Materialien 1979

„Der kleine Bobby“

»Freilich habe ich mich auch als ARRIaner gefühlt, war stolz darauf,
ein Teil dieser Weltfirma zu sein.«

Heinz Koderer hatte 1967 als Meisterschüler von Professor Geitlinger sein Studium an der Akademie der Bildenden Künste abgeschlossen, als er wie andere beschloss, die Kunst an den Nagel zu hängen, um sich der Verbreitung revolutionärer Ideen zu widmen. »Wir müssen an die Arbeiter ran!« hieß die Parole, »Die müssen ja schließlich die Revolution machen!« Also: »Hinein in die Betriebe!«

»Nach dem Zusammenbruch der APO sind die vielen K-Gruppen entstanden, die Arbeiterbasisgruppen, die Roten Zellen und die kommunistischen Parteien. Ich war bei der KPD und beschloss, in einen Betrieb zu gehen.«

Er macht eine dreijährige Ausbildung als Filmtechniker in Unterhaching, bewirbt sich dann bei ARRI und wird »mit Handkuss« genommen.

»Es hat nicht lange gedauert, da haben sich vier Leute zusammengetan und eine gewerkschaftliche Zeitung herausgegeben. Sie hieß >Der kleine Bobby< und ist unheimlich gut eingeschlagen. Alle waren sie voll begeistert, außer dem Bobby Arnold, der war stocksauer. Weil >Bobby< und >klein<, das bezog er auf sich, wo doch jeder weiß, dass der >Bobby< eine Filmspule ist und dass es davon kleine und große gibt. Aber so eine Übereinstimmung gibt es nur alle hundert Jahre und wir haben die Gelegenheit am Schopf ergriffen.

Er hat getobt und wollte uns alle sofort rausschmeißen. Schon nach der ersten Nummer gab es Änderungskündigungen und es wurde nur darauf gewartet, uns etwas nachweisen zu können: dass wir zu spät kamen oder dass wir Ausschuss produzierten. Aber wir kamen nicht zu spät und produzierten auch keinen Ausschuss.

Die Zeitung war sehr locker gemacht, was ja sonst bei Gewerkschaftszeitungen nicht so üblich ist. Mit Fotos, Kreuzworträtseln und den Hirnbeißfiguren. Es wurden einfach die Mängel angesprochen, die da waren, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen: Entlassungen kurz nach Neueinsteilungen, der Gestank und die Dämpfe in der Kopieranstalt, die fehlende Meinungsfreiheit und Mitbestimmung. Das haben wir angeprangert und ich hab’ das dann bei Betriebsversammlungen noch einmal wiederholt. Ich war einer der bestgehassten von der Betriebsleitung. Sie haben nur eine Gelegenheit abgewartet, mich zu erwischen. Ein Artikel über ARRI in HFF, Hörfunk, Fernsehen, Film, der Zeitschrift der RFFU-Gewerkschaft hat mir den Hals gebrochen. >Der schreibt über ARRI!< hieß es. >Geschäftsschädigung!< Sie haben mich sofort raus geschmissen. Ich hab’ natürlich Widerspruch eingelegt. Was mich am meisten gerührt hat, war die Unterschriftenaktion der Kollegen, die sich eingesetzt hatten für die sofortige Rücknahme meiner Kündigung.

Ja, der alte Arri, was über den Geschichten im Umlauf waren! Bei einem ARRI-Skirennen hat mir ein Kollege die erzählt: >An diesem Weihnachtsfest bekamen wir vom alten Arri als Gratifikation gerade mal fünf Mark. Ein Kollege von der Technik hat sie vor ihm auf den Tisch geknallt: Kannst behalten, dein Almosen! Da hat der Arnold gemeint: >Tu’s nur her, kann ich gut brauchen!< Er war ein Unikum, Geizkragen, Original und Genie in einem.

Der junge war da ganz anders. Er hatte keinen besonders guten Ruf bei den Arbeitern. Weil er nicht viel von Filmtechnik verstand und sich in unserer Gegenwart mit dem Leiter des Kopierwerkes gestritten hat, wo jeder wusste, dass der Bobby nicht recht haben konnte. Und wie er sich immer als Stenz aufgespielt hat mit seinen alten Autos und jungen Frauen. So richtig Schicki-Micki, schon damals.«

So hatte es am 17. Februar 1996 in der SZ (»Der Mann, der sich an Oscars gewöhnt hat«) geheißen: »Der Chef (Bobby Arnold) schillert, zweifellos.«

Heinz Koderer


Hella Schlumberger, Türkenstraße. Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998, 314 f.