Materialien 1980

Königsplatz 1980 Aufmarschplatz

„ÖFFENTLICHES REKRUTENGELÖBNIS, GROSSER ZAPFENSTREICH“ hieß es am 6. November in München für 2.000 Rekruten am Königsplatz. Ausgerechnet am Königsplatz, dem Platz der großen Aufmärsche der Nationalsozialisten, gelobten sie Treue und Dienst am Vaterland, am ewigen deutschen. Und Franz Josef Strauß, Führer des wehrhaften Stammes Bayern durfte von „engagierten, jungen Bayern“ sprechen, denen der Dank „aller Deutschen (sic) gelte“.

Eine Welle von öffentlichen Rekrutengelöbnissen erschüttert das ganze Land. Vaterlandsliebe ist in. In den Medien tönt wieder öfter die Nationalhymne (warum nur, Anm. vom Tipper), können Politiker aller Couleur unverblümt Kriegshetze äußern.

Aber es wächst auch der Widerstand gegen diese Art öffentliche Aufrufe: In Bremen kam es zu blutigen Krawallen, deren Gewalttätigkeit allerdings erschrecken (nicht verwundern, der Tipper) musste.

Viel weniger erfuhr der geneigte Leser unseres Einheits-Presse-Breis von dem gewaltfreien Protest eines (1) Rekruten !!! anlässlich dieser Zeremonie im Norddeutschen Raum Kamen. Er trat aus dem Glied und übergab ein Protestschreiben!

Auch in München – und ich komme gerade selbst vom Königsplatz und spüre noch das Tränengas -, musste ein Rekrut von Feldjägern vom Platz geschleift werden. Ich bewundere seinen Mut anlässlich der wahrhaft einschüchternden Dimension dieses Spektakels: Gespenstig tiefbestrahlter Platz, 2.000 Rekruten, mehrere hundert Demonstranten an allen Ecken, trotz dreifachen Sicherheitskordons der größten Gruppe: die Polizisten, junge Männer aus Nürnberg, Schweinfurt, zum Teil noch in Ausbildung, die gar nicht begreifen, worum es hier geht. Sobald Besucher ihre Meinung laut äußern wollten, mußten die Polizisten aktiv werden. Dabei machten sie vom Hausrecht der Bundeswehr Gebrauch, so erklärten sie auf Anfragen stereotyp. Da Sie allerdings in so großer Zahl Wache hielten, konnte auch der kleine Prozentsatz der brutalen Jungpolizisten ernsthaften Schaden anrichten:

Chemische Keule direkt in die Augen, Stiefeltritte auf liegende Menschen. Auf Chöre, die „Polizeistaat“ oder „Aufhören“ skandierten, stürmten zwanzig bis dreißig Polizisten los und griffen sich einige Polizeistaatstörer wahllos heraus und schleiften sie zur „Identitätsüberprüfung“. Juristischer Beistand wurde in meinem Beisein mehrmals auf ausdrücklichen Wunsch nicht zugelassen. Ein Zivilbeamter zerriss einen Presseausweis.

Ich muss zugeben, dass ich im Augenblick noch nicht fähig bin, das eben Gesehene zu verarbeiten. Dennoch halte ich es für wichtig, von dem Protest einiger hundert zu berichten. Von der Stelle, an der die Fernseh- und Rundfunkteams nicht nur die Klänge der Bundeswehrkapelle „drauf“ bekamen, sondern ab und zu einen Ausschnitt dessen, wovor wir warnen: Vor einem umfassenden Militär- und Polizeistaat, in dem als Gegenleistung „nie die Lichter ausgehen“.

Stefan Haug

Kommentar: Als Kommentar zu der ganzen Scheiße lediglich ein Satz unseres Bayernführers: Nur unkalkulierbares Risiko kann Frieden gewährleisten! Unser Ministerpräsident hat vielleicht doch kein Abitur!


Münchner Zeitung 4 vom November 1980, 3.

Überraschung

Jahr: 1980
Bereich: Bundeswehr

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