Materialien 1981

Tauziehen um den Frieden

Antikriegstag

Zunächst war es wie immer: der DGB hatte zum Antikriegstag eingeladen, und vor dem Zirkus Krone tummelten sich zunächst mehr Flugblattverteiler und Zeitungsverkäufer als Veranstal-
tungsbesucher plus Ordnungshüter. Dass der Krone-Bau schließlich doch noch voll wurde, ver-
dankte der DGB unter anderem dem alternden Cowboy im Weißen Haus und seinem Entschluss, die Neutronenwaffe zu bauen, sowie den noch kommenden unvorhersehbaren „Heldentaten“, die ihm, dem Greis, einen „unheimlich starken Abgang“ sichern sollen.

Ein christ-sozialer Redner

Dann im Zirkus. Zunächst war es keiner! Am Anfang war eine Rede von Ursula Wolfering. Es folgten Antikriegslieder von Frank Ekkes. Schließlich sprach Alfred Mechtersheimer (immer noch CSU), der auf alle Besucher einen hervorragenden Eindruck machte. Die Rede dieses unbestech-
lichen Beobachters, der seine interessanten Analysen eher zurückhaltend, dafür umso eindrucks-
voller vortrug, endete mit einer dezenten Kritik an Georg Danzers „Gebt uns endlich Frieden“: Dieses Lied verharre immer noch zu sehr in passiver Konsumhaltung; Frieden könne man sich nicht geben lassen, nein, man müsse ihn sich holen. Heftiger Applaus; als er endete.

Zirkus …

Der folgende Redner: Erich Frister, GEW-Vorsitzender und frisch gekürter Chef der „Neuen Heimat“, setzt ein mit einem Hinweis darauf, dass viele schöne Reden führen könnten (meint er damit Mechtersheimer?), fährt dann fort mit Kernsätzen wie „Polizei und Justiz brauchen wir, weil sonst herrscht Chaos in diesem unserem Land“ (erste Buh-Rufe und Pfiffe) und sagt schließlich mit einem Schlenker auf Afghanistan „Die Minderheit der Gewalttäter, die andere töten oder töten lassen, muss durch wirkungsvolle Drohung mit der Vernichtung der eigenen Existenz in Schach gehalten werden“. Ein einziger Aufschrei in der Arena; auch Erich Frister hat seinen unheimlich starken Abgang.

Dummheit oder Absicht, Fehleinschätzung oder verwechseltes Manuskript? Der Gegensatz zwischen bieder-besorgter DGB-Spitze und aufmüpfiger Basis wird durch das Folgende noch deutlicher.

Ein paar Tage Bau

Einige Antikriegslieder werden gespielt, dann versucht eine Gruppe Soldaten ein Transparent zu entfalten, wird aber dabei von Ordnern gehindert. Weitere Veranstaltungsteilnehmer unterstützen die Soldaten. Es entsteht eine Rangelei. Kreisvorsitzender Alois Mittermüller kämpft verbissen gegen das Transparent und schmeißt schließlich noch einen der Transparentträger von der Bühne. Das Tauziehen wird von donnernden Sprechchören begleitet „Auf die Bühne, auf die Bühne!“. Mittermüller und seine Lakaien zerren, ziehen schon isoliert auf der Bühne weiter, sind auf ver-
lorenem Posten (welche Angst müssen sie vor einem Transparent haben, dessen Text sie nicht einmal kennen!). Endlich dann entfaltet sich das Spruchband:

LIEBER EIN PAAR TAGE BAU RISKIERTALS VON DER BOMBE MASSAKRIERT.
PAROLE HEISST: ABRÜSTEN!

Nicht enden wollender Applaus für die mutigen Soldaten, die mit diesem Auftritt einiges riskiert haben und viele fragende Gesichter angesichts der peinlichen und beschämenden Auftritte der DGB-Führer.

Divide et impera! Spalte und herrsche!

Wozu dieser Zirkus? Wozu diese nun vom DGB forcierte Friedenskampagne? Offensichtlich gelang es der unheiligen Allianz von DGB-SPD-Spitze nicht ganz, den Krefelder Appell als kommunistisch gesteuertes Tarnunternehmen zu diffamieren. (Übrigens eine recht bequeme Art, sich einer inhalt-
lichen Diskussion zu entziehen!). Noch offensichtlicher aber sind es jetzt schon zu viele, die den Krefelder Appell unterstützen. Und die Angst macht sich breit, dass einem die Bewegung davon-
läuft. Jetzt, nachdem man es nicht geschafft hat, mit allen Tricks die Friedensbewegung zu brem-
sen, ist man im Zugzwang und initiiert die eigene Friedensbewegung.

Der Gang der Ereignisse ist logisch:

 Vor einigen Monaten erschien ein „Dattelner Aufruf“, der den Nachrüstungsbeschluss befürwortet. Er wurde vom DGB-Vorsitzenden in Recklinghausen mitinitiiert.

 Am 15. Mai 1981 beschloss der ÖTV-Vorstand: „Der Krefelder Appell vom 15. und 16. November 1980 entspricht nicht den Beschlüssen der Gewerkschaft ÖTV und des Deutschen Gewerkschafts-
bundes zur Friedens- und Entspannungspolitik (ÖTV-Magazin Nr. 6/81).

 Am 3. Juni 1981 beschloss der ÖTV-Vorstand, dass Gewerkschaftsfunktionäre bei Unterschriftensammlungen nicht mehr ihre Funktion angeben dürfen. Dies war gegen
den Krefelder Appell gerichtet.

 Anfang Juni lehnte die Postgewerkschaft die Teilnahme ausdrücklich ab. In der „Einheit“, Zeitung der IG Bergbau und Energie, wird schon seit längerem gegen den Krefelder Appell
Stellung genommen.

 In der „Quelle“ Nr. 7/8 1981, dem Funktionärsorgan des DGB, wird der sogenannte Nachrüstungsbeschluss begrüßt und die Friedenskämpfer als „Demagogen“ bezichtigt.

 In der „Gewerkschaftspost“ der IG Chemie-Papier-Keramik wird der DGB-Aufruf sogar aus-
drücklich damit begründet, dass er in Konkurrenz zum Krefelder Appell steht: „Damit setzen sich die Gewerkschaften gleichzeitig auch von den einseitig gegen den Westen und den NATO-Doppel-
beschluss gerichteten Aktionen und Unterschriftensammlungen – wie beispielsweise dem von Kommunisten getragenen Krefelder Appell – ab.“

 Der DGB-Vorstand wollte der Gewerkschaftsjugend die Teilnahme bei der Großdemonstration am 10. Oktober in Bonn verbieten.

Der Gegensatz zwischen Vorstand und Mitgliedern: unübersehbar !

Der DGB-Aufruf macht keine konkreten Vorschläge, wie der Frieden durchsetzbar wäre. Der Aufruf beschwört die Fortsetzung der sozialliberalen „Entspannungspolitik“ der Bundesregierung. Während der letzten 10 Jahre Abrüstungs- und Entspannungsverhandlungen aber wurde die Mili-
tärmaschinerie in gigantische Ausmaße ausgeweitet. Das Gerede vom Frieden diente nur dazu, uns einzuschläfern. Es geht der Personalunion von SPD-DGB-Führern weniger um die Sache, um den Frieden unter den Völkern, sondern um den möglichst reibungslosen Ablauf ihrer jämmerlichen Tagesgeschäfte, indem sie ihre eigene klägliche Rolle in der wirklichen Politik verschleiern. Des-
halb verweigern wir uns diesem Geschäft und unterstützen die verschwommenen Friedensbeteu-
erungen des DGB NICHT.

Seit Jahren sind wir im DGB organisiert, haben aber bis heute noch nie die Möglichkeit gehabt, einen der Vorsitzenden zu wählen. Und wir wissen, dass wir mit dieser unserer Unzufriedenheit darüber, dass alle den einen wollen, aber ein anderer dann Vorsitzender wird, nicht allein stehen. Deshalb unsere Forderung: Basisdemokratie in die Gewerkschaften!

Und noch etwas: Wir sind absolut für die Einheit in der Gewerkschaftsbewegung, denn nur starke Gewerkschaften sind schlagkräftig, aber diese Schlagkraft ergibt sich nur durch die Masse der Mit-
glieder, nicht durch das Taktieren der DGB-Bosse, die – und das sei hier einmal deutlich gesagt – unsere Verbündeten nicht sein können. Wir sind für Einheit, aber nicht um jeden Preis!

Jessica von Ouspensky
M. Ebermanns


Münchner Zeitung 14, September/Oktober 1981, 9.