Materialien 1980

Faule Antworten von Ministern

Kann man das so stehen lassen?

In der Münchner Zeitung 6 hat einer von uns in seiner großen Sorge ernste Fragen an die zuständi-
gen Minister gerichtet – in einem höflichen, drängenden Ton. Er wollte den Herren sagen, wo uns der Schuh drückt und warum die Verbitterung wächst. Er wollte Verständnis und Betroffenheit aus der Antwort hören. Und was bekam er? Scheinantworten und Phrasen, politische Almosen von den Tischen der Herren, die den Kontakt zur Basis verloren haben!

Jeder konnte in den Antwortschreiben die scheinheiligen Ausflüchte erkennen: „keine Zeit – nicht zuständig – verweise auf meine früheren Ausführungen“ … Dabei waren die klugen Fragen zum Rekrutengelöbnis am Königsplatz so wesentlich und grundlegend, dass mit einer guten Antwort ein Stück wahre Demokratie hätte entstehen können: das Ernstnehmen des besorgten mündigen Bürgers und das Miteinbeziehen in angeblich „notwendige Entscheidungen“. Aber nichts von alle-
dem! Nur Abspeisung eines lästigen Fragers mit ein paar leeren Worten!

Wir müssen uns mit diesem traurigen Vorgang befassen, denn hier zeigt sich ein Schwerpunkt unserer Scheindemokratie: Der Dialog zwischen Oben und Unten kommt nicht zustande! Und wahrscheinlich kann nur dieser Dialog den Weg aus der tödlichen Sackgasse weisen.

Von unten scheint jetzt die Sachlage so:

Die gewählten Mandatsträger bezeichnen sich zwar als „Repräsentanten“ des Bürgers, aber sie übergehen ihn. Wenn jetzt diese „Repräsentative Demokratie“ sich vor aller Augen in einen Mili-
tär- und Polizeistaat verwandelt und ehrliche Demokraten die Herren Minister an ihre Pflicht erinnern, das zu verhindern, dann werden sie mit Phrasen abgespeist und bekommen auf die wesentlichen Fragen keine Antwort. Das ist kein Einzelfall, sondern hundertfache Erfahrung.

Aber nun müssen sich die Herren Minister die Frage nach ihrer Verfassungstreue gefallen lassen. Wo bleibt bei der offensichtlichen Missachtung des Bürgers die „Würde des Menschen“, das „Volk als oberster Souverän“? Sie mögen sich nicht herausreden, sie hätten keine Zeit! Ein Minister hat genügend kluge Köpfe um sich, die ihm auf so entscheidende Grundsatzfragen, wie die von Alfons Haug, eine individuelle Antwort ausarbeiten können.

Heute müssen bei uns Bürgern in dieser Situation finstere Verdächte aufsteigen: Wissen unsere Spitzenpolitiker selbst keine brauchbaren Antworten mehr? Sind sie vielleicht mit Intrigen und Machtgerangel so beschäftigt, dass sie gar nicht mehr an den Bürger denken können? Dienen die schönen Sonntagsreden nur dem eigenen Prestige und der Machterhaltung? Denkt man vielleicht: „Auch Fehlentscheidungen müssen durchgeboxt werden. Die Masse merkt ja sowieso nichts. Und die paar Wachen, wie Alfons Haug, die sind isoliert und deshalb ungefährlich!“

Der in der Münchner Zeitung veröffentlichte Briefwechsel von Haug mit Vogel und Apel ist symp-
tomatisch für viele. Ich habe eine Reihe ähnlicher geführt. Man resigniert deshalb, weil man sich allein gelassen fühlt und weil man sich denkt, dass man vielleicht zu viel von dem mächtigen Her-
ren verlangt hat.

Aber die Situation hat sich heute entscheidend geändert. Die anstehenden Fragen sind jetzt von existentieller Art: Bedrohung des Lebens durch zunehmende Radioaktivität! Bedrohung unserer Nahrung durch Umweltgifte! Verseuchung von Wasser und Luft! Und jetzt auch deutlich: Bedro-
hung des Weltfriedens durch die Prestigesucht und das Wettrüsten der beiden Supermächte! – Unsere Regierung hat sich ausgerechnet auf die Seite des einen „Kindskopfes“ geschlagen, der jetzt meint, seine „Atomtrümpfe“ ausspielen zu müssen und dessen neuer Außenminister ernsthaft meint, einen Atomkrieg „gewinnen“ zu können. Jeder normale Mensch weiß, dass das den Strah-
lentod der Menschheit bedeutet. Und trotzdem hat es bei seiner Amtseinsetzung keine Proteste gegeben. Man ist fatal an den Spruch von W. Busch erinnert: „Nur die allerdümmsten Kälber wäh-
len ihre Metzger selber!“

Aber es gibt einen Lichtblick. Ein Teil der Jugend ist heute hellwach, ist mündig geworden. Sie ist nicht mehr bereit, sich auf irgendeinem Schlachtfeld für Macht und Geld der Großen verheizen zu lassen. Sie verlangt heute Rechenschaft von ihren Ministern. Sie stellt die richtigen Fragen:

Wo bleibt die versprochene Lebensqualität: Schutz vor Vergiftung, Geborgenheit, Mitspracherecht, Zukunftsaussichten??

Wo bleibt die vernünftige Friedensstrategie ohne Völkermord??

Wo bleibt die Befreiung unseres Staates von der heimlichen Diktatur der Konzerne??

Wo bleibt die viel zitierte „Menschenwürde“??

Wo bleibt die wahre Demokratie??

Walter Harless


Münchner Zeitung 7 vom Februar/März 1981, 5.

Überraschung

Jahr: 1980
Bereich: Bundeswehr

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