Materialien 1979

Geisteraustreibung

Gegen das Verbot des Kumis von „Was heißt’n hier Liebe …!“
im Theater der Jugend

Das Mittelalter ist nah. Die Katholiken kritisieren unter dem Pseudonym „Maria Goretti Freundeskreis“ die heidnisch-soziale Politik der sogenannten Bundesrepublik. Sie hat sich durch den Sexualkundeunterricht schuldig gemacht an der teuflischen Verführung der Grundschüler. Die Verantwortungslosigkeit zeigte sich vor allem nachweisbar an der Syphilis, der Abtreibung, der Verführung Minderjähriger. All das sind Folgen heidnisch-sozialer Aufklärung, hinter der der Teufel steckt. (So der Geist eines Flugblatts dieses Mariakreises, der im übrigen lange Zeit der Roten Grütze vorausgereist ist, um für Saalverbote zu werben.)

Was ist die Antwort des Kultusministers auf diese Vorwürfe? Wo wird er den Teufel finden? Die ersten hat er habhaft gemacht: es sind die Theaterleute der „Roten Grütze“, die das Stück „Was heißt’n hier Liebe“ geschrieben haben. Die Aussage des Stücks ist unmoralisch und heidnisch, denn es möchte, dass die Kinder lernen können, mit der sexuellen und seelischen Liebe umzugehen. (Übrigens heißt Religion nichts anderes als Selbstfindung, den Weg zu sich selbst finden, um sich selbst zu verwirklichen.)

Kumi Maier aus Bayern ist gegen die Religion, ist gegen die Selbstverwirklichung, ihm muss seine Besessenheit ausgetrieben werden. Er hat jede Werbung für das Liebe-Stück in den bayerischen Schulen untersagt. Weiter hat er das Verbot erlassen, dass die Schüler klassenweise zu den Vorstellungen des Theaters der Jugend gehen. (Dieses Verbot wurde vor ein paar Tagen ausgeweitet bis zur Oberstufe der Gymnasien und Realschulen.) Nun lebt das Theater der Jugend vom Klassenbesuch der Schulen. D.h. nichts anderes, als dass das Stück vom Kumi abgesetzt wird im Namen der Katholischen Kirche.

Die Münchner Kellertheater und die Freien Theatergruppen haben mit der IFTA, das sind alle Theatergruppen in Deutschland, die gegen jede Zensur sind, eine Austreibung für Minister Maier durchgeführt. Der Geist mit dem Namen „Zensur“ wurde feuerspeiend von hundertfünfzig weißbemalten Zauberern an der Theatinerkirche beschworen.

Die Formel hieß:
„Hebe Dich hinweg, Zensur!“

Die Feuerflamme stieg zu den grauen Wolken und die Asche fiel auf das Gebäude des Kultusministeriums nieder, vor dem Fenster des Ministers Maier.

Was wird passieren?

Horst Tiger, München


Blatt. Stadtzeitung für München 140 vom 23. Februar 1979, 8.

Überraschung

Jahr: 1979
Bereich: Zensur

Referenzen