Materialien 1981

„... stark sein - stärker werden ...“

samstagmorgen, aprilwetter, erstmal kaffee saufen, ins auto stürzen und zum königsplatz, demo gegen wohnungsnot, für mehr spaß auf der straße. natürlich wieder zu spät, und mann, ich kanns nicht fassen, 2.000 leute, ein einziger schwarzer haufen, panx mit ordnerbinden, vw-bus mit be-
ster, wildester musik, bierflaschen, pogo am karolinenplatz, scheißegal, natürlich, was jucken euch unsere forderungen, was kümmert uns eure ignoranz, wir wollen alles. die welt ist schlecht, das le-
ben schön, farb-beutel an nobelhotels noch schöner. ich seh vor lauter irokesen die bullen-massen nicht mehr, nur ab und zu einen hochhüpfen, wenn ihm schon wieder ein kracher zwischen die beine geflogen ist. tja jungs, in diesen stunden habt ihr nix zu melden, wild in the streets und das musikauto kriegt ihr auch nicht, keine chance, spießrutenlauf, da lacht das herz. die zivis gehen auch nicht leer aus, mit zerrissenen hemden, verbrannt, fußball-spielen mit pflastersteinen, den pigs wirds immer ungemütlicher, ungehaltener, schon wieder eins auf die nase, spaliere abdrän-
gen, gnadenlos der zeit voraus.

jacken tauschen, in der menge untertauchen, denn sie haben schon ein auge auf uns geworfen, odeonsplatz, strauß-gesabber über lautsprecher, es liegt was in der luft. plötzlich schreit einer ins mikro, die zivis greifen leute ab, massenhysterie, alle rennen hinter, wir lassen euch nicht allein, wannen fahren auf, jederzeit einsatzbereit. die schlacht ist schon in vollem gang, jeder gegen jeden, bullenärsche schleifen leute an den haaren über die straße, sie knallen köpfe gegen hauswände, fesseln mit seilen, stiefel ins gesicht, eine verhaftung nach der anderen, sie machen keine gefange-
nen mehr, diese miesen ratten. wir befreien einen aus den klauen der ss, krieg eine ladung chemi-
cal mace ins gesicht, torkle weiter, muß fast kotzen, irgendwoher plötzlich eine zitrone in der hand. wie ich wieder klar seh, schon alles aufgeräumt, saubere arbeit, 20 leute verhaftet, na wartet, schweinepack, vielleicht bist du der nächste. die marstallstraße abgesperrt, wir brechen durch die kette, rennen zur telefonzelle, rufen anwälte an.

30 leute auf zur ettstraße. das gibt terror meine herren, nochmal zum telefonieren, ungutes gefühl, stehen zu zweit in der telefonzelle, ich halt den hörer in der hand als ein zivi die tür aufreißt, schreit, sie sind verhaftet, wieso, auf beschreibung, leg auf, dreh mich um, ich bin mir keiner schuld bewußt, abhauen geht nicht, handschellen, zerren uns in einen bus, lang mich bloß nicht an, arme ausstrecken, keine falsche bewegung, wachhund neben mir, kapier nix.

im revier verwahrungszellen, wir spielen amikrimi, ich laß die flugblätter verschwinden, unsere personalien dürften ja wohlbekannt sein, nach drei stunden werden auch wir in die ettstraße verladen, natürlich durch den hintereingang, denn noch halten die anderen stellung, und dann hock ich da auf der pritsche, einzeln.

ich hör sie draußen schreien: police, police, i don’t care, solang ihr da draußen unser gefängnis be-
wacht, ihr gebt sicher ein nettes gruppenphoto ab für den bullen, der versteckt hinterm vorhang vorblitzt, euch fotografiert beim schreien, kaffee, bier saufen, kichern auf der straße, eure wut springt ihnen ins gesicht, every cop is a criminal, man o man, tote hunde mit der post verschicken und in jeden bullenarsch eine handgranate. schon wieder ed-behandlung, die alten akten seien abhanden gekommen. in wessen hände wohl. führ mich auf, wieso ich auf einzel liege. komme also in die gemeinschaftszelle.

zwei andere frauen sind da. mädels, denen machen wir die nächsten 24 stunden zur hölle, sie holen mich ins erdgeschoß, immer diesen haß im rücken, wenn sie jeden schritt hinter dir hermarschie-
ren, einen telefonhörer in der hand, kontakt zur außenweit, aber mein anwalt is nich da, zum glück kommt grad ein anderer rein, nimm mich, mein junge, und danke dem polizeistaat für die arbeits-
beschaffung, im anwaltszimmer hab ich immer das gefühl, irgendwo müssen die wanzen sein, oder sie filmen uns von oben. wies weitergeht is ihm auch nicht viel klarer als mir, aber zigaretten gibts und ein paar spöttische witze, die mein ehrenvolles geleit überhört und mich wieder ins loch bringt, das wars dann wohl für heute.

die nacht vergeht kriechend. wir rauchen eine nach der anderen, und irgendwie das gefühl, so schnell nicht mehr rauszukommen, der harte kopfkeil verursacht alpträume. klar, die müssen uns rauslassen, alle zwei minuten zum pissen und dann erzähl ich witze. der morgen bringt gute laune und lauwarmen malzkaffee und wir sind zu dritt, und überhaupt es reicht, wir malen mit schwar-
zem benzinstift die ganze zelle an, den haben sie bei der filze übersehen, schmeißen die blech-
aschenbecher durch die gegend, klatschen die frühstückssemmel in den spion, hüpfen auf den holzpritschen rum, kreischen, hämmern an die wände, keine wachtel traut sich in unsere nähe, plötzlich geht die tür auf, und die wachtel schreit, die zwei anderen sollen ihre sachen packen und können gehen, einfach gehen, und was is mit mir, hey, ihr wixer, ihr könnt mich doch nicht hier hocken lassen.

verdammt, macht was, draußen hör ich wieder unsere freunde schreien, auf einmal bekannte stimmen vom hof her, ich angele mich aufs fensterbrett, seh die anderen gierig am fenster hängen, die gitter drücken gegen die schläfen, alle angst wie weggeblasen, wir sind zu elft. da kann ich nur noch grinsen. ich merk null wie die wachtel reinkommt, mich vom fenster runterzieht, und dann bin ich plötzlich in einer einzelzelle.

im hof is es mittlerweile auch still. sie wollen mich in eine dunkelzelle stecken, falls ich noch einmal den mund aufmach, und dann führen sie mich zum haftrichter, eine männliche wachtel zieht mich am arm den gang runter ins richtige zimmer, mein anwalt is auch schon da und meine mutter, im vernehmungszimmer, der verkehrsrichter, ich auf dem bänkchen, alles geht in drei minuten über die bühne, unterschriebener haftbefehl, wegen fehlender sozialer bindung, körper-
verletzung eines beamten, wenn ich sie nur gefotzt hätte, die pigs.

mein gott, der typ da vorne ist ja noch nicht mal fähig mich anzuschauen; krieg einen durchschlag in die hand gedrückt, und dann schieben sie mich wieder in die zelle ab, treffe einen von uns auf dem gang, ein kuß, schon wird er abgeführt zur gleichen prozedur, auch fehlende soziale bindung. kaum bin ich oben, häng ich wieder am fenster, von allen 28 ist gegen 11 haftbefehl erlassen wor-
den. eins ist sicher, wir werden ihnen das alles heimzahlen. für jede minute einen von ihnen … ich les den rosa wisch zum hundertsten mal, kann ihnen nur noch in die fresse spucken, führ mich auf, schmeiß die alarm-glocke, will baldrian und dann penn ich durch.

morgen, freu mich drauf mit den anderen zusammen im schubbus durch münchen zu fahren, um sechs is abtransport, außer mir keiner weit und breit, dafür 20 türken, denen fast die augen ausm kopf fallen, scheiße, war nix mit verabschieden. wie lang ich euch wohl alle nicht mehr seh? die straßen durch gitter und tausend roboter auf arbeitsgang, alltag, fünf semmeln bitte, wer hat euch bloß euer hirn so leer gepumpt?

auf nach neudeck, voll rein in die mühle erstmal wartezelle, gestank, muß meine klamotten abge-
ben, ab jetzt nur noch anstaltskleidung, grau und steif, einzelhaft, einzelzelle, viel zu weiß und ein viel zu schmales bett, keine bücher, nur fantasie, tagsüber keine matratze, 1 stunde im kreis laufen, die hyänen sind sprungbereit: amokkoma, das war noch lang nicht alles.

wir sind im hungerstreik für zusammenlegung, die tage verlaufen monoton, keiner da zum reden, wiedermal glocke schmeißen, will papier und stift und endlich duschen und klarheit. in meinem kopf nur konfus, ungewißheit macht mürbe, schreibe briefe, alptraum, pläne schmieden, uns ge-
hört die zukunft, verlege alle sinneswahrnehmungen aufs hören, is nich gerade viel, nach 4 tagen erlösung, haftbefehl is aufgehoben, die tür fällt das letzte mal hinter mir zu, stürze die treppen runter, gnädige blicke, und dann bin ich draußen, steh auf der straße, die sonne blendet mich, frühling, keine ahnung, was nun, erstmal richtig rennen, fahren mit dem taxi nach stadelheim, doch die anderen sind noch in den händen unserer entführer, keiner weiß was genaues. am näch-
sten tag 500 leute vor stadelheim, 500 mal freiheit für alle, 500 mal gebrüll gegen die mammut-
mauer, drinnen is der teufel los, eine halbe revolte, brennendes papier zum fenster raus, nur noch geschrei, zellen werden zertrümmert, das ist rhythmus.

Andrea Wolf
4. April 1981


http://andrea.libertad.de/awbuch/s024-026.htm.

Überraschung

Jahr: 1981
Bereich: Freizeit '81

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