Materialien 1979
Peter Schult Prozess
Ich will mal das Kind beim Namen nennen:
Das war gestern ein Tag. Ich habe ihn gut überstanden.
Die Kinder von der Indianerkommune zeigten eine Betroffenheit gegenüber den Schwulen, sie waren aufgebracht über die Gleichgültigkeit und sagten zu ihnen: „Mit Euch Dickärschen wollen wir nicht ficken, Ihr habt einen Panzer um Euch, Ihr seid gleichgültige Schweine. Was macht Ihr dagegen, dass das hier alles mit den Kindern passiert.“ Auch gegen uns alle, die wir da waren, Leute von der Roten Hilfe, ein junges Mädchen, eine ältere Frau, die immer bei für sie wichtigen Prozessen kommt. Sie sagte zu mir: „Mir tun die Kinder leid, sie stehen jetzt zwischen der Justiz und den Eltern“. In diesem Fall wurden sie kräftig von der Justiz hergenommen. Das heißt unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit dem Argument, es könnte den Kindern schaden. Eine Ironie ist das. Man soll halt wieder mal nicht mitbekommen, was und wie die Kinder befragt werden. Meiner Meinung nach suggestiv und ich wurde darin bestätigt. Der Staatsanwalt ein murmelndes Ungetüm, der Richter ziemlich hilflos, die Schöffen stumm. Sie kotzen mich an.
Ich könnte nicht richten. Ich will es auch nicht. Ich fühlte mich traurig, gestresst durch das, was im Gerichtssaal passierte, das war die totale Power. So Fragen: „Hat er oder hat er nicht“. Um mehr geht es da den Herren wohl nicht und wenn es um Sexualität geht, da redet man halt um den Brei rum, wie z.B. die zwei Bullen, die Zeugen waren. Der eine Herr konnte sich an nichts, aber auch wirklich nichts mehr erinnern. Eigentlich klar, ich nehme ihm das auch ab. Schließlich ist er Beamter und da kann ich mir vorstellen, dass man nach einer gewissen Zeit wirklich nichts mehr merkt. Er wusste auch nicht mehr, dass Peter vor den Kindern und Eltern an die Wand gestellt und nach Waffen untersucht wurde. Die Eltern sagten dann: „Seht ihr, das passiert mit solchen Leuten.“
Es ist eine Frechheit, was hier bei uns in München passiert. Darum war ich verletzt von der Welt der sogenannten „Erwachsenen“ und ich kann die Kinder gut verstehen. Es gibt genug kaputte Erwachsene, und Kinder sind auf sie angewiesen.
Die andere Seite, die „Scene“ hier in München, hat teilweise eine Kaputtheit und es sitzen Leute darunter, die ich liebe. Es wird einfach gelebt und versucht die Kaputtheit auszuleben und man ist sehr stolz. Die Leute haben einen Panzer und den brauchen sie auch total, sonst würden sie zusammenklappen. Sie können sich fast nie Gefühle leisten, sie sind hart nach außen, und irgendwo ist da noch „Liebe“. Mir kann niemand mehr so leicht was vormachen. -
Offen sein – Möglichkeiten. Liebe habe ich gegeben – Freiheit auch.
Ich weiß, es ist schwer, Liebe zu nehmen und zu geben … Meine Sexualität ist gestört, das liegt auch an meinen „Alten“ zu Hause. Das war schlimm für mich. Immer Streit. Meine Mutter, die zu allem immer „ja“ sagte und alles mit sich geschehen ließ. Mein Vater, der harte Typ, er konnte nie Gefühle zeigen. Und dann habe ich sie auch mal beim Vögeln gesehen und konnte das und kann das bis heute nicht unter einen Hut bringen. Da habe ich die Sexualität als abstoßend und ohne Liebe empfunden und das spiegelt auch die Gesellschaft wieder. Strichjungen … Menschen die man kauft und da will ich nicht mehr beteiligt sein – in keiner Beziehung. Kinder brauchen Liebe, Zuneigung.
Ich will erwachsen werden … erwachen … leben. Zurückgehen und total von vorne anfangen; mich erleben, fühlen, nicht nur orange tragen. Es gibt so viele schöne Farben. Müde bin ich, lege mich heute Nachmittag in’s Gras. Dann geht’s weiter, weiter, weiter…
Evi K.
Blatt. Stadtzeitung für München 146 vom 31. Mai 1979, 6.