Materialien 1981

Aus den Protokollen einiger Demonstrationsteilnehmer

M., 25: »Die Demo gegen das Spekulantentum am 4.4. fand ich von Anfang an brisant. Die ganzen Bullen, die da Spalier standen, das habe ich vorher in München noch nicht erlebt. Da hat man schon gesehen, da ist etwas im Busch. Bei dieser Demo war ich auch Ordner, und mir war so ein Lautsprecherwagen zugeordnet. Die Bullen wollten, dass der Wagen raus sollte, weil angeblich von dem Wagen aus Farbbeutel geworfen wurden. Außerdem saßen auf dem Wagen Leute, und das sei nicht erlaubt. Auch hätten keine Lautsprecher angebracht werden dürfen. Warum und wieso, das wusste keiner so recht. Es ging immer hin und her. Der Wagen muss raus – er muss nicht raus. In der kleinen Straße vom Marienplatz zum Odeonsplatz rückte die Polizei immer näher. Ich war richtig froh, als sich die Demo am Odeonsplatz auflöste. Ich hatte so ein richtiges Gott-sei-Dank-Gefühl, es ist doch nichts passiert.

Ich wollte über den Marstallplatz nach Hause gehen, da sah ich die Bullen die Ausweise kontrollie-
ren und wie sie die Leute in die Wannen zerrten. Plötzlich sah ich auch einen Zivi dastehen, der hatte eine volle Plastiktüte mit Farbbeuteln in in der Hand. Kurz zuvor wurde noch ein Demon-
strant wegen angeblichem Farbbeutelwerfen verhaftet. Die umstehenden Leute sind auch alle voll ausgeklinkt, als sie bemerkten, dass die Zivis selber die Farbbeutel haben.

Auf dem Marstallplatz waren so viele Bullen, so viel sah ich nicht mal auf der Demo, und da waren sie schon massig vertreten. Meiner Meinung nach sperrten sie den Platz schon vorher ab, um Leute zu verhaften, die sie bei der Demo nicht so leicht rausgreifen konnten.

Mittendrin in einer Menschentraube stand ich, als mir so ein blödes Funkgerät vor die Füße fiel. Direkt auf die Füße fiel mir das Ding. Ich überlegte, was ich mit diesem Gerät anfangen sollte. Die Bullen wurden auch immer mehr, und die Tumulte verstärkten sich. Ich warf das Funkgerät dann einfach weg. Die Schlägereien nahmen zu und ich bekam Schiss. Wir sind schließlich zu fünft Rich-
tung Mittlerer Ring gegangen. Ein Zivi kam uns hinterher. Wir hängten ihn ab. Da rief uns von der anderen Straßenseite ein Typ zu: ‚Passt auf, die Bullen kommen.‘ Schon umstellten uns drei VW-Busse und zwei BMWs. Der Zivi, den wir vorher abhängten, kam auch daher getrottet. Er zeigte auf mich und sagte: ‚Die Frau nehmen wir mit.‘ Schon war ich im Polizeipräsidium in der Ettstraße …«

Ch., 27: »… Das erste, was ich sehe, ist ein Funkgerät, das durch die Luft fliegt; dann, dass ein paar von uns ganz schön in die Mangel genommen werden. Ich laufe zu jemandem hin, um den sich mindestens zehn Menschen reißen. Einer von ihnen versucht, ihm Handschellen anzulegen, tut das dann leider auch; die ganze Sache scheint schon entschieden, überall Bullen, jetzt auch in grün. Ich stehe hilflos rum und brülle dann nur noch die Bullen an, sehe, wie sie Leute an den Haaren über die Straße schleifen. Dann sitze ich auch schon in der Wanne … Die Augen von H., als er mich plötzlich in diesem weißen VW-Bus sitzen sieht, in dem sich kurz vorher noch ein ‚militanter‘ De-
monstrant mit Helm und allem, was so dazugehört, in einen braven Zivi zurückverwandelt hatte. Mir fällt ein, dass ich H.s Fahrradschlüssel habe …«

A., 17: »… Neben mir steht ein Typ, der für mich im Moment kaum als irgend etwas identifizierbar ist – 08/15-Fresse und Lederjacke –, in meinem Hass ist mir das auch egal. Ich brülle ihn nur völlig ausgeklinkt an: ‚Siehst Du den ganzen Scheiß hier – die Bullen haben doch ‘nen Schatten.‘ Kurz danach packt mich ein und derselbe Typ – grinst dabei noch nervös – und meint, ich solle mitkommen, denn ich sei verhaftet. Was ich in diesem Moment fühlte, ist für mich schwer in Wor-
te zu fassen – das Gefühl, in einem Alptraum zu stecken, ungläubig, fassungslos …«

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Ettstraße

A.: »Ich sitze hier erst zwanzig Stunden – für mich fast eine Ewigkeit. Ich habe rasende Kopf-
schmerzen. Ein anderes Trauma verfolgt mich – die Reaktion meiner Eltern. Ich habe Angst davor, dass sie mich nicht verstehen werden – nicht sehen wollen, welche unverschämten Provokationen von den Bullen ausgegangen sind –. Angst davor, dass sie sagen: das haben wir dir schon immer gesagt, aber du musst es ja auch drauf ankommen lassen.

Ich habe auch Angst vor dem Kampf mit ihnen – ich weiß, dass sie alles tun werden, um meine weiteren politischen Aktivitäten zu unterbinden. Meine politische Aktivität hat ja auch einen an-
deren Hintergrund. Es ist ein Kampf gegen die Macht und die, die sich meiner bemächtigen. Dazu gehören auch meine Eltern. Ich weiß, wenn ich mich darauf einlasse, nicht mehr aktiv zu agieren, so wird das nicht nur auf der Straße sein, sondern dann endet mein Kampf auch zuhause. Wann werde ich es dann je schaffen, wieder aus meiner Verstummung aufzuwachen, um meinen Hass, meine Wut und Verzweiflung, hinauszuschreien. Meine Entscheidung ist schon gefallen, als die Wachtel die Tür aufmacht, damit die M. und ich raus können. Scheiße – die A. kann nicht mit uns –, aber ich bin so aufgeregt, dass ich erst Stunden später an sie denke. Unten bekomme ich dann mein ganzes Zeug wieder, das sie mir abgenommen haben.

Mit uns werden noch drei andere Typen freigelassen. Darunter auch der B. Von ihm bekomme ich noch eine Bemerkung hinterher geschmissen wie: Na Kleine, jetzt hast du es auch mal erlebt. Doch ich habe keine Zeit mehr, mich darüber zu ärgern, schon sind wir draußen.

Oh Leute, ich finde es echt toll, dass ihr alle da seid. Ich bin nicht alleine. Da sehe ich auch schon meine Eltern an der Ecke warten, ein beklommenes Gefühl steigt in mir auf. Meine Mutter schaut gestresst und vorwurfsvoll drein, mein Vater eher verbittert.

Eigentlich will ich ja gar nicht mit ihnen mitfahren – will viel lieber noch bei den Leuten bleiben, warten, wer noch rauskommt. Aber sie wollen mich nicht mehr hierlassen. Zuhause bin ich ihnen sicherer.

Ich habe ein schlechtes Gewissen – dann kommt alles wie erwartet. Ich soll mich von allen politi-
schen Aktivitäten fernhalten. Das gegenseitige Fertigmachen geht noch eine ganze Zeit hin und her. Ich gehe dann unter die Dusche, mit dem Wassergeriesel löst sich die Spannung, und ich fang dann zu heulen an. Jetzt gehts mir wieder besser.«


Börni, Annette, Ruth, Mathias, Hartmut (Wächtler), Christopher, Lilo, Billy und Andrea (Wolf) mit Beiträgen von Wolfi und Reinhard, Stark sein – stärker werden, München Januar 1984, 31 ff.

Überraschung

Jahr: 1981
Bereich: Freizeit '81 (I)

Referenzen