Materialien 1979

Der Fall Schönfelder - ein Skandal

oder
In bester Verfassung
Ein Schwank im freien Deutschland

Personen: Schönfelder, Bruno, 23 Jahre, Student aus München, früher Mitglied der roten Schü-
lerfront (RSF)

Christian (vom Amt), Endzwanziger, adrette Erscheinung

Handlung im folgenden ausschließlich zitiert aus Gedächtnisprotokollen des B. Sch., da Chr. für uns unerreichbar blieb; seine Gegendarstellung ist uns jedoch jederzeit willkommen.

Am 9. Februar 1979 wird B. gegen 9 Uhr von Chr. angerufen, der sich auf gemeinsame Bekannte beruft, um sich nachmittags mit ihm in der Slawistik-Bibliothek der Uni zu verabreden. Von dort gehen beide zu einem einstündigen Gespräch in eine Schwabinger Kneipe, wobei sich Chr. als „Ver-
fassungsschützer“ zu erkennen gibt. Er weiß eine ganze Menge über B.s Aktivitäten in der RSF (einschl. Austrittstermin) und möchte von ihm gerne möglichst viele Informationen über die Orga-
nisationsstruktur der RSF, über die Motive der jungen Leute, die dort mitmachen, haben usw.

Chr. versucht B. zu überzeugen, dass sein Vorgehen etwas ganz alltägliches und nichts illegales oder anstößiges sei. Er wolle auch keine Repressalien wie z.B. die Drohung mit dem Berufsverbot anwenden. Außerdem würde B. auch eine Vergütung erhalten.

B. bittet um Bedenkzeit und macht mit Chr. aus, dass dieser ihn eine Woche später wieder anruft, um einen neuen Termin auszumachen. Das tut Chr. auch brav, der Termin muss wegen einer Klau-
sur B.s jedoch noch einmal verschoben werden.

Am 23. Februar ruft Chr. morgens wieder an und beide verabreden sich nach einigem Hin und Her um 13 Uhr vorm Wienerwald am Odeonsplatz. Zwischenzeitlich hatte B. sowohl die RSF informiert als auch den STERN, der die Geschichte veröffentlichen und daher einen Fotografen zu dem Treff schicken wollte. Dummerweise ruft dieser Fotograf jedoch am 23. Februar vormittags bei B. an, um den genauen Treffpunkt zu erfahren.

Leider muss jedoch B.s Telefonleitung an dem Vormittag zufällig ein Loch gehabt haben, durch welches dieses Gespräch auch in fremde Ohren rutschte, denn Chr. erscheint zum vereinbarten Treff nicht und läßt auch hinterher nie wieder etwas von sich hören.

Schluss der Vorstellung: Darsteller und Publikum erheben sich von ihren Plätzen und singen freu-
dig erregt: „Deutschland, Deutschland über alles“. Wer sitzen bleibt oder nicht mitsingt, wird als Verfassungsfeind enttarnt und muss im heiteren Karriererennen dreimal aussetzen. Auch der Hinweis, dass man sich doch kaum noch festen Schrittes auf den Boden der FdGo trauen könne, wenn dieser schon so morsch sei, hilft ihm nicht weiter.


Blatt. Stadtzeitung für München 144 vom 13. April 1979, 13.

Überraschung

Jahr: 1979
Bereich: Bürgerrechte

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