Materialien 1979

„Was heißt'n hier Liebe?“

im TdJ und Anderes

Die Lust an der Liebe und am eigenen Körper ist den Jugendlichen der Haupt-, Real- und Oberschulen in Bayern verboten. Auf jeden Fall, wenn man den Ansichten und Maßnahmen der römisch-katholischen Kirche, des Kumi und des Bayernkurier freie Hand lassen würde. Ich glaube, dann hätten wir bald wieder unzählige sexuell verklemmte Schreibtischhocker und Streber in den bayerischen Schulklassen, denen jetzt schon der klassenweise Besuch des nachinszenierten Rote-Grütze-Stückes verboten wurde. „Besprich Deine Probleme mit Deinen Eltern, wenn sie können, mit dem Pfarrer, wenn er kann, mit dem Lehrer, wenn er darf.“ Ich sprach mit Bernd vom TDJ.

Bernd: Am liebsten hätten wir das Stück bayerisch gespielt. Aber unsere Schauspieler sind alle aus Norddeutschland. Vom Produktionsvorgang her lag, da das Stück ja schon geschrieben war, die Wichtigkeit vor allem auf der Zusammenarbeit mit Jugendlichen, um den Umkreis des Stückes hier am Ort zu testen. Über einen Monat lang haben die Schauspieler in Schulklassen hospitiert, die dann auch bei den Proben dabei waren. Offiziell darf man ja auch gar nicht als Externer im Unterricht zuhören, das geht nur durch befreundete Lehrer. Trotzdem hat das jemand spitzgekriegt und an’s Kumi weitergegeben, dadurch das Verbot. Die Rote Grütze hat hier in München nur eine punktuelle Arbeit gemacht, sie kamen her, spielten eine Woche, und fuhren dann wieder weg. Für uns ist der ständige Kontakt zu den Jugendlichen wichtig, und dass Querverbindungen zu den anderen Stücken entstehen. „Was heißt hier Liebe“ ist in direktem Zusammenhang zu „Mensch Mädchen“ zu sehen. Das nächste Stück, was wir machen, ist über die Kriminalisierung von Jugendlichen nach dem schönen Gruppendeliktsparagraphen. Da geht es mit denen, die „Was heißt hier Liebe“ sahen, weiter. Das ist eine kontinuierliche Entwicklung. Es geht um’s Gruppendelikt, wie z.B. in der Zeitung steht „Rowdys in der U-Bahn oder Schlägerbanden schlägerten Rentner zusammen“, wie sowas entsteht, wie die Leute in ’ne Mühle geraten, wo sie nicht mehr rauskommen. Das ganze endet mit einem utopischen Schluss, der Hoffnung gibt. Also nicht nur eine Zustandsschilderung wie bei den früheren Kroetz-Stücken. Es gehört auch dazu, dass die Jugendlichen nachher noch mit den Schauspielern reden können. Die ständige Konfrontation der Jugendlichen mit dem, was wir so machen, ist für unsere Arbeit lebenswichtig, und die wird durch so’n Verbot eben teilweise kaputtgemacht.

Im Herbst planen wir ein Stück über die Probleme zwischen ausländischen und einheimischen Jugendlichen. Ausländerkinder – deutsche Kinder … und auch die Ausländer untereinander. Der Spieltitel lautet wahrscheinlich „Westend-Story“. Es soll Rock-Musik drin sein, wir sind schon u.a. mit Sparifankal im Gespräch. Wir suchen noch ’nen Autor dafür. In der Spielhandlung gibt es auch einen „Schwarzen Sheriff“. Der ist sehr differenziert gezeichnet. Es ist der Vater von dem Jungen, der ein Gruppendelikt begeht. Für ihn bricht eine Welt zusammen, als er von seinen Kollegen, der Polizei verhört wird. Er will da zuerst auf die Kumpeltour machen. Die Premiere ist aber erst im Oktober.

Manuel Koester


Blatt. Stadtzeitung für München 141 vom 9. Mai 1979, 31.

Überraschung

Jahr: 1979
Bereich: Zensur

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