Materialien 1979
Putsch mit Paul
Sie drohten mit Streik, stürzten den neuen Trainer und den Vereinsboss gleich mit: Im März 1979 starteten die Spieler des FC Bayern eine einmalige Revolte. Erst wurde Sepp Maier als Anarchist beschimpft, dann übernahmen Paul Breitner und Uli Hoeneß den ganzen Club. Zum Glück.
Sepp Maier hatte Fieber, Paul Breitner lag mit einer schweren Magen-Darm-Grippe bis zum Freitag im Bett, und Karl-Heinz Rummenigge konnte wegen einer Bänderdehnung eigentlich gar nicht laufen. Doch am Samstag, dem 17. März 1979, quälten sich die drei Stars für den FC Bayern auf den Platz, ackerten sich in einem grausig anzusehenden Spiel zu einem 0:0 bei Eintracht Braunschweig – und jubelten nach dem Schlusspfiff, als wären sie gerade Deutscher Meister geworden. Ihr Plan schien aufzugehen.
Bis zu diesem 0:0 am 23. Spieltag war die Saison für den FC Bayern miserabel gelaufen. Der Club lag mit 23:23 Punkten auf Platz sieben der Tabelle, Trainer Gyula Lorant war bereits vor der Winterpause nach einem 1:7 in Düsseldorf rausgeflogen, unter seinem Nachfolger Pal Csernai ging es auch nicht recht voran. Die Spieler, die den ruhigen, umgänglichen Ungar Csernai mochten, hatten dem allgewaltigen Vereinspräsidenten Wilhelm Neudecker nach einer peinlichen 0:4-Heimpleite gegen Arminia Bielefeld gerade noch eine letzte Frist abringen können.
„Wenn wir in den beiden Auswärtsspielen in Braunschweig und Mönchengladbach drei Punkte holen, dann darf der Trainer bleiben, hatte uns Neudecker in die Hand versprochen“, erinnert sich der damalige Nationaltorwart und Bayern-Kapitän Sepp Maier … Ansonsten drohte Neudecker mit einem neuen Trainer, der vor allem eines sein sollte: ein harter Hund.
„Mit uns nicht!“
Um den Punkt in Braunschweig hatten die angeschlagenen Bayern-Stars deshalb gekämpft wie selten. Doch am Flughafen in Hannover war die Freude schlagartig vorbei. Paul Breitner, damals Antreiber und Wortführer des Teams, erzählt: „Dort haben wir von mitreisenden Journalisten erfahren, dass Neudecker bereits am Samstagvormittag Max Merkel als Trainer unter Vertrag genommen hatte.“ Merkel, in den Sechzigern Deutscher Meister mit 1860 München und dem 1.FC Nürnberg, galt als erbarmungsloser Peitschenschwinger. Das Gerücht bestätigte sich bei der Zwischenlandung in Frankfurt am Main, sagt Kapitän Maier: „Da gab es im Fernsehen schon ein Interview mit Neudecker zu sehen.“ Der Präsident hatte sein Versprechen gebrochen, Breitner und Maier waren vor Wut außer sich.
„Der Sepp und ich sind zur Mannschaft gegangen und haben gesagt: Mit uns nicht!“, erzählt Breitner. Eine Teamsitzung samt Abstimmung, wie später gelegentlich berichtet wurde, fand nicht statt, sagt Breitner: „Sepp und ich waren die Verantwortlichen, wir haben gesagt, was wir tun werden. Da gab’s kein Ja, kein Nein. Wir wussten, wie die Mannschaft denkt, und haben dementsprechend gehandelt.“
Noch am späten Samstagabend rief Maier bei Neudecker an und stellte ihm ein Ultimatum: „Der Mannschaftsrat und ich als Kapitän möchten Ihnen übermitteln: Wenn am Montagmorgen ein neuer Trainer da ist, dann kommen wir nicht ins Training, dann streiken wir.“ Der Präsident drehte am anderen Ende der Leitung fast durch, beschimpfte den Torwart aufs Übelste, nannte ihn einen Anarchisten, einen Rädelsführer und belegte ihn am Ende, so Maier, mit der schlimmsten Bezeichnung, die dem erfolgreichen Bauunternehmer Neudecker offenbar einfiel: „Sie reden ja wie ein Gewerkschaftsboss! Von ihnen lass ich mir gar nix vorschreiben, ich mach jetzt, was ich will, am Montag ist ein neuer Trainer da.“ Maier blieb hart: „Wir kommen, aber wir gehen nicht ins Training raus.“
Ein einmaliger Vorgang
Am Montagmorgen versammelten sich die Profis des FC Bayern um 10 Uhr in ihrem Besprechungsraum auf dem Vereinsgelände an der Säbener Straße. Kurz darauf stürmte Neudecker mit hochrotem Kopf herein und bellte in schneidigem Ton: „Meine Herren! Auf diesen Vorfall mit dem Herrn Maier trete ich zurück.“ Merkel war erst gar nicht erschienen. Anderthalb Stunden später bestätigte eine offizielle Pressemitteilung des Clubs Neudeckers Demission.
Den Spielern des FC Bayern, vor allem Sepp Maier und Paul Breitner, war etwas in der Bundesliga-Geschichte Einmaliges geglückt: Sie hatten durch ihren Widerstand gegen die bis dahin fast überall im Profifußball üblichen autoritären Strukturen einen bereits fest verpflichteten Trainer noch vor der ersten Übungseinheit gekippt und den damals wohl mächtigsten Vereinsboss im deutschen Fußball gleich mit
Wilhelm Neudecker war nicht irgendein Freizeitpräsident gewesen. Als er 1962 die Bayern übernahm, stand der Club im Schatten des mächtigen Ortsrivalen 1860, der ein legendäres Team beisammen hatte und im Gegensatz zu den „Roten“ in die neu gegründete Bundesliga aufgenommen wurde. Doch die Bayern folgten bereits 1965 und entwickelten sich auch unter Neudecker und dem Manager Robert Schwan rasant zu einer der besten Mannschaften der Welt, die bis 1976 vier deutsche Meisterschaften, viermal einen Europacup und den Weltpokal eroberte.
Das Tribunal
Breitner lobt Neudecker noch heute als „Visionär und Modernisierer“, der aber mit derart selbstbewusst auftretenden Spielern „völlig überfordert“ war. Zudem stand er 1979 schwer unter Druck, weil der FC Bayern sportlich immer weiter abrutschte und finanziell in arge Schwierigkeiten geraten war. Eine offene Revolution in dieser schwierigen Lage war gewagt, zumal die Öffentlichkeit fassungslos bis ablehnend reagierte.
Sepp Maier wurde angesichts der brisanten Situation live ins „heute-journal“ zugeschaltet, wo der Moderator zur Einführung einen Text verlas, der eher an ein Tribunal denn an ein Interview erinnerte. Maier, bereits im Bild, bebte vor Zorn und ließ den Fragesteller anschließend gar nicht mehr zu Wort kommen. „Jetzt red I!“, befand der sonst als notorischer Spaßvogel bekannte Keeper und stellte in einem wütenden Monolog klar: „Wir haben weder den Präsidenten gestürzt, noch sind wir eine Terrortruppe. Ich bin kein Anarchist, ich bin nur der Mannschaftssprecher des FC Bayern.“
Die Stimmung blieb trotz des verbalen Befreiungsschlags gespannt. Neudecker, der auch im Vorstand des Deutschen Fußball-Bundes saß, sorgte offensichtlich dafür, dass Maier vorerst aus der Nationalmannschaft flog. Am darauffolgenden Samstag reisten die Bayern zum ewigen Erzrivalen Borussia Mönchengladbach, der allerdings auch eine miese Saison spielte und sogar noch einen Punkt hinter den Münchnern lag. Was würde passieren?
Entrückt, auf einer Wolke schwebend
Wer gehofft hatte, dass der FC Bayern einbrechen würde, sah sich getäuscht: Die Spieler im roten Dress rannten und kombinierten, als ginge es um ihr Leben. Oder noch etwas mehr. Zur Halbzeit führten sie bereits 5:1, am Ende stand es 7:1, allein Karl-Heinz Rummenigge schoss drei Tore und gab drei Vorlagen. Die Revolution war vollendet.
Im brillanten Dokumentarfilm „Die Profis“ sieht man die Bayern-Stars nach dem Triumph auf dem Düsseldorfer Flughafen. Sie scheinen selig entrückt auf einer Wolke zu schweben und sind gleichzeitig so wild entschlossen wie Piraten auf einer Kaperfahrt in stürmischer See – allen voran der rauschebärtige Paul Breitner, damals gerade 27 Jahre alt. „Wir mussten gegen Gott und die Welt spielen“, sagt er grimmig in die Kamera: „Alle Leute haben uns nur das Schlechteste gewünscht, denn das war etwas, das im deutschen Fußball noch nicht da war. Dass wir uns eben gegen den Trainer und damit auch gegen den Präsidenten gewandt haben, dass wir da für deutsche Verhältnisse revolutionäre Wege gegangen sind, ist etwas, was der Deutsche normalerweise nicht akzeptiert, und schon gar nicht von hochbezahlten Fußballern. Denen gibt er nicht das Recht, überhaupt seine Meinung zu sagen.“
Breitner war die historische Einmaligkeit der Situation damals bewusst, denn er fügte noch hinzu: „Das ist, glaube ich, das erste Mal in mehr als 75 Jahren FC Bayern, dass die Mannschaft nach dem Spiel einen saufen geht.“
Die neuen Herren
Tatsächlich übernahmen die Spieler in der Folge sogar den ganzen Club – zumindest zwei von ihnen. Uli Hoeneß, der zu Beginn der Saison 1978/79 noch für die Bayern auf dem Platz stand, aber immer wieder mit Knieproblemen zu kämpfen hatte, übernahm zum Ende der Spielzeit den Posten des Managers. Diese Personalie war zwar noch unter Neudecker eingefädelt worden, doch durch dessen Abgang erhielt Hoeneß, damals ebenfalls erst 27, schnell eine ungeahnte Machtfülle. Sepp Maier musste zwar nach einem Autounfall im Sommer 1979 seine Karriere beenden, doch Hoeneß’ bester Freund Paul Breitner war fortan als Spieler dem Trainer Pal Csernai mindestens ebenbürtig.
Der Erfolg kehrte zurück. 1980 und 1981 wurden die Bayern wieder Meister, 1982 erreichten sie das Europacupfinale. Ohne die Revolte von 1979 würde es den FC Bayern in der heutigen Form möglicherweise gar nicht geben. Als Nachfolger von Hoeneß ist in diesen Tagen auch Paul Breitner im Gespräch.
Nicht einmal der geschasste Trainer Max Merkel war den erfolgreichen Revoluzzern lange böse. „Dem war das wurscht“, erzählt Sepp Maier heute grinsend, „er hat zwei Jahre Gehalt vom FC Bayern bekommen, obwohl er nicht ein einziges Mal auf dem Trainingsplatz gestanden hat.“
Jörg Schallenberg
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