Materialien 1980

Es gibt uns: Reinhard Zimmermann im Gespräch

„Bürgerinitiativen sollen kein Dauerzustand sein. Sie sind ein Indiz für Widerspruch, wenn die definierten Politiker nicht ausreichen. Ihr Ziel ist es, sich in Institutionen zu verankern, um neue Sitten zu formen.“ Der dies sagt, ist ein alter Hase in Sachen Bürgerinitiativen. Reinhard Zimmermann, geboren in München vor nunmehr 48 Jahren, reiste nicht nur durch die Welt (längere Aufenthalte als Sprachlehrer in England, Südamerika, Irland und Schottland), sondern lernte auch die bayerische Bürokratie und Filzpolitik kennen. Als langjährig engagiertes Mitglied der Mieterinitiative ist er vielen bekannt – für den Rest der Welt: Reinhard Zimmermann im Gespräch mit SCHWABING EXTRA.

sx: Wann und warum hast Du mit Deiner Stadtteilarbeit begonnen?

r.z.: 1970 in der Bürgerinitiative „Aktion Maxvorstadt“. Grund war die zunehmende Vertreibungspolitik in München: Banken vertrieben Handwerksbetriebe, Luxussanierungen alteingesessene Bürger. Wir veranstalteten des erste politisch akzentuierte Straßenfest in München in der Amalienstraße.1 1972 kam dann die Olympiade. München wurde zur Weltstadt ausgerufen – die schon bestehenden Probleme verschlimmerten sich. Die zunehmende Attraktivität Münchens, mit der ständig geworben wurde, zog immer mehr Menschen und Autos in die Stadt, damit auch Bodenspekulanten. Hinzu kam, dass die CSU eine starke Politik der Industrialisierung des Agrarlandes Bayern verfolgte – während die später entstehenden Grünen eher für die konservativen Werte eintraten.

sx: Wie reagierten die Münchner Politiker auf Eure Aktivitäten?

r.z.: Sehr unterschiedlich. Begegneten wir den Politikern auf lokalpolitischer Ebene, fanden wir immer Gehör und Zustimmung, auch Kritik an den bestehenden Mißständen. Sobald wir sie jedoch aufforderten, unsere Anliegen auf Bundesebene durchzusetzen, war es aus. Dort wurde meist dem zugestimmt, was der Bund wollte. Eine Ausnahme war Klaus Hahnzog, damals noch Kreisverwaltungsreferent, ein wirklich bürgernaher Politiker, der immer versucht hat, unsere Arbeit zu unterstützen.

sx.: Die Erfahrungen, die Du bis dahin gewonnen hattest, konntest Du dann in Deiner eigenen Straße, der Agnesstraße anwenden?

r.z.: Ja, plötzlich waren wir im eigenen Viertel betroffen. 1980 wurden die Häuser Agnesstraße 62/64 und 66 an Spekulanten verkauft. In einem jahrelangen Kampf konnte schließlich erreicht werden, dass den Bewohnern ein Vorkaufsrecht auf ihre Wohnungen eingeräumt wurde. Natürlich waren wir mit dieser Lösung nur bedingt glücklich, da sich erstens nicht alle diesen Kauf leisten konnten, und wir natürlich um eine politische und nicht um eine private Lösung kämpften. Das heißt, wir wollten Gesetze, die solche Spekulationsverkäufe überhaupt verhinderten. Mit Hilfe des Mietexperten Mühlhäuser gelang es uns dann später, dass zum ersten Mal in München die Erhaltungssatzung in unserem Stadtteil angewandt wurde. (Erhaltungssatzung heißt, dass die Stadt Vorkaufsrecht hat und die bauliche Substanz erhalten bleibt.)

sx.: Welchen Einfluss hatte Eure Arbeit auf die Bewohner in Deinem Stadtteil?

r.z.: Man hat sich besser kennen gelernt. Die Bedrohung war eine Herausforderung, näher zusammenzurücken und wieder etwas von der liebenswürdig dörflichen Nachbarschaft aufleben zu lassen, die München einmal hatte.

sx.:. Was konntet Ihr bis heute erreichen?

r.z.: Ganz sicher ist einer unserer größten Erfolge die Anwendung der Erhaltungssatzung, und die Erhaltung von Wohnraum in unserem Stadtviertel. Der Mieterverein „Mieter helfen Mietern“ ist ebenfalls aus dieser Bewegung entstanden. Diese hat gerade die Unwirksamkeit einer ganzen Reihe von mieterfeindlichen Klauseln in Mietverträgen erstritten. Mitglieder der Mieterinitiative sitzen im Bezirksausschuss. Auch in anderen bedrohten Stadtteilen wehren sich die Bürger gegen die Vertreibung, werden Mieterinitiativen gegründet.

sx.: Welches positive, welches negative Erlebnis hat sich Dir besonders eingeprägt?

r.z.: Für beides fällt mir ein Mieter-Sternmarsch ein, den wir einmal auf dem Marienplatz veranstaltet haben. Zuerst das Negative: Unser Antrag auf Bewirtung der Demonstranten wurde nicht genehmigt. Wir haben uns also mit Selbstverpflegung geholfen, und weil wir in Bayern sind, auf dem Marienplatz ein Fass Bier aufgemacht mit den Worten „ozapft is“ – getreu alter bayerischer Tradition. Dafür erhielt ich dann eine Anzeige wegen Verstoß gegen die Auflagen und musste vor Gericht. Zwar wurde das Verfahren nach einiger Zeit niedergeschlagen, doch die Taktik, unliebsame Bürger einzuschüchtern und mürbe zu machen, war doch eine sehr deprimierende Erfahrung. Das Positive: Auf derselben Demonstration habe ich erlebt, wie die Menschen in gelöster Stimmung auf dem Platz standen und sich, unterstützt von dem Kabarettisten Ottfried Fischer, das herrliche Gefühl breit machte, dass dieser Platz, diese Stadt nicht nur den Spekulanten, sondern auch uns gehört. Dass wir Bürger eine Stimme haben, wenn wir zusammenhalten.

sx.: Wie viel Zeit investierst Du in diese Arbeit?

r.z.: Früher war es ein Full-time-job. Da musstest du schon Student oder Rentner sein, um konkurrenzfähig zu sein. Schließlich waren und sind die Gegner, die Spekulanten, ja bestens ausgerüstet, haben Ihre Büros, ihre Pressesprecher, ihre Anwälte. Inzwischen ist es bei mir in Sachen Mieter etwas ruhiger geworden. Ich bringe meine Erfahrungen in anderen Mieterinitiativen ein und veranstalte immer noch unser Straßenfest.

sx.: Dein wievieltes in diesem Jahr?

r.z.: Mein zwanzigstes. Es ist immer wieder wichtig, solche Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen, zu zeigen, dass es uns immer noch gibt- – wache und engagierte Bürger.

sx.: Der Wohnraum in München wird immer enger, Wohnungen werden zum Luxusartikel, für viele kaum noch bezahlbar. Wie ist diese Entwicklung aufzuhalten?

r.z.: Man muss die Zentralisierung abbauen. Nimm z.B. den Hochglanzmythos Schwabing. Kunstviertel! Und was ist die Realität? In der Kunstakademie wird an Heizung und Personal gespart – die Ateliers sind deshalb samstags geschlossen. Es ist doch ein Aberwitz, dass wir in einem der reichsten Länder der Welt Probleme mit Wohnraum haben. Es müssen andere Wege als bisher eingeschlagen werden, um die Probleme zu lösen. Deswegen versuchen wir mit unseren Initiativen in die Parteien einzudringen, um im Mercedes- und DM-Land alternatives Gedankengut gesellschaftsfähig zu machen?

sx.: Du hast Philosophie studiert und betreibst auch die in Form einer Initiative nun an der Universität. Du hast die Fachschaftsinitiative Philosophie gegründet. Die konsequente Weiterentwicklung eines Weges oder ein Sprung in eine andere Welt?

r.z.: Die Kultivierung und Humanisierung der Gesellschaft ist unser Ziel, sich kreativ zu behaupten eine wichtige Mitgift auf diesem Weg. In meiner langjährigen Arbeit in Initiativen habe ich dies gelernt. Bürgerinitiativen holen die Kompetenz zum Einzelnen zurück. Wir erdreisten uns aufzustehen und zu sagen: Es gibt uns. Der Mensch ist Mittelpunkt, nicht eine Organisation. An der konservativen Uni Münchens versuche ich mit der Veranstaltung von Ringvorlesungen diese Erfahrung einfließen zu lassen. Reflexionen über unser Dasein und Sosein sind ein Schlüssel, Strukturen zu verstehen und zu verändern.

sx.: Denkst Du manchmal daran, aufzuhören mit all den Initiativen und Karriere zu machen?

r.Z.: Nein! Niemals!

sx.: Reinhard, wir danken für dieses Gespräch.


Schwabing extra. Zeitung der Schwabinger Friedensinitiative 2/1990, 4 f.

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1 „Nein, das war in der Türkenstraße!“ Hella Schlumberger am 8. August 2010.

Überraschung

Jahr: 1980
Bereich: Religion

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