Materialien 1981

Angst im Gesicht

MÜNCHNER PLANSPIEL

Am Donnerstag, den 16. Juli, erlebten die Anwohner der Blutenburgstraße in Neuhausen einen Polizei-Thriller, der sie bis weit nach Mitternacht aus ihren Fenstern hängen ließ.

Nachdem am Spätnachmittag achtzehn Menschen in einer Blitzaktion vor dem „besetzten“ Haus festgenommen wurden, konnte die Bundespost sich die Hände reiben: Die Telefonketten (die schon immer besser funktionieren) traten in den Kampf ein. Kurze Zeit später formierte sich ein Demonstrationszug.

Leider sind es immer wieder die DKP-Leute, die bei diesen Anlässen dann als die Macher auftreten müssen.

So kam es auch gar nicht überraschend, dass einer von ihnen kurz nach Abmarsch des Zuges mit-
samt seinem Megaphon von der Polizei gewaltsam verschleppt wurde.

Eben diese Polizei ließ keine Möglichkeit ungenutzt. und versuchte die Demonstranten zu provo-
zieren, wo es sich nur ergab: Mit den Autos fuhren sie den hinteren Reihen fast in den Hintern, mit den Motorrädern rasten sie aufjaulend hin und her, manchmal auch durch den Zug.

In der Ettstraße hatten sich unterdessen etwa achthundert Polizisten versammelt um die „gewalt-
tätige Horde“ in Empfang zu nehmen. „Gewalttätige Horde“ ist der Ausdruck eines Polizisten, mit dem ich sprach.

Die Demonstranten blieben ruhig, ließen sich weder einschüchtern noch provozieren. Toll!!!!

11 Uhr 30: BlutenburgstraßeKampfmannschaften der Polizei drängen Passanten und Zuschauer weiter und weiter von dem besetzten Haus weg. Viele versuchen mit den Polizisten ins Gespräch zu kommen. Wieder waren von der Einsatzleitung blutjunge Polizisten abkommandiert worden. Ihnen stand das Unbehagen und die Angst im Gesicht. Wieder wurden Menschen, die auch nur den geringsten Widerstand gegen diesen sinnlosen Einsatz ausdrückten, flugs festgenommen. Die Presse durfte zunächst auch nicht hinter die Einsatzlinien. Weil ich dagegen lautstark bei dem Einsatzleiter Heilmayer protestierte, wollte er mich auch schon festnehmen lassen, besann sich dann auf das Grundgesetz und ließ Presse zu.

Zwei Besetzer – vierhundert Stürmer

Zu diesem Zeitpunkt weilten noch zwei Besetzer im Haus. Auf der Straße waren etwa hundert Personen (weit abgedrängt und abgeriegelt). Ich zählte allein in der Blutenburgstraße fünfundvier-
zig Mannschaftswagen, drei verschiedene Einsatzkommandos, die zusammen etwa vierhundert Mann stark waren.

Die Frage war, wird das Haus gestürmt oder nicht. Immer wieder versuchten pflichtbewusste Po-
lizisten die Pressevertreter zu verscheuchen. Zehn VW-Busse fuhren vor das Haus, die Mannschaft der Stürmer nahm Aufstellung, ein Befehl wurde weitergeflüstert, alle stiegen wieder ein, die Wa-
gen fuhren weg. Dieses Spiel musste dreimal geübt werden, bis es wohl zur Zufriedenheit der Spiel-
führer ablief.

Auf die Frage, warum denn die Polizei nicht ins Haus gehe, kam die Antwort: Es werde nicht ge-
räumt.
Warum sie dann da sei: Um für Ruhe in der Straße zu sorgen.

Um 1 Uhr zog die Polizei ab. An diesem Abend hat sie insgesamt einunddreißig Personen festge-
nommen, hat versucht Ausschreitungen zu provozieren, hat durch ihren unsinnigen Aufmarsch Menschen beunruhigt und sich weiter von der Bevölkerung abgekehrt (von wegen Polizei – Dein Freund und Helfer), hat jungen Polizisten ein Feindbild aufoktroyiert, hat mit einem Satz: MEN-
SCHEN BIS HIN ZUR FESTNAHME BENUTZT, UM EINSATZ ZU ÜBEN!

Herr Innenminister Tandler, ich klage Sie an, die Eskalierung in München voranzutreiben. Ich appelliere an Sie: Hören Sie auf die Menschen als Feinde anzuprangern, die sich auf die Grund-
rechte der Verfassung berufen, die gegen Willkür und Unrecht von Obrigkeit und Machtbesessenen ankämpfen.

Michael


Münchner Zeitung 13 vom 15. August 1981, 1f.