Materialien 1979

Quarksalber

Prozess gegen Peter Schult endgültig geplatzt
oder: der Arzt als Büttel

Peter Schult und Richter Haase können aufatmen: der Prozess gegen Peter wegen Widerstand, Körperverletzung und Nötigung, angeblich begangen an zwei Bahnhofspolizisten, hat sich nun endgültig erledigt. Kleinlaut nahm die Staatsanwaltschaft die Anklage zurück. es kam gar nicht mehr zum Termin/Tribunal mit Eklat und zu erwartendem Freispruch. Zu sehr hatten sich die selbst schlägernden Beamten in Widersprüche und Lügen verwickelt. Sie selbst waren bei der schon rechtswidrigen Festnahme (Peter war abends durch den Bahnhof geschlendert, mit Fahr-
karte) unverletzt geblieben, Peter dagegen hatte Blessuren am ganzen Körper. Haarbüschel wurden ihm ausgerissen, die Uhr ging infolge Schlageinwirkung kaputt, überall blaue, blutunterlaufene Stellen, ohne dass sich Peter, pfiffig wie er ist, gegen die brutale Behandlung gewehrt oder sie pro-
voziert („Widerstand“) hätte. Es wäre auch völlig aussichtslos und nahezu selbstmörderisch gewe-
sen, da er zuvor in eine abgelegene Zelle ohne lästige Zeugen im Keller des Bahnhofsgebäudes ge-
zerrt wurde.

Die Verletzungen von Peter wurden durch neutrale Zeugen, Photos und eine Ärztin, die sofort nach der Freilassung die Untersuchung durchführte, belegt. Das Gutachten der Ärztin kommt zu dem Ergebnis: „Insgesamt ist festzustellen, dass bei Herrn Schult kein Körperteil auch nur angedeutete Zeichen einer Gewaltanwendung aufwies, das zu eigenen Angriffen (d.h. des Peter Schult) hätte verwendet werden können, wie z.B. im Bereich der Finger oder der Ellenbogen. Es ist somit glaub-
haft, dass sich Herr Schult selbst passiv verhielt“.

Die Ärztin wurde von der Verteidigung als sachverständige Zeugin in den Prozess eingeführt, der daraufhin erst einmal platzte.

StA, Gericht und Polizeizeugen, letztere nunmehr einer möglichen Falschaussage, Körperverlet-
zung im Amt usw. verdächtigt, mussten erst einmal Atem holen.

Die Prozesspause wurde schöpferisch – nämlich dazu – genutzt, ein Gegengutachten von Herrn Spann und Konsorten einzuholen, ihres Zeichens Gerichtsmediziner in München, Spann als Direk-
tor und oft gesehener und gut verdienender Gutachter vor Gericht. Wem der Staat (= Gericht) einen Auftrag gibt, dem gibt er auch Verstand. Jedoch nicht immer!

Offenbar hin- und hergerissen zwischen den Interessen des geschätzten und regelmäßig und gut bezahlenden Auftraggebers Justiz und seinem ärztlichen Vermögen, diagnostizierte Spann, ohne Schult je gesehen zu haben, nur aufgrund der Akten auf fünf Seiten u.a. folgendes: „Typische Ab-
wehrverletzungen, wie sie beim Schützen des Kopfes vor Schlägen mit einem Knüppel entstehen, sind weder aufgrund der fotografischen Aufnahmen noch bei Berücksichtigung des ärztlichen Attestes ersichtlich … Somit kann bei rechtsmedizinischer Würdigung der vorhandenen Verletzun-
gen den Schlussfolgerungen der praktischen Ärztin, Frau Dr. med. Gröninger, NICHT gefolgt wer-
den … Das Fehlen von typischen Abwehrverletzungen an Armen und Händen sowie von geformten Veränderungen am Rumpf und an den Gliedmaßen spricht jedoch aber gegen die Angaben des Herrn Peter Schult.“

Dies als Zusammenfassung von vier Seiten Bildbetrachtung, wobei noch zusätzlich auffällt, dass die vorherige ärztliche Diagnose mit der späteren parteilichen Zusammenfassung eigentlich nichts zu tun hat.

Warum also, Herr Spann und Kollegen?

Vielleicht weil es hier auf der einen Seite um Polizisten und Polizeiaussagen ging und der Zivilist, zudem ein Linker, allein war?! Und weil ein Gerichtsgutachter nicht attestieren kann, was nicht sein darf?!

Hippokrates lebte vor über 2000 Jahren. Seine Auffassung von Medizin und Wahrheit und die von Herrn Spann trennt mehr als die Zeitspanne!

Nero


Blatt. Stadtzeitung für München 151 vom 27. Juli 1979, 13.

Überraschung

Jahr: 1979
Bereich: Bürgerrechte

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