Materialien 1981
B. und M. zur Kundgebung vor Stadelheim
B.: Die Anwälte hatten uns von der Kundgebung erzählt, die am Abend laufen sollte. Mir war aber klar, dass ich ziemlich ab vom Schuss war in dem Altbau. Ich war total gespannt, ob ich was hör, und plötzlich hab ich einen Schock gekriegt: jetzt is’ was. Das war wirklich an der Hörgrenze. Ich bin dann echt rotiert. Hin und her gelaufen. Zum Fenster hin, an der Tür gelauscht. Irgendwann hab ich’s dann aufgegeben. Entweder sie sind da, und du hörst nichts, oder sie sind eben nicht da. Da wirst du ja wahnsinnig.
M.: Bei mir war das auch erst so ein undefinierbares Geräusch, aber es kam langsam näher. Ich lag im Westbau, nah bei der Straße. Die Knackis fingen an rumzubrüllen und alles mögliche an die Wand zu werfen. Ab und zu schreit eine Wachtel: »Ruhe!« Ich hab Mannschaftswägen an der Mauer vorfahren sehen. Da hab ich ziemlich Schiss gekriegt. Dann plötzlich ganz deutlich der Klang von Trommeln, und unsere Namen werden gerufen.
Zurück zur Ettstraße.
B.: Der Haftrichter hat ein totales Theater abgezogen, für ihn stand ja von vornherein fest, wer in Haft kommt. Die Haftgründe waren auch der Witz: Fluchtgefahr, mangelnde soziale Bindungen. Dabei hatte ich ’ne Wohnung, einen festen Job und ’ne Verlobte. Ich versteh’ das echt bis heut noch nicht …
M.: Nach dem Haftrichter wieder ab in die Zelle, wir kamen in eine 11er-Zelle und waren fast alle zusammen. Es war klar, dass wir zusammenhalten müssen. Wir haben uns gegenseitig unsere Na-
men gesagt, da war dann plötzlich eine total gute Stimmung. Da kam auch raus, dass wir uns zum Teil schon irgendwoher kannten oder gemeinsame Bekannte hatten. Durch die Kontakte ist der ganze Druck relativiert worden. Jedem von uns war klar, dass es am nächsten Tag nach Stadelheim geht.
B.: Es ging auch drum, sich die Namen der anderen einzuprägen, damit Leute, die von draußen wenig Unterstützung haben, nicht im Knast versauern.
Dann überlegten wir uns, was wir machen können, wenn wir in Stadelheim getrennt werden, viel-
leicht alle in Einzelhaft kommen. Außerdem war noch gar nicht klar, wie lange wir drin bleiben müssen. Der früheste Termin wieder raus zu kommen, war in einer Woche bei der Haftprüfung.
Da kam noch dazu, dass draußen wieder Leute gerufen haben: »1, 2, 3 – lasst die Leute frei …«; also Solidarität und dieses Gefühl, »unschuldig« gefangen zu sein. Wir mussten zum Gegenschlag ausholen. Da kam dann die Idee vom Hungerstreik auf. Wir verdunkelten das Zellenlicht, damit die Bullen nicht sehen, dass wir aufrecht auf den Pritschen sitzen, diskutieren und etwas auf-
schreiben. Das dauerte ja ziemlich lange, bis wir uns auf die Formulierung der Hungerstreiker-
klärung einigten. Mi. schrieb es ganz eng auf eine Zigarettenschachtel und lernte es auswendig. Das haben wir gerade noch geschafft, bevor’s Licht ausging. Am nächsten Morgen: Decken raus, »Frühstück«, die Wachteln haben uns abgezählt und wir kamen in eine Wartezelle. Da haben wir noch drei getroffen, die von uns getrennt waren. Denen haben wir noch Bescheid gesagt: »Ab Mittwoch Hungerstreik, wenn wir isoliert werden.«
Mittwoch, 8.4.:
Der Hungerstreik hat begonnen, das Wort fiel wie ein Schuss! Es kam in den Nachrichten, und die meisten Strafgefangenen auf meiner Abteilung haben kleine Radios; kaum war bei mir die Klappe auf (wo ich gerade mühsam den Kopf raus strecken kann – ein Gefühl wie auf der Guillotine – das kalte Eisen der Tür …), prasselt es auf mich ein. Doch zuerst hab ich die Sachen beim Beamten be-
antragt, die ich brauche, und Post abgegeben etc. Sofort war eine Traube Gefangener aus meiner Station um meine geschlossene Tür herum gestanden. »Mach das bloß nicht!« – »So ein Schmarrn!« – »Du machst dich kaputt.« Ich blieb locker, sprach von Nulldiät und unseren Haft- und Verhaftungsbedingungen. Langsam kamen freundlichere bis sehr tolle Sprüche und die SZ und ein Buch. Klappe zu – Klappe auf, Nacheinkauf abgelehnt (am Montag hätten wir Einkauf beantragen können, aber keiner hat uns was gesagt!), Klappe zu – Tür auf – zum Klamotten holen. Nein, nur unterschreiben darf ich, bekommen tu ich sie noch nicht; ich geh wieder zurück, mit lautem Protest. Nach einigem Hin und Her hab ich dann die Klamotten doch bekommen. Fast ein Festtag also! In meinen eigenen Klamotten fühl ich mich gleich ganz anders, und die vertrauten Gerüche …
So, der Mittag ist auch überstanden (»So, sie verweigern die Nahrungsaufnahme!« …), die ersten Strahlen der Sonne bohren sich durch die Münchner Dunstglocke zu mir herein. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie mir das Abendessen andrehen wollen (Plastikbrot und Fett) … – dann hab ich wohl für heute meine Ruhe von denen!!! –
Börni, Annette, Ruth, Mathias, Hartmut (Wächtler), Christopher, Lilo, Billy und Andrea (Wolf) mit Beiträgen von Wolfi und Reinhard, Stark sein – stärker werden, München Januar 1984, 52 ff.