Materialien 1979

Glimpf und Unglimpf

Dem Alt-Nazi und Neu-Bundespräsidenten Prof. Dr. Karl Carstens hatte ich am 8. Mai 1979 – dem Tag seines Austritts vor 34 Jahren aus der NSDAP – einen Brief gesandt, den BLATT als offenen Brief abdruckte, und zwar am 16. Mai. Die Substituten des Herrn Carstens sahen bisher wohl keinen Grund, die erweislichen Wahrheiten den Bütteln zu überantworten, wohl aber unser aller Liebling, der pfiffige Staatsanwalt Steiner, Gruppenleiter (ob er’s zum Obergruppenführer bringt?). Steiner, der mit seinem Chef Stocker in meinem bereits geflügelten Wort west: „Über Stocker und Steiner zum Rechtsstaat“; Steiner, sonst eher flink: denn das Mittwoch mittags erscheinende BLATT konnte er einst schon freitags früh in einen Prozess Strauß-Jacobi einbringen. Doch diesmal gelang es ihm, mit Hilfe des beliebten Opportunitätsprinzips, die Haus- und Heimsuchungen des BLATTs und verschiedener Wohnungen just auf den Zeitpunkt des Beginns der Bundesversammlung zu legen, damit ja nicht dieser Vorgang (Schimpfworte gestrichen) durch unzeitige Publikationen über Repression im Zusammenhang mit Vergangenheit und Gegenwart des Candidus (Doch Carstens ist ein ehrenwerter Mann!) gestört werde.

So erschien am Vormittag des 23. Mai eine Gruppe (Bande gestrichen) von mindestens einem Bäckerdutzend Polizisten (incl. entsicherter Maschinenpistole) in der Martin Greif-Straße 3, um mit mir den Geburtstag des Grundgesetzes auf ihre Art zu feiern, den ich allerdings woanders beging. (Davon später.) Die heroische Eroberung eines Blattes Papier konnte stattfinden. Bei der letzten Haussuchung vor zehn Monaten konnte man auf Zeugen – entgegen dem Polizeiaufgabengesetz – verzichten, man führte den neugierigen Nachbarn Peter Reuss im Polizeigriff ab, durchsuchte seine Wohnung gleich mit, beschlagnahmte seine Kamera, dann nur den Film, und tat sich um, um nichts zu finden. Es kam zu einem nachweislichen, von mir erfolglos angezeigten Diebstahl im Amt, ansonsten wurde ein großer Aufwand für nichts vertan. Dieses Mal erbeutete man tatsächlich zwei Durchschläge unter Aufsicht meines Anwalts Wächtler und meines Freundes Armin Witt. Das Original aber war einfach weg. Bei Herrn Carstens. Die Suche jedoch ist verständlich, da ich, Heinz Jacobi, meine Texte unter dem Pseudonym Heinz Jacobi zu verfassen pflege – und zu dieser gelungenen Tarnung auch stehe.

Gleichzeitig erschreckten fünf Herren in Frankfurt meine 74-jährige Mutter. Man las andere Briefe, lernte unseren Keller und ihr Büfett von innen kennen, erreichte die Aufregung meiner Mutter und eine kleine Trübung unserer Beziehung.

Die Frage nach meinem Aufenthalt ließ sie ungerührt. Ich war jedoch, Freunde vom 14. K, in Bonn, um dem Alt-Nazi ein Leid zu tun. Im „Anachronistischen Zug für Freiheit und Democrazy“ nach dem Gedicht von Bertolt Brecht stellte ich mich zur Stunde der Heimsuchung bereit, in der Maske des Strauß (ironischerweise gerade ich als presserechtlich Verantwortlicher des Anti-Strauß-Komitees – von Strauß, Steiner, Stocker, Görlich und wie die traurigen Figuren des Rechtsstaats heißen, mit LÄCHERLICHEN Prozessen überzogen) „Freiheit für das Geschäft mit dem Tode“ zu fordern. Da auch in Bonn die Zensur – durch den Polizeipräsidenten persönlich – überaus rührig war, wurde dieses Schild verboten und rasch ersetzt durch „Freiheit für die Rüstungsindustrie“. Hinter mir marschierten die „grauen Herren“ der Mordindustrie, vor mir ein – zeitweise festgenommener – Trupp der SA.

Um Herrn Gruppenleiter Steiner und seine ganze antikriminelle Vereinigung zu beruhigen: ich stehe weiterhin voll und ganz hinter den wahren Aussagen des Carstens-Briefes, halte diesen Staat nicht für verunglimpfbar, und halte ihn umso weniger dafür, als die staatlichen Maßnahmen in ihren wirrsinnigen Dimensionen meine Einschätzung nur bestätigen. Man kann nichts lächerlich machen, was das fortwährend selbst besorgt. Und abgesehen davon, Herr Gruppenleiter Steiner, lehne ich den Staat und seine Vertreter einfach ab. Alle Staatsgewalt ging einmal vom Volke aus, aber nun ist sie auf und davon und sitzt über dem Volk. Solange sie nicht zum Volke zurückkehrt, soll sie mir gestohlen bleiben.

Heinz Jacobi
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Blatt. Stadtzeitung für München 147 vom 1. Juni 1979, 5 f.

Überraschung

Jahr: 1979
Bereich: Alternative Medien

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