Materialien 1979
Sehr geehrter Herr Professor
Offener Brief
Am 23. Mai lässt sich der Professor Carstens zum Abschluss (?) seiner beispielhaften deutschen Karriere in Bonn zum Präse küren. Heinz Jacobi hat ihm dazu einen offenen Brief geschrieben:
Sehr geehrter Herr Professor Dr. Carstens,
heute, am Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation eines verbrecherischen Reiches, dem Sie gedient haben, widerrufe ich nach längerem Nachdenken allen Protest, den ich gegen Ihre Nominierung vorgebracht hatte. Ich halte Sie geradezu für prädestiniert – wie die Globke, Oberländer, Seebohm usf. usf.: wie alle Altnazis in führenden Positionen -, diesen mörderischen Staat zu vertreten. Wenn dieses – angeblich verunglimpfbare – Gebilde aus Anmaßung, Dreck, sinnfreier Ordnung, Mord, Übermut der Ämter, Gewissenlosigkeit und Zynismus einen Repräsentanten verdient, dann doch Figuren wie Filbinger oder Sie; korrekte Erfüllungsgehilfen der Barbarei. Gegen diesen Typus kann man nicht mehr demonstrieren, sondern nur mehr darauf hinweisen, dass sich in ihm das niederste deutsche Schicksal erfüllt. Geboren unter Hitler, erzogen im antifaschistischen Sinn, aber aufgewachsen unter Adenauer, satirisch gestimmt unter Lübke, überrascht mich nichts mehr – und gewiss nicht Ihr frischer Mut, als Alt-Nazi eine Republik vertreten zu wollen, die Sie verdient.
Mit „Heil Hitler“ möchten selbst Sie verständlicherweise nicht mehr gegrüßt werden, so entschließe ich mich, um die vorzügliche Hochachtung zu umgehen wie Sie die Wahrheit, zu einem schlichten
Heil Carsten
Heinz Jacobi
Blatt. Stadtzeitung für München 146 vom 18. Mai 1979, 16.