität aus. Vor der eigenen Türe kehren. Experimente sind nicht zugelassen. Über „bestimmte“ Themen spricht/schreibt man halt nicht in der Szene. Dabei haben wir wahrhaft Skandale genug. Was ist mit den Eltern, die aus Arbeitsüberlastung und Mangel auf ihren schönen alternativen Bauernhöfen Kinder und Vieh verprügeln? Was ist aus der sexuellen Revolte von 68 geworden? Verstümmelt ist sie bis zur Unkenntlichkeit. Und die Aggressionen? Nicht zugelassen! Wie daheim bei Muttern und Vattern. Wer schreibt darüber? Wer schreibt über den Alkoholismus in unserer ach so heimeligen kleinen Sub-Welt, über die Genossen, die durchknallten, weil sie den unausgesprochenen Leistungsansprüchen in der Szene nicht gerecht wurden. Wer schreibt darüber, dass wir zwar nicht mit älteren Leuten leben, aber brav zu Weihnachten oder am Wochenende zu den Eltern fahren, weil Blut eben doch dicker als Wasser ist.

Ach ja, Skandale gibts genug. (Ich will nicht vom ID reden!)

Aber eben, viele Tabus gibts auch. Ich möchte einmal mit Schneiderkostüm und Kapotthut in einer linken Redaktion auftauchen (Anzug und Krawatte für den Herrn). Meint ihr, wir könnten uns dann auf Anhieb locker verhalten. Dabei habt ihr noch gar nicht bemerkt, dass das die Kluft der ganz Jungen ist. Diese Anzüge der 60er Jahre, mit den entsprechenden Hüten, den kurzen geölten Haaren. Die Kluft, um uns zu verunsichern. Guten Morgen, wir können unsere Jeans einpacken, die sind out. Der Revoluzzer trägt Bügelfalten.

Ah ja, und noch was hat sich geändert: die bürgerlichen Medien. Die sind ja nicht doof, die haben dazugelernt. Betroffenenberichte, mit denen wir vor Jahren noch stolz herumschwenken konnten, gibt es allenthalben. Im „Stern“ die „Kinder vom Bahnhof Zoo“, die „Rundschau“ hat eine bessere Ökologie-Abteilung als alle Alternativblätter zusammen, Funk – vor allem Funk – und Fernsehen wimmeln nur so davon.

Ja, und unsere Leser von vor zehn/sechs Jahren haben wir auch nicht mehr. Wurde seinerzeit noch jedes subversiv, auch noch so schlecht gedruckte Wort auf Flugblättern verschlungen, so siehts doch heute so aus, dass weitaus mehr Papier bedruckt wird als auch Dezennien von Lesern in sich reinstopfen könnten.

Und dann die Leser und die Macher mit ihrer – zweifelsohne hochstehenden Moral und Wahrheitsliebe: sie erwarten von uns die Wahrheit/und nichts als die reine Wahrheit. Und merken nicht, dass nichts langweiliger ist, als die ständige Wiederholung von Wahrheit. Die Blattmacher sind – haben mindestens einige gesagt – unzufrieden mit ihren Lesern. Sie wollen lügen, experimentieren, nicht hinter ihren Redaktionstischen einschlafen. Und was passiert: „Das versteh ich nicht“, „mit sowas scherzt man nicht“, „sowas tut man nicht“ mault der verschreckte Leser. Wie aber lässt sich das müde Grinsen deuten, das die Runde einheitlich befiel, als vom Bericht über die 585. Hausbesetzung des Jahres die Rede war? Ihr wisst schon: „Da haben die Bullen die Tür eingetreten, und die hatten alle entsicherte Maschinen umhängen, und….“ Wer hätte schon erwartet, dass die im Bananenröckchen kommen.“

Vor lauter Betroffenen-Wahrheit geht die Subversivitat flöten. Das, was die guten Betroffenen mitteilen wollten, geht durch die ständige Wiederholung unter, wird nicht mehr wahrgenommen. Das Konzept der Leserzeitung ist in der Krise. Andere Formen der Darstellung/Übermittlung werden diskutiert. Aber bedeutet das nicht, dass es einigen Menschen überlassen bleibt, Zeitungen zu „machen“? Ändert sich dadurch das Verhältnis von Machern und Lesern? Werden von Spezialisten gemachte Zeitungen wieder konsumiert?

Noch ein Fazit: In vielen Redaktionen tobt die Diskussion um die „Professionalisierung“. Das heißt: ein paar Leute machen die Zeitung, und zwar ständig und kontinuierlich. Sie häufen dadurch Wissen und Durchblick an. Wissen ist Macht. Aus Machern werden Macker. Ziemlich einhelliger Konsens: Die Professionalisierung lässt sich dennoch nicht vermeiden, macht den Tag angenehmer und die Arbeitsüberlastung geringer. Und zwar schon deshalb, weil die Ströme der Freiwilligen früherer Jahre versiegt sind. Leute aus früheren Zusammenhängen haben ihr Studium beendet und gehen schaffen, haben also keine Zeit mehr für die Zeitung. Die Betriebe sind wegen der gestiegenen Auflage expandiert. Was heißt: weniger Leute und mehr Arbeit. Also: Wir brauchen einen Stamm fester Mitarbeiter, der die sporadischen Helfer einarbeitet und Wissen weitergibt. Wer auf seinem Wissen sitzenbleibt oder es ausspielt, kriegt einen auf die Nuss.

Und nun zum Leid der „Profis“: die neuen Leute, die nicht fest mitmachen wollen oder sich das später wieder anders überlegen, sind heißbegehrt. Nur wie geht es dem, der ein paar Jahre die Verantwortung für das Blatt übernimmt und der immer wieder erklären muss, Wissen weitergeben, Diskussionen gleichen Inhalts periodisch immer wieder führen muss und dann doch sieht, dass das für die Katz war, weil nach einem Vierteljahr wieder eine völlig andere Besetzung durch die Räume tummelt. Da ist die Wiederholung dann gar nicht mehr so witzig.

Wie dem auch sei: Zum Ende der Tagung kam uns die glänzende Idee. Zum nächsten Zeitungstreffen bitten wir zu einer Tombola. Verlost werden die Namen von Zeitungen. Jede Redaktion darf ein Los ziehen und weiß dann, wessen Blatt sie in dem entsprechenden Monat einmal machen darf. Also: Die IDler machen den Nordwind, die radikal-Leute den ID, das Blatt macht den Motzer, die Freiburger den Klenkes, usw. usw.

Das hättet ihr mal sehen sollen: „Also, wenn wir bei euch sind, dann können wir endlich mal so richtig….“. Ja, da kann man so richtig loslegen. Und diese Woche? Der Alltag hat uns wieder.

Heide


Hausmitteilungen. Informations-Dienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten 310 vom 29. November 1979.