Materialien 1981
Umweltprotest in den Kammerspielen
4. Oktober 1981
Guten Abend!
Bitte haben Sie Verständnis für diesen ungewöhnlichen Auftritt. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit zwei Minuten in Anspruch nehmen. Frankfurt ist wieder einmal Schauplatz öffentlicher Auseinan-
dersetzungen. Es geht um die geplante Startbahn West am Flughafen, das letzte große zusammen-
hängende Waldgebiet im Raum Main-Rhein.
Das Demokratieverständnis der hessischen Landesregierung hört dort auf, wo Interessen der Bau-
wirtschaft, der Flugzeugindustrie und der Militärs beginnen. 200.000 Menschen aus dieser Region haben ein Volksbegehren eingeleitet, um den Bau der Startbahn West doch noch zu verhindern. Dieses Volksbegehren hat Aussicht auf Erfolg. Doch der Bürgerwille wird mit Polizeiknüppeln geschlagen. Der Ausgang des Volksentscheids wird nicht abgewartet. Die Bauarbeiten der Flug-
hafenerweiterung haben begonnen, Millionen Bäume müssen in den nächsten Tagen ihr Leben lassen.
Für mich ist dieser Kahlschlag ein unverantwortlicher Eingriff in menschliche Lebensbedingungen. Diese Landschaftszerstörung ist kein Einzelfall.
Ich bin Flughafengegner vom Erdinger Moos.
Das Erdinger Moos soll einem 8-Milliarden-Großflughafen geopfert werden.
Das Altmühltal wird kanalisiert.
Der Allacher Forst und das Isental kriegen eine Autobahn.
Bayern braucht eine Wiederaufbereitungsanlage für Atommüll.
In unseren Alpen – Symbol für Natur, Stärke und Leben – ist natürliches Leben am Sterben.
Wem nützen diese Projekte? – Mir nicht!
Wer soll diese großtechnologischen Anlagen und deren Folgekosten in Milliardenhöhe bezahlen? – Wir alle!
Wie lange kann die heilige Kuh „Wachstum“ noch wachsen? – Bis wir alle platzen!
Ich habe Angst vor dieser Zukunft, weil mein natürlicher Lebensraum heute schon eingeengt ist.
Wo sollen wir uns erholen, wenn alle Erholungsräume zugebaut sind?
Müssen wir in Zukunft Sauerstoffmasken tragen, weil die Luft nicht mehr reicht?
Wovon sollen wir uns ernähren; wenn alles Land zubetoniert und die Nahrungsmittel vergiftet sind?
Ich kann nicht zulassen, dass es so weiter geht. Ich wehre mich gegen diesen Wahnsinn! Bitte denken Sie darüber nach.
K.H. Kroeger
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Karl-Heinz Kroeger, Hopfenstr. 3, 8053 Attenkirchen
Herrn Stadtrat
Forchheimer
Rathaus
8000 München
8. November 1981
Betrifft: Ihr Brief an Oberbürgermeister Kiesl vom 4./5. November 1981
Offener Brief
Herr Forchheimer,
Sie schildern meinen Auftritt in den Kammerspielen vom 4. November als „unerfreulichen Vorfall“, Ich kann Ihnen versichern: Mir, meinen Freunden und auch vielen Zuschauern hat dieser „Vorfall“ Freude bereitet. Mir bereitet auch die Veröffentlichung Ihres Briefes Freude, weil Sie damit unse-
rer Aktion zu unverhoffter Aufmerksamkeit verhelfen. Dennoch – über den Inhalt Ihres Briefes kann ich mich nicht freuen.
„Die Entpolitisierung unserer Theater“ – oder meinten Sie, Ihrer Theater – ist viel zu weit fortge-
schritten. Ein Indiz sind die Keller- und Hinterhof-Theater, die unter schwersten Bedingungen arbeiten. Diese „politischen“ Theater finden ihr Publikum, weil neben guter Unterhaltung dort die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, der Geschichte und der Zukunft stattfindet. Theater ist für mich ein Ort öffentlicher geistiger Auseinandersetzung mit Menschen und dem Leben.
Haben Sie Besucher, Schauspieler und Angestellte gefragt, was sie über die Aktion in ihrem Theater denken? Sind Sie nicht der Meinung, dass in einem demokratischen System nicht nur
die Kulturbürokratie, sondern auch die Betroffenen zu entscheiden haben? Sie bezeichnen meine „ausführliche politische Resolution“ über brennende Umweltfragen als „lautstark-hässliche, stimmungszerstörende Präambel“. Beweist der zustimmende Beifall vieler Besucher nicht das Gegenteil?
Meine Bitte an die Zuschauer, über den Inhalt meiner Erklärung nachzudenken, hat in Ihrer Person gleich vier Adressaten gefunden. Wer hat sich angesprochen gefühlt? Der Kulturpolitische Sprecher der CSU-Rathausfraktion, der Co-Referent der Kulturverwaltung, der Ministerialrat im Umweltministerium oder der Privatmann? Gerade als Kulturfachmann müssten Sie wissen, welch verheerende Folgen ein „kultureller Friedhof“ in Deutschland schon einmal gehabt hat. Ist das ein Ziel Ihrer Kulturpolitik? Als Anlage erhalten Sie den Text meiner Erklärung. Möglicherweise ist Ihnen der Inhalt in der Aufregung entgangen.
Mit freundlichem Gruß
Münchner Zeitung 16 vom 15. November 1981, 8.