Materialien 1979

Skandalll !!

Auch Ausländer werden krank !!

Die Bauunternehmung Ludwig Mathes, Westendstraße 237, 8 München 21, hat auf dem Gebiet der Ausländerdiskriminierung neue Maßstäbe gesetzt. Versuche, deutsche und ausländische Arbeiter zu spalten und gegeneinander auszuspielen (wobei die Ausländer dann noch um einiges schlechter dabei wegkommen), gelten in allen Betrieben mehr oder weniger als „normal“. So lässt z.B. die BMW Ausländer, die dort arbeiten wollen, ein Formblatt unterschreiben, dass diese generell nicht krank werden. Passiert es dann doch, wird diese unterschriebene Erklärung oft benutzt, um den Betreffenden zu kündigen. Frauen müssen außerdem unterschreiben, dass sie keine Kinder be-
kommen und können mit dieser Erklärung dann ebenfalls leicht unter Druck gesetzt werden. So wird also über einen ständigen Konkurrenzdruck Angst um den Arbeitsplatz geschaffen, wobei bei Ausländern besonders noch einmal mit der Unwissenheit über die rechtliche Situation gearbeitet wird. Die Firma Mathes versucht nun, diese Ausländerdiskriminierung noch über den Kreis der bei ihr Beschäftigten aus- zudehnen. So schrieb sie Anfang des Jahres folgenden bemerkenswerten Brief:

An alle ausländischen Arbeitnehmer! Die Krankmeldungen der ausländischen Arbeitnehmer ha-
ben in den letzten Monaten so stark zugenommen (zum Teil bis zu 20
Prozent der Gesamtbeleg-
schaft), dass sich die Firma Ludwig Mathes in Zukunft nicht mehr imstande sieht, die Lohnfort-
zahlungskosten aufzubringen. Um dies zu verhindern, sehen wir uns gezwungen, geeignete Maß-
nahmen zu ergreifen.

Zu diesen Maßnahmen gehören u.a.:

1. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von folgenden Ärzten werden von uns ab sofort nicht mehr anerkannt: Dr. B., Dr. G., Dr. J., Dr. P. Das heißt, werden uns von diesen Ärzten Arbeits-
unfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt, so werden wir keine Lohnfortzahlung leisten. Die AOK München wurde entsprechend informiert.

2. Bei Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung werden wir sofort den Vertrauensarzt der AOK München einschalten, um feststellen zu lassen, ob tatsächlich Arbeitsunfähigkeit vorliegt.

3. In schwerwiegenden Fällen muss mit einer fristlosen Kündigung gerechnet werden.

4. Weitere Maßnahmen behalten wir uns vor.

München, den 5. Januar 1979

Ludwig Mathes
Bauunternehmung
8 München 21, Westendstraße 237
i.A. Frischhut

(Die Namen der Ärzte sind im Original ausgeschrieben und uns bekannt.)

Eine Nachfrage bei der Firma ergab, dass dort etwa dreißig Ausländer, hauptsächlich Italiener und Jugoslawen, als Bauhilfsarbeiter beschäftigt sind. Sie „dürfen“ dort also die schwersten und ge-
sundheitsschädlichsten Arbeiten ausführen, für die, wie Herr Frischhut erklärte, keine deutschen Arbeiter zu bekommen seien. Und von diesen dreißig Ausländern (bis auf einige Ausnahmen wurden sie als „der letzte Pöbel“ bezeichnet) seien nun manchmal bis zur Hälfte krankgeschrieben.

Worauf man dort offensichtlich flugs die Namen der Ärzte durchging, die Ausländer krankge-
schrieben hatten, um unter ihnen ebenfalls nach Ausländern zu „fahnden“. Wohl nach dem Motto, dass die eh alle unter einer Decke stecken und sich außerdem weniger zu Gegenmaßnahmen trauen. Nur so lässt sich erklären, dass auch eine deutsche Ärztin auf die Liste rutschte, deren Name etwas fremdländisch klingt. Dass jemand vielleicht lieber zu einem Arzt geht, mit dem er sich in seiner Heimatsprache verständigen kann, scheint in der Firma noch niemandem in den Sinn gekommen zu sein. Dass die in dem Brief angedrohten Maßnahmen völlig rechtswidrig sind, bestätigten uns nicht nur Juristen, sondern auch die AOK und die Kassenärztliche Vereinigung. Wird hier doch nicht nur gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, das Diskriminierungsverbot und das Recht auf freie Arztwahl verstoßen, sondern den Ärzten darüberhinaus noch Betrug unterstellt.

Bisher scheint es jedoch, als würden die Behörden und Institutionen, die über diese Rechtswidrig-
keit der Firma Mathes informiert wurden, sehr zurückhaltend reagieren und es den betroffenen Ärzten allein überlassen, sich gegen diese Unterstellungen zur Wehr zu setzen. Was vielleicht da-
rauf schließen lässt, dass man die Reaktion der Ärzte als Maßstab dafür nehmen will, ob sie sich „schuldig“ fühlen. Wenn sie nicht entschlossen in diesem Fall vorgehen, wird ihnen stillschweigend unterstellt, dass sie zu Unrecht krank- geschrieben haben, und man kann sie dann leicht auf eine „schwarze Liste“ setzen, die auf diese Weise ständig ausgeweitet werden könnte. Dafür könnte auch sprechen, dass die Firma Mathes dem Rechtsanwalt des Arztes, der bisher als einziger eine Unter-
lassungserklärung gefordert hatte, diese zwar letzte Woche zusandte, gleichzeitig aber betonte, dies geschehe nur aus formalen Gründen und andeutete, dass bestimmte Institutionen eigentlich eher ihre Auffassung teilen würden.


Blatt. Stadtzeitung für München 144 vom 13. April 1979, 9.