Materialien 1981

Lieber drei Schwellkörper als ein Marschflugkörper

23. Mai 1981, Friedenskundgebung in München; zehn bis fünfzehntausend Menschen bevölkern den Marienplatz im Zentrum Münchens; nach einer Reihe von Ansprachen läuft am gesamten Platz auf verschiedenen Bühnen und an einigen Dutzend Informationsständen ein reges Kultur- und Informationsprogramm ab. In einer Seitenstraße sind zwei langhaarige Künstler am Werk. Sehr schnell sind die Grundzüge eines bereits vorskizzierten Gemäldes erkennbar: Der Slogan „Lieber drei Schwellkörper als ein Marschflugkörper“ und, als erstes, ein pralles, steifes männli-
ches Glied. Verlegenes Kichern, Ignorieren, interessierte Blicke, Wutreaktionen („ist doch alles einseitig, was Sie hier machen …“), neugierige Anfragen („wieso drei Schwellkörper“) sind einige der vielfältigen Reaktionen des Publikums – aber auch diejenigen reagieren, die sich für Flugblät-
ter, Infostände und Ansprachen nicht interessieren.

Es dauert keine halbe Stunde, bis die umstehenden Neugierigen hauptsächlich aus Zivilpolizisten bestehen, aus deren Mitte einer hervortritt: „So, jätzt iss Schluß! D’Leit beschwern sich. Der Zipfe muass weg!“ Ein breiter Zensurbalken über den gebündelten Schwellkörpern schützt das im Ent-
stehen begriffene Werk zunächst vor Beschlagnahmung. Der Marschflugkörper, Atompilz und Landschaft im Hintergrund des Gemäldes konnten so in Ruhe fertiggestellt werden.

Dann allerdings kam auch der Penis wieder zu seinem Recht („er wurde wieder sichtbar gemacht …“ oh Wunder!) und wieder nach einer knappen halben Stunde stellte der zivile Greiftrupp das Kunstwerk sicher. Die Beschlagnahme wurde zunächst mit „Exhibitionismus“ begründet – aller-
dings nicht zutreffend, wie die Behörde im Widerspruchsbescheid gegen den Widerspruch gegen die Beschlagnahmung zugab. Da sich leider kein Strafbestand finden ließ, konnte die Maßnahme nur noch mit einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung begründet werden, besonders auch we-
gen der Gläubigen, die zum Zwecke der Marienverehrung die dort befindliche Kultsäule umlagern würden. Ein Ermittlungsverfahren wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses läuft noch. (Gibt ver-
mutlich einen Bußgeldbescheid und vier Punkte in Flensburg wegen falscher Verkehrszeichen.)

Erstaunlich, welche Potenzen die bloße Darstellung eines steifen Gliedes doch entwickelt – im Ge-
gensatz zum nackten weiblichen Körper an jedem Kino und Zeitungskiosk. Völlig klar, dass das Verwaltungsgericht demnächst zu entscheiden haben wird, ob ein gemalener steifer Penis die öf-
fentliche Ordnung gefährden kann – unstrittig dürfte sein, dass die gerade von den Konservativen gewünschte Anhebung der Geburtenrate weniger durch die unbefleckte Empfängnis als vielmehr durch aktiven Einsatz der anstößigen Schwellkörper erfolgen kann, und schon gar nicht durch Marschflugkörper.

Man sollte den deutschen Gerichten noch viel häufiger Gelegenheit geben zu entscheiden, was obszön ist: Der menschliche Körper oder die Waffe zur Vernichtung desselben.

Das Kunstwerk wird an den meistbietenden verkauft. Spenden für evtl. anfallende Prozesskosten werden gern entgegengenommen (Postscheckamt München, Sonderkonto M. Gangkofer 1717 94-805).

Thomas Rödl


Münchner Zeitung 17 vom 15. Dezember 1981, 12.