Materialien 1980

Ausgewogen - dank einer SS-Schnulze

Beim Bayerischen Rundfunk (BR), der absoluten CSU-Domäne, wird neuerdings nicht nur gleich-, sondern abgeschaltet. So am vergangenen Mittwoch im Hörfunk-Magazin „Notizbuch“, einer der letzten Sendungen des Bayernfunks, in der zum Leidwesen von CSU-Chef Franz Josef Strauß bis vor kurzem noch „kleine Tropfen roten Gifts verspritzt“ wurden: Als die „Notizbuch“-Moderatorin Heidrun Schmidt, 37, am Schluss ihres Beitrags über Senioren-Aktionen eine Erklärung in eigener Sache anhängen wollte, blockierte die Redaktion das Mikrophon.

Etwas konnte die Ausgeblendete dennoch live loswerden: Ihre weitere Mitarbeit beim Bayerischen Rundfunk ließe sich nicht mehr mit ihrem journalistischen Gewissen vereinbaren.

Der letzte BR-Auftritt der Journalistin sollte ein „notwendiges Signal“ setzen und auf „unerträgliche Pressionen“ in der zuständigen Abteilung Familienfunk aufmerksam machen.

In einer früheren „Notizbuch“-Sendung hatte Heidrun Schmidt im Auftrag von Abteilungsleiter Udo Reiter das Buch eines britischen Historikers (John Keegan: Das Antlitz des Krieges) unter einem antimilitaristischen Gesichtspunkt rezensiert — offenbar zum Missfallen des Chefs.

Als „Kontrapunkt und Antithetik“ (Reiter) zum Rezensionstext ließ Reiter zwischen zwei Besprechungsteilen ein Marschlied, geschrieben 1933, gesungen vom Chor der Waffen-SS, erklingen („Es ist so schön, Soldat zu sein“). Die Platte hatte er aus seiner Privatsammlung mitgebracht.

Dieses merkwürdige Verständnis von öffentlich-rechtlicher Ausgewogenheit steht für eine alarmierende Entwicklung beim Bayerischen Rundfunk: Der personalpolitische Einfluss der CSU, die im Münchner Sender, angefangen bei Intendant Reinhold Vöth, schon fast alle Schaltpositionen durch Mitglieder und Mitläufer kontrolliert, schlägt jetzt offenbar voll auf die journalistische Basis durch.

Vöth berief den anpassungsfähigen Wissenschaftsredakteur Reiter vergangenes Jahr auf den frei gewordenen Chef-Posten im Familienfunk — und brüskierte damit den langjährigen Vize und eigentlichen „Notizbuch“-Macher Franz J. Bautz. Diesem eröffnete Vöth seinerzeit, er könne ihm die Ressortleitung nicht übertragen, weil das seine Wiederwahl zum Intendanten gefährde.

Der Rundfunk-Beamte Reiter stellte gleich zu Anfang klar, er wolle ein Team, das dem „Wahlverhalten der bayerischen Bevölkerung“ entspreche. „Oder hält es jemand von Ihnen“, erkundigte er sich maliziös, „etwa für unanständig, CSU zu wählen?“ Schon im Frühjahr geriet ein weiterer profilierter „Notizbuch“-Mann unter Ross und Reiter: Mitarbeiter Gert Heidenreich musste gehen, weil man, so der neue Chef, „aufgrund objektiver Zwänge“ im BR „zu politischen Gegnern geworden“ sei.

Heidenreich klagt beim Arbeitsgericht auf Festanstellung beim BR, ebenso die Mitarbeiterin Monika Meister, die Reiter hinausgraulte, indem er zwei Sendungen der Autorin über „Nachbar Atomkraft“ und die „Sinti nach dem Hungerstreik“ kippte. „Ihr Material“, so beschied der selbstherrliche Abteilungsleiter, „können Sie wegschmeißen.“

Das „Notizbuch“ aber, einst gepriesen als „eine der informativsten und bestgemachten Sendungen des Bayerischen Rundfunks“ (so die Münchner „Abendzeitung“), ist inzwischen nach einem Urteil der „Süddeutschen Zeitung“ zu „regelrechtem Verlautbarungsjournalismus“ verkümmert und gibt „den großkopferten Ministern und Funktionären viel Platz zur Selbstdarstellung“.


Der Spiegel 50 vom 8. Dezember 1980, 16 f.

Überraschung

Jahr: 1980
Bereich: Zensur

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