Materialien 1981

Drunt in da schöna Au ...!

Brutale Räumung durch Sonder-Einsatz-Kommando

Am 27. September 1981 besetzten gegen 19.30 Uhr mindestens zehn Besetzer das seit Jahren in der Eduard-Schmid-Straße 19 leerstehende Haus. Sie werden von einhundertfünfzig sympathisieren-
den Demonstranten, die vom Fraunhofer- und vom Kolumbusplatz her zum Haus zogen, unter-
stützt.

Eine ¾ Stunde später wird sowohl die Straße, als auch der Zutritt zu den Isar-Grünanlagen von Polizei in voller Kampfausrüstung abgeriegelt und somit ein Vordringen von weiteren Sympathi-
santen verhindert. Laufend treffen Mannschaftswägen, Funk- und Basisfahrzeuge (mit Ausrüstung beladen) ein, die sich bis auf 100 Meter dem besetzten Haus nähern.

Auffallend die große Anzahl von zivilen Beamten, die um uns und das Grundstück herumschlei-
chen, sich in den Nachbarhäusern einrichten und die Isarauen verunsichern. Sie greifen in mehre-
ren Fällen Demonstranten, die sich zu weit von der schützenden Menge entfernen, heraus und misshandeln sie mit Schlagstöcken, Tränengas und Fußtritten.

Ein auf diese Weise Verletzter stellte mittlerweile Strafantrag gegen die Beamten. (Siehe eigener Bericht.)

22 Uhr – Die Stimmung unter den Demonstranten wird unruhiger. Mehrmals traben Gruppen von behelmten Beamten im Laufschritt durch die Isarauen: „He, räumt uns endlich, sonst gehen wir nach Hause“ so ein Demonstrant.

22.30 Uhr – Die Polizei hebt die Sperre der Isarauen auf und zieht zunächst einen lockeren Ring parallel zur Eduard-Schmid-Straße, hindert jedoch einzelne Demonstranten nicht zu den Unter-
stützern vor dem Haus vorzudringen. Erst kurze Zeit später wird die Kette dicht.

Weiße VW-Busse mit Beamten des Sondereinsatzkommandos fahren heran: Lässige Profis der Gewalt, in oliv-grünen Overalls und Springerstiefeln.

Mehrmals fordern die Besetzer durch Megaphon und die Vermittlung von Presse und Demonstran-
ten mit der Einsatzleitung zu sprechen. Nach endloser Verzögerung scheint kurz vor der Räumung ein telefonisches Gespräch zustande zu kommen.

Die Räumung

Der Informationsstand unter den Besetzern und Demonstranten ist jedoch gering. Keiner weiß, ob der Besitzer, ein Münchner Tabakhändler Strafantrag gestellt hat. Die Polizei meint, sie gehe davon aus, dass schon vorsorglich Strafantrag gestellt wurde. Der Besitzer könnte jedoch nicht ausfindig gemacht werden.

23.30 Uhr – „Treten Sie etwas zurück, es geht gleich los“; so unser Presseoffizier. – Ein schriller Pfiff und von beiden Seiten stürmen Behelmte mit Schild und Schlagstock los, so dass die Demon-
stranten kaum Zeit finden sich niederzusetzen. Innerhalb einer Minute ertönen drei kurze, knappe Räumungsaufforderungen – dann Schlagstock frei.

Die Beamten knüppeln auf die am Boden Sitzenden los. Kaum einer wird weggetragen. Tränengas-
einsatz aus geringster Entfernung.

Ein Demonstrant flüchtet durch die Reihen der Polizei, die Arme zum Schutz über den Kopf erho-
ben, doch in die falsche Richtung. Schläge treiben den Fliehenden in den Kessel zurück. Die De-
monstranten werden in Richtung Albanistraße getrieben.

„Aufhören, aufhören“ skandieren die, die in den Isarauen stehen. Kein Stein fliegt. Die Besetzer versuchen etwas über die Rechtsunsicherheit durchs Megaphon zu sagen, doch Polizisten, die grad nichts zu tun haben, schlagen mit Schlagstöcken auf ihre Plexiglasschilder, um die Nachricht zu übertönen.

Dann sind keine Demonstranten mehr auf der Straße. Das Sondereinsatzkommando dringt in das Grundstück ein. Lärm dringt aus dem Haus- „die reißen es wohl ab, anstatt es zu räumen“ so ein Pressemann – dann ferne Schmerzensrufe – dann Stille.

Durch ein Spalier von „normalen“ Polizisten werden die Besetzer zu dem wartenden Gefängniswa-
gen geführt. Der erste, blutüberströmt, wird der Presse präsentiert, er steht schwer unter Schock und starrt blicklos geradeaus. Insgesamt werden zehn Personen aus dem Haus geführt, fünf von ihnen bluten aus Kopfwunden, alle wirken verstört.

Die Lüge

Ein Ziviler: „Und jetzt was Feines für die Presse, die haben vier Meter tiefe Fallgruben mit Laub abgedeckt“ – Michael widerspricht, die wären aber schon vorher da gewesen und ob wir denn das Laub sehen könnten? Wir können. Es ist jedoch kaum Laub zu sehen, nur Bohlen, die in den Lö-
chern liegen, daher wahrscheinlich der Lärm vorhin. „Nein, Beamte sind keine verletzt, da sichern wir uns schon ausreichend ab“, versichert einer vom SEK.

„Die sind in die Löcher gestürzt“, lautet die Erklärung für die Verletzungen der Besetzer. Doch das ist nicht die Wahrheit: Nach Darstellung der Besetzer wurden sie, nachdem sie im Hinterhaus, in das sie geflüchtet waren, entdeckt wurden, ins Vorderhaus gebracht, und mussten dort durch die Reihe des SEK marschieren, die wahllos auf sie einschlugen. Erst als sie die Straße erreichten, hör-
ten die Schläge auf.

Während der Räumung und auch davor wurde von Seiten der Demonstranten in keinster Weise Gewalt angewendet, noch damit gedroht. Im Gegenteil, die Besetzer erklärten mehrmals ihre Ge-
waltfreiheit; keiner der Demonstranten provozierte die Polizei.

Die Räumung des Hauses sollte wohl eine Demonstration der Macht und Brutalität der Polizei und unserer Ohnmacht und Hilflosigkeit sein. Anders sind

 Misshandlungen durch Zivilpolizisten,

 Misshandlungen durch das Sondereinsatzkommando,

 offensichtliche Falschmeldungen höherer Beamter, um die Verletzungen der Besetzer zu er-
klären,

 die Öffnung der Polizeikette um das Gelände, nach dem Motto „Geht nur hin, schaut nur genau zu, damit ihr wisst, wie’s läuft“, nicht zu erklären.

Ein Vorgehen wie dieses, mit dem Polizei und Ministerien berechtigte Forderungen gewaltfreier Demonstranten, die zur Selbsthilfe greifen und versuchen, die Winkelzüge von Kiesl und Co. in Sachen Wohnungsnot aufzudecken, zum Schweigen bringen wollen, ein solches Vorgehen kann eine Eskalation der Gewalt hervorrufen, deren Ursache im Lager der Hausbesetzer und Gleichge-
sinnter nicht zu suchen ist. Weiter gewaltlos zu kämpfen erscheint mir persönlich noch geboten und erfolgreicher als mit Steinen, aber viele solcher Erlebnisse braucht es nicht mehr!

Misshandelt – Ein Betroffener berichtet.

Zwei Tage später spreche ich mit einem Demonstranten;, der von Zivilpolizei misshandelt wurde:

„Ich ging mit einem Freund zum besetzten Haus. Als wir die Reichenbach-Brücke überquerten und nach rechts in die Isarauen abbogen, um sie zu durchqueren; sahen wir an der Ecke zur Eduard-Schmid-Straße einen Streifenwagen querstehen. Noch bevor wir an. der Ecke Boosstraße die Edu-
ard-Schmid-Straße betreten konnten, wurde ich – noch in den Grünanlagen – von hinten mit den Worten ,Komm einmal mit, Bürschchen!’ am Kragen gepackt und erhielt wuchtige Schläge auf meinen Kopf und ins Gesicht.

Jemand rief ,Hinter die Autos!’ – sie schleiften mich hinter die am Straßenrand geparkten weißen VW-Busse und stießen mich in einen der letzten Wägen. Im Bus wurde ich weiter brutal ins Ge-
sicht und auf den Kopf geschlagen, gewürgt und hörte Ausdrücke wie ,Du Schwein, jetzt ham wir Dich’ und ,Spucks aus, was willst Du hier?‘. Ich lag blutend und zusammengekrümmt am Boden, Gesicht und Kopf, so gut es ging, mit den Armen schützend und schrie immer wieder flehentlich ,Hört doch bitte auf, ich habe nichts getan’. Anstatt die Misshandlungen einzustellen, wurde mir Tränengas aus nächster Nähe ins Gesicht gesprüht.

Als ich merkte, dass er nicht aufhören würde, geriet ich in Panik, klammerte mich am Lenkrad fest und schrie aus dem offenen Fenster, wobei mich die Beamten mit aller Gewalt auf den Boden zu ziehen versuchten. Gott sei Dank wurden einige Passanten auf der anderen Straßenseite auf mich aufmerksam. Sobald dies den Beamten im Bus bewusst wurde, ließen sie von mir ab und stiegen bis auf einen aus dem Wagen. Dieser wischte sich mit einem Taschentuch die Augen und meinte ,er wisse auch nicht, was da passiert wäre und ob mich meine Kumpel so zugerichtet hätten’. Dann wurde ich hinter die Polizeikette gebracht, wo mich ein Zivi nach meinem Ausweis fragte.

Auf meine Verneinung erklärte er mich für verhaftet und fesselte mir mit Handschellen die Hände auf den Rücken. Nach etwa einer halben Stunde konnte ich – nach Angabe meiner Personalien und ohne jede Auskunft über die Gründe meiner Festnahme – zu einem Krankenwagen gehen, der mich in die HNO-Uniklinik brachte.

Nach ambulanter Behandlung, bei der dem Arzt durch das Gas in meinen Haaren und Kleidung die Augen tränten, entließ er mich wieder. Ich hatte einen Riss am rechten Nasenflügel, der gerade nicht genäht werden musste, kleinere Platzwunden und Prellungen im Gesicht, und das linke Ohr und die linke Gesichtshälfte brannte infolge des Tränengases fürchterlich, was ein Hautarzt bei einer nachträglichen Untersuchung als Vergiftung bezeichnete, die bis heute (anderthalb Wochen später) nicht verschwunden ist.

Ich habe in dieser Sache Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt.“

Zeugen gesucht

Am Montag, dem 12. Oktober, haben sich hoffentlich viele Leute um 19 Uhr im BLATT versam-
melt, um ihre Beobachtungen und Informationen zusammenzutragen und einen Ermittlungsaus-
schuss zu bilden, die Vorgänge in Zusammenhang mit der Hausbesetzung zu klären und mögliche Schritte gegen Polizei und andere Verantwortliche zu beraten.

Jeder, der Beobachtungen dazu beitragen kann und es noch nicht getan hat, soll bitte dringend sich mit dem BLATT (Tel 19 5O 21/22) oder mit der Münchner Zeitung (Tel. 17 34 25) in Verbin-
dung setzen. Wir müssen uns wehren!

Angelus


Münchner Zeitung 15, Oktober/November 1981, 3.