Materialien 1980
Von der Ohnmacht des Machers S.
… Paradebeispiel für die Unterwanderung der alten SPD durch die Neuen Linken wurde die Auf-
stellung des bisherigen Juso-Bundesvorsitzenden Gerhard Schröder in Hannover-Land. Auf die-
sem dunkelroten sozialdemokratischen Nährboden wollte die Partei eine zum halblinken Flügel zählende Genossin aufstellen.
Bei den Antrittsbesuchen in den einzelnen Ortsvereinen musste die aktive Genossin indessen plötzlich feststellen, dass sie ohne Rücksicht auf bisherige Verdienste „abgeschossen“ werden sollte. Scheinbar harmlose Frager wollten von der resoluten Kandidatin Stellungnahmen zu Grundgesetz-Artikeln wissen, bei denen sie zwar die Nummer angaben, aber den Inhalt nicht einmal andeuteten.
Da nach der gängigen Formulierung eines früheren Bundesinnenministers auch ein Beamter das Grundgesetz nicht immer unter dem Arm tragen muss, hatte die Genossin Kandidatin es erst recht nicht im Kopf. Sie musste also passen und die Antwort ihrem „Parteifreund“ Gerhard Schröder überlassen, der nicht nur wunderbarerweise stets genau wusste, um was es ging, sondern außer-
dem sofort eine klug formulierte Stellungnahme dazu herunterhaspeln konnte.
Das Ergebnis war schnell klar. Nicht die aktive Genossin bekam den sicheren Wahlkreis, sondern der alerte Gerhard Schröder. Und der dürfte dann der erste Bundestagsabgeordnete seit 1953 sein, für den feststeht, dass sich der Kampf für unser Grundgesetz nicht lohnt.
Diese fatale Schröder-Erkenntnis stammt aus dem Jahre 1977, als die Juso-Bundeskonferenz in München tagte und mit Vehemenz gegen die Gesetze anstürmte, die zur Bekämpfung des Terror-
ismus erlassen wurden. Schröders damaliges Verdammungsurteil gegen die Gesetzgebung zum Schutz der Republik: Sie „ist für uns das letzte Glied einer ganzen Kette von Maßnahmen zum Abbau demokratischer Rechte. An unserer Verfassung ist bereits soviel kaputt gemacht und ausgehöhlt worden, dass sich der Kampf für diese angeblich liberale Verfassung nicht lohnt“. Aus der SPD selbst kam dem linken Rechtsanwalt die schallende Antwort. Münchens langjähriger Oberbürgermeister Georg Kronawitter, den die Linken in der eigenen Partei aus seinen Funktionen hinausgeekelt harten, kommentierte Schröders Verfassungsschelte mit der Bemerkung: „Der Zu-
hörer mag dann selbst weiterfolgern, dass man ihr wohl am besten den Todesstoß geben und ein neues System errichten müsse.“
Kronawitters Verdikt entstammte genauer Kenntnis. Denn der künftige Abgeordnete Schröder möchte nicht nur die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland nicht verteidigen. Er unter-
nimmt auch alles, um die „sozialdemokratische Massenpartei“ durch eine „sozialistische Minder-
heit“ in die gewünschte systemverändernde Richtung zu drängen. Und er wie die anderen Linken unternehmen ihre Aktion mit anhaltendem Erfolg.
Kronzeuge für die Unterwanderung: Münchens Ex-OB Kronawitter
Der bereits zitierte Münchner Ex-Oberbürgermeister Georg Kronawitter griff zur Schreibmaschine, um unter dem Titel „Mit allen Kniffen und Listen“ ein Buch herauszubringen, das in der SPD noch einmal den letzten Alarm schlagen soll, damit nicht Gegner der Sozialdemokratie in der SPD die Macht an sich reißen und die augenblickliche Regierungspartei in die größte Krise ihrer Geschichte hineintreiben.
Für den Ur-Sozialdemokraten Georg Kronawitter, der selbst vom klassischen linken Flügel seiner Partei kommt, gibt es drei Verantwortliche für die Umstülpung der SPD: seinen Parteivorsitzenden Willy Brandt, den vor acht Monaten umgekommenen Wirrkopf-Sozialisten Rudi Dutschke und den Alt-Terroristen Horst Mahler, der kürzlich gemeinsam mit dem FDP-Innenminister Gerhart Baum ein Buch auf den Markt warf.
Kronawitter unterstellt Brandt natürlich andere Motive als den beiden anderen Linksradikalen. Aber er registriert missmutig, dass es Brandt, Dutschke und Mahler waren, die Ende der sechziger Jahre die Revoluzzer der sogenannten Außerparlamentarischen Opposition (APO) aufforderten, ihre Vorstellungen in der SPD zu verwirklichen.
Tatsächlich hatte nicht zuletzt der bald darauf im terroristischen Sumpf landende Horst Mahler seine damaligen Gesinnungsgenossen im Sommer 1968 aufgefordert, „nach entsprechender Vor-
bereitung eine Eintrittswelle in die Sozialdemokratische Partei und in die Gewerkschaft“ zu star-
ten. Fußend auf einem Wort Wladimir Iljitsch Lenins schrieb er wörtlich:
„Man muss … zu allen möglichen Kniffen, Listen, illegalen Methoden, zu Verschweigung, Verheim-
lichung der Wahrheit bereit sein, um nur in die Gewerkschaften (und in die Sozialdemokratische Partei) hineinzukommen, in ihnen zu bleiben und in ihnen kommunistische Arbeit zu leisten.“
Der heutige Co-Autor des FDP-Bundesinnenministers formulierte damals auch bereits die Metho-
den und die Ziele:
„Zwar ließe es sich als Erfolg ausgeben, wenn es uns gelingen würde, in sogenannten Basisgruppen einige tausend Werktätige zu organisieren. Aber es wären eben nur einige tausend, deren politische Aktivität keine nennenswerte Vermittlung finden könnte.
Wenn es dagegen einigen hundert gelingt, durch eine konsequente und zähe Kleinarbeit in den Institutionen – insbesondere in der Sozialdemokratischen Partei – die wesentlichen Stützen der kapitalistischen Gesellschaft zu unterminieren und zum Zusammenbruch zu bringen, wäre der Fortschritt auf dem Wege zur Umwälzung der kapitalistischen Gesellschaft unmittelbar einsichtig.“
Mahlers Aufruf blieb nicht ohne Wirkung. Kronzeuge Kronawitter: „APO-Ideologen, dogmatische Neomarxisten, die der Aufforderung Rudi Dutschkes oder Horst Mahlers folgten, wurden Mitglie-
der der SPD … Sie kamen nicht – wie das der Normalfall ist – einzeln, sondern wie Piranhas in Ru-
deln … Von außen hatten sie einen straffen Zusammenhalt über die SPD-Basisgliederungen hinweg … Dem konzentrierten Ansturm … und der neuartigen Strategie waren die Sozialdemokraten in den Ortsvereinen vielfach nicht gewachsen.“
Diese Beschreibung der dramatischen Umfunktionierung der SPD lässt auch diejenigen frieren, die seit langem vermutet haben, dass die alte Sozialdemokratische Partei nur noch als Fassade vorhan-
den ist, hinter der sich eine linksradikale Gruppierung daranmacht, die Partei im Sinne Lenins und Mahlers zu erobern.
In München, wo die Machtübernahme durch die Linksaußen am deutlichsten spürbar und der Öf-
fentlichkeit bekannt wurde, entwickelte sich eine eigene Strategie der radikalen Linken, um die SPD zu unterwandern. Kronawitters Dokumentation über die Methoden der Linksradikalen ist an sich schon erschütternd. Sie wird es noch mehr, wenn man bedenkt, dass die Bonner Parteizentrale über die Machtkämpfe voll informiert war, aber nichts dagegen unternahm und gnadenlos zusah, wie gestandene Sozialdemokraten von Kadern antidemokratischer Linkssozialisten überwältigt wurden.
Die Methode, die später auch in anderen Landes- und Bezirksverbänden der SPD zur Tagesord-
nung gehörte, vollzog sich fast immer nach dem gleichen Ritual:
In die mehr oder weniger agilen Ortsvereine traten in Gruppen die Unterwanderer ein. Sie möbel-
ten die Diskussionen der Mitgliederversammlungen auf, gewannen mit ihrer Kaderschulung die Oberhand und beherrschten nach wenigen Wochen das Feld. Das Ergebnis: „Die Verunsicherung der traditionellen SPD-Mitglieder war ebenso groß wie ihre Hilflosigkeit.“ (Kronawitter)
In der nächsten Phase häuften sich die persönlichen Angriffe der Linken auf die Alt-Sozialdemo-
kraten. In Versammlungen, in öffentlichen Diskussionen und selbst in den Spalten der SPD-Presse wucherten die hämischen Beschimpfungen gegen diejenigen, die dem „Fortschritt“ im Wege stan-
den. Die ehemalige Bundestagspräsidentin Annemarie Renger musste sich im „Vorwärts“ als „Gnä-
dige Frau Genossin … mit dem Weiland-Leoparden-Charme und Daimlerchic“ apostrophieren las-
sen. In den internen Versammlungen ging es noch viel gröber zu.
Kronawitter: „Mit dem Einbruch der dogmatischen Linken in die SPD kam auch die personbezo-
gene Feindseligkeit. Die Auseinandersetzung wurde von ihnen mit großer Intoleranz und ohne die gewohnte Genossensolidarität geführt.“
Die beiden Senioren der bayerischen SPD, der frühere Ministerpräsident Dr. Wilhelm Hoegner und der zeitweilige stellvertretende SPD-Vorsitzende Waldemar von Knoeringen, hatten dem SPD-Vorstand die Situation schon früher eindrücklich geschildert. Schriftlich erklärten sie:
„Planmäßig bemühen sich pseudorevolutionäre Scharfmacher, die Partei in die Hand zu bekom-
men und ihren Zielen dienstbar zu machen. Mit endlosen Geschäftsordnungsdebatten, wahltakti-
schen Absprachen und stundenlangen Personaldiskussionen versuchen sie die Mitglieder zu er-
müden und einzuschüchtern, um ihre Kandidaten durchzusetzen. Neuerdings diffamieren diese Scharfmacher sogar andere Genossinnen und Genossen als Faschistenhelfer.“
SPD-Linke von außerhalb der Partei ideologisch gesteuert
Der Parteivorsitzende Willy Brandt und sein Stellvertreter Helmut Schmidt sahen trotz dieser War-
nung keinerlei Notwendigkeit, sich der immer stärker werdenden Linksaußen zu erwehren. Sie griffen auch nicht ein, als „kommunistisches Vokabular“ die „Reden und Anträge der Genossen“ (Kronawitter) durchzog. Sie gingen der Sache nicht einmal auf den Grund, als die zur Indoktrina-
tion bestimmten Themen in den von Linken beherrschten Verbänden der Partei die eindeutige Nähe zum kommunistischen Gedankengut bewiesen.
Noch einmal Georg Kronawitter in seiner Anklageschrift:
„Es werden Themen aufgegriffen, von denen dogmatische Linke glauben, dass sie auch von Inter-
esse für die breite Mitgliedschaft der SPD sind … Themen wie Kernenergie, der Radikalenerlass, der ‚Abbau demokratischer Rechte in der BRD’ und ‚Friede und Abrüstung’ wurden in letzter Zeit als besonders geeignet- angesehen.“
„Diese Themen werden isoliert herausgegriffen und zu Problemen von zentraler Bedeutung … hochstilisiert. — Es ist geradezu faszinierend, wie diszipliniert von der dogmatischen Linken, in Verbindung mit den Kommunisten, das zentrale Thema ‚Radikalenerlass’ etwa im Frühjahr 1979 durch das zentrale Thema ‚Kernenergie’ schlagartig ersetzt werden konnte.“
Für den ehemaligen Münchner SPD-Vorsitzenden „unterscheiden sich Kommunisten und dogma-
tische Linke in der SPD kaum noch im angewandten Vokabular und in der Stoßrichtung der Vor-
würfe.“
Mit ihren Kadermethoden, das lässt sich inzwischen an den Kandidaturen für den Deutschen Bun-
destag ablesen, ist es den radikalen Linken gelungen, ihre in zehn Jahren aufgebauten Basen zu erweitern und Kreisverband auf Kreisverband zu unterminieren. Nicht nur der düpierte Kronawit-
ter kennt die Gründe.
Weil die Linken stets in geschlossenen Blöcken auftreten, müssen sich Kandidaten für die meisten Funktionen oder Mandate erst mit ihnen arrangieren, ihren Jargon reden und sich vor allem in ihre Richtung bewegen, ehe sie Kandidaten werden können. Die zutiefst unsicher gewordene SPD lässt sich von einer Noch-Minderheit über Druck und Opportunismus immer stärker den Kurs vorschreiben.
Als Beispiel zitiert man heute in der SPD die als charakteristisch empfundene Erklärung eines sieg-
reichen Linken auf dem Parteitag des Kreisverbandes München-II. Der Links-Genosse kanzelte einen Partei-„Rechten“ ab und sagte ihm unter dem Beifall der Delegierten: „Du kannst bei uns nicht gewählt werden, weil Du die sozialdemokratische Linie, die für uns die reformerisch-anpas-
serische Linie ist, vertrittst und nicht eine konsequent sozialistische.“
Diese von vielen nicht beachteten Wandlungen in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands werden allerdings in den Schatten gestellt durch die Mitteilung Kronawitters, dass die „Themen, Strategie und Taktik“ innerhalb der linken SPD-Formationen „nicht in den Gremien oder Gliede-
rungen der Partei entschieden“ werden, dass vielmehr Kräfte außerhalb der SPD weite Teile der Geschehnisse innerhalb der SPD organisieren. „Diese außerhalb der Partei liegende Steuerung (!)“, schreibt der frühere Oberbürgermeister wörtlich, „wird immer wieder durch das schlagartige Ein-
bringen dieser Themen in zahlreichen Gliederungen der Partei – oft mit gleichlautenden Antrags-
texten und Begründungen – spürbar.“
Es wäre sträflicher Leichtsinn, wollte man annehmen, dass die Außen-Steuerer der SPD sich nur um „Themen, Strategie und Taktik“ kümmerten, seit sie auch die Macht über die Auswahl von Par-
lamentskandidaten erhalten haben.
Folgt man der Klage sogenannter „rechter“ Sozialdemokraten, so muss man wohl mit einiger Aus-
sicht auf Realität befürchten, dass nicht wenige Kandidaten der SPD zwar innerhalb der Sozialde-
mokratischen Partei aufgestellt worden sind – aber unter „außerhalb der Partei liegender Steue-
rung“. Rudi Dutschkes proklamierter „Langer Marsch durch die Institutionen“ trägt nach 12 Jah-
ren Früchte …
Deutschland-Magazin 8 vom 1. August 1980, 22 ff.