Materialien 1979
Wunst
Ein neuer Anlauf
Die schleichende Entpolitisierung der Akademie nimmt immer konkretere Formen an, wird immer offensichtlicher. Durch Berufungen von unqualifizierten und reaktionären Leuten, Druckverbot von politischen Plakaten, Konkurrenz und Leistungsdruck wurden kritische und politische Aktivitäten eingeschläfert. Der Druck des Staates und seiner Organe auf kritische Kreativität in jeder Form, Kunst und Institutionen nimmt permanent zu. Das stets präsente Unbehagen konservativer, reaktionärer Kulturpolitik an der Kunst steigert sich bis zum Zweifel an der gesellschaftlichen „Nützlichkeit“ der künstlerischen Produktionen, soweit sie sich nicht an die vorbestimmten Spielregeln des Staates hält. Durch Streichung der Subventionen der bürgernahen Kulturläden, Theaterfestivals, Kunstvereins und Theater der Jugend usw. soll unkontrollierbare Kommunikation und Kreativität unterbunden werden. Kunst hat nach Ansicht der bayerischen Verwaltung „mit Form und Gestalt zu tun, nicht mit Fragen der Politik“. Kritische Kunst steht folglich im Verdacht systemverändernder Aktivitäten.
So schreibt der Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlung in einem Leserbrief vom 12. November 1978 an die Süddeutsche Zeitung über avantgardistische Kunst, er werde den Verdacht nicht los, dass eine kleine, aber äußerst agile Clique selbsternannter Meinungsmacher mit System auch heute noch sorgfältig zwischen „progressiver“ mitwirkender und „reaktionärer“, weil „unengagierter“ Kunst unterscheidet. „Progressiv“ erscheinen solchen Eiferern, die nie gelernt haben, das Heute an den Dimensionen der Geschichte zu messen, insbesondere natürlich gewisse Exegeten des Götzen Duchamp, die Hand in Hand mit den politischen Anarchisten kämpfen und fast zwei Menschenalter nach Dada unter dem Schutzmantel der von der Verfassung garantierten Kunstfreiheit immer noch kritiklos und stinkfad mit dem Null-Punkt kokettieren, obwohl inzwischen selbst ihr geistiger Ziehvater, der achtzigjährige Herbert Marcuse, nach bitteren Erfahrungen zur Besinnung und Korrektur seines kunsttheoretischen Kurses gelangt ist. („Die Permanenz der Kunst – wider eine bestimmte marxistische Ästhetik“, Minden 1978.) Nichts gegen „politische Kunst“, sofern Inhalt und Form, Gesinnung und Leistung im notwendigen Einklang stehen. Im übrigen scheint es nützlich, in diesem Zusammenhang an ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom 3. Juni 1975 zu erinnern, wonach „die Kunstfreiheit … zwar … vorbehaltlos, nicht aber schrankenlos gewährleistet“ ist.
Man beginnt also schon, die Freiheit der Kunst zu definieren und einzugreifen, verfällt aber nicht der plumpen Art der Nationalsozialisten, unliebsame und „entartete“ Kunst zu verbrennen, dafür kennt unser Staat heute subtilere Formen und Möglichkeiten, Kreativität in seine vorbestimmten Kanäle zu leiten. Um den äußeren Rahmen einer freiheitlichen und liberalen Kultur zu wahren, können künstlerische Äußerungen nicht einfach verboten werden, aber man kann sie an den Wurzeln (Kindergarten, Schule, Akademie etc.) durch restriktive Maßnahmen verändern, den Rest besorgt man durch ökonomische Unterdrückung. Mit der fortschreitenden Umstrukturierung der Akademie wird durch Vertreter des „rechten Maßes“, ein kontrollierbarer „Freiraum“ geschaffen, der Gewähr bietet für angepasste, staatskonforme „Künstler“, die es nie für nötig empfinden, Grenzen zu suchen, geschweige denn zu überschreiten. Es ist kein Zufall, dass sich nur wenige durch § 88a in ihrer künstlerischen Freiheit eingeschränkt fühlen. Aber es lassen sich viele dazu benutzen, dem Staat als Alibi einer liberalen, freiheitlichen und uneingeschränkten Kultur zu dienen. Überlassen wir das doch lieber den braven Technikern und Reichskünstlern wie Arno Breker oder M. Padua („Der Führer spricht“), denen es heute durch (Staats-)Aufträge (Porträts von F.J. Strauß, Karajan, Flick usw.) besser geht als je zuvor. Kunst muss wieder manierlich und sauber werden, sich an Regeln halten …
Basta
Blatt. Stadtzeitung für München 139 vom 9. Februar 1979, 7.