Materialien 1981
Oase der Ruhe
Im Februar 1981 war eine Anzeige in der SZ erschienen: »Bestlage Schwabing, Türkenstraße/Uni, volle 7b-Abschreibung, grunderwerbsteuerfrei, Finanzierung bis 90 Prozent, Traumwohnungen
in einer Oase der Ruhe«. Annonciert hatte eine Müller GmbH, als Eigentümerin schien eine Frau Aida Freifrau von dem Busche-Streithorst aus Pöcking auf, die Verwertungsgesellschaft hieß »Kirchheimer Immobilien«.
Die Mieter von 68 a, zwischen Türkenschule und Türkenbad, darunter der Filmemacher Bertram Verhaag, trauten ihren Augen nicht, als sie ihre Wohnungen so einfach zum Verkauf ausgeschrie-
ben sahen. »Kommen Sie zu einer unverbindlichen Besichtigung direkt zum Objekt.« 135.000 sollte eine Einzimmer-, 735.000 Mark eine Sechszimmerwohnung kosten. Die Nummer 68 A war zum Spekulationsobjekt geworden. Die Mieter waren empört und beschlossen, da zu bleiben.
»Ich bin 1972 hier eingezogen, ich wollte mit mehreren Leuten zusammenleben. Für 650 Mark bekamen wir die Wohnung im Hochparterre mit der Fensterseite zur Spielstraße1 und anderen Fenstern in einen dritten Hinterhof der Amalienstraße.
Wir probierten Verschiedenes aus in Gruppentherapien und Gruppensitzungen. Es war also eher eine Zweck- als eine Wohngemeinschaft. Über uns war die Frauenkommune, unter uns machte der Saß, der Psychologe seine Schreitherapien mit Brüllen und Schlagen. Anita Albus, die Malerin und Schriftstellerin wohnte auch im Haus. Sonst ein paar ältere Leute, die schon 30 und mehr Jahre hier waren.
Als ich einzog, gehörte die Wohnung Hassan, einem Armenier, der es an die Frau von dem Busche verkaufte, von der es aber hieß, sie wolle es wieder verkaufen. Vage hatten wir überlegt, ob wir 16 Parteien es nicht einfach übernehmen sollten. Aber wie dann aufteilen? Wir kannten uns doch kaum.«
Dreißig Jahre lang war am Haus nichts gemacht worden, die Mieter hatten alles selber eingebaut: Bäder, Böden, Leitungen, Heizungen.
Mitte 1980 kursierte das erste Verkaufsgerücht, im Oktober wurden Mieterhöhungen bis zu 90 Prozent verlangt. Im Januar 1981 war das Haus an Serge Boyko für Kirchheimer Immobilien ver-
kauft worden. Sofort zogen die Handwerker ein, bauten eine Musterwohnung aus, mit der dann im Februar in der Süddeutschen Zeitung Käufer für die »Oase der Ruhe« geködert werden sollten.
>Wir gehen nicht raus! Wir lassen uns nicht verwerten! Wir fordern die Anwendung der Erhal-
tungssatzung!< wehrten sich die Mieter.
»Die Kirchheimer Immobilien hatten das Haus für drei Millionen gekauft und wollten es nach 14 Tagen für acht Millionen wieder verkaufen. Der Verkäufer Müller ging durch die Wohnungen und jagte den Leuten Angst ein: Sie haben ja gar keinen Mietvertrag! Hatten die auch nicht, weil sie nach dem Krieg hier eingewiesen wurden. Sie müssten gehen, sagte der Müller, innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate und er würde ihnen sogar noch eine Abfindung zahlen. Einige hat
er bestochen, andere erpresst.
Da haben wir eine Mietergemeinschaft gegründet, eine sehr schlagkräftige. Unser Anwalt war Christian Ude, der jetzige Oberbürgermeister und der hat die ganzen Verträge innerhalb von ein paar Tagen rückgängig gemacht. Das war unser erster Erfolg, der uns sehr Mut gemacht hat.
Außer dem Saß haben sie niemanden von uns raus gebracht, aber er gehörte auch nicht zur Mie-
tergemeinschaft, er wollte seinen eigenen Kampf kämpfen. Wir hatten in die Fenster gehängt: >Wir bleiben hier!<, was vom Gericht als Meinungsäußerung und nicht als Kündigungsgrund gesehen wurde, als nicht-vertragsgemäße Nutzung der Wohnung zu Werbezwecken. Der Saß hatte im Fenster seiner Wohnung im Erdgeschoss: >Unrecht Gut gedeihet nicht!< und das sahen die Richter als Kündigungsgrund.
Wer weiß, wenn er mit uns zusammengearbeitet hätte, vielleicht wären er und seine Frau Joyce noch drin. Sie haben jedenfalls ihre Therapiegruppen aktiviert und die standen dann jeden Tag an der Straße und haben Flugblätter verteilt über den Stand der Dinge. Daraus ist dann die <Aktion Lebensqualität< geworden.
Von 1981 bis 1987 gab es immer wieder Versuche, uns rauszuekeln: das Haus wurde renoviert, sinnlos. Die Wand musste wieder aufgeschlagen werden, weil die Farbe falsch war, die Feuchtigkeit nicht hinauskonnte. Das Haus hatte nämlich Schwamm. Also mußte eine Schwamm-Sanierung gemacht werden. Das dauerte. Das Haus blieb eine Baustelle.
Mich als Mietersprecher hatte der Boyko besonders auf dem Kieker. >Ziehen Sie doch aufs Land!< schlug er vor, er habe da etwas. Als das nicht klappte, schickte er mir drei fristlose Kündigungen, die wir aber abschmettern konnten. Jede Woche kam etwas anderes: Tun Sie das und lassen Sie das! Permanent wurdest du in Atem gehalten, du solltest nicht in Ruhe wohnen können. Dann war das Licht kaputt oder das Schloss. Und überall die Bretter, auf denen du über Schutt und Wasser-
lachen steigen musstest.
Das hat zweifellos das Leben der Älteren stark beeinflusst. Von den beiden älteren Damen im Erdgeschoss ist eine gestorben, die andere ins Altersheim gezogen. Der Roth ist gestorben mit seinen 72 und die Frau Schöffmann mit ihren 73: beide hatten sie 36 Jahre im Haus gelebt.
Die freien Wohnungen wurden renoviert, dann einzeln verkauft. Anno 1990 waren bis auf drei Wohnungen alle weg. Da wurde dann vermehrt Druck gemacht: sie führten immer neue Käufer
in die Wohnungen, oft bis zu zehn. Von der Aktion Maxvorstadt sind auch welche als angebliche Käufer aufgetreten. Wir brauchten schließlich Zeugen.
Wer als echte Käuferin kam, war die Maria von Welser, die mit ihrer Frauensendung im ZDF. Ich schilderte ihr die Situation, normalerweise habe ich damit immer die Leute abgeschreckt. Was Sie da in Ihren Sendungen anprangern, können Sie doch unmöglich selber praktizieren! habe ich ihr gesagt. Andere aus ihren Wohnungen zu drängeln! Daraufhin bekam ich eine Kündigung wegen Geschäftsschädigung. Weil die von Welser so unbedingt meine Wohnung wollte. Ich hätte ihr mit Rufmord gedroht.
1990 kamen die letzten drei Wohnungen unter Zwangsverwaltung, weil dieser Boyko 1,5 Millionen Zins schulden hatte. Das Ganze war jedenfalls kein Geschäft für ihn geworden.«
Der bestrafte Spekulant, ein Lehrstück.
»Irgendwann Mitte 1991 hat Dornier die restlichen drei Wohnungen gekauft, angeblich für die Kinder. Da besteht im Augenblick keine Gefahr. Ich wohne in einer dieser Dornier-Wohnungen, einer großen: 180 Quadratmeter, offiziell 1.200 Mark, aber ich habe eine Mietminderung durch-
gesetzt, weil beim Umbau des >Türkenbades< bei mir die Wände naß wurden. Die Arbeiter haben ja falsch gemacht, was möglich war. Jetzt ist das >Türkenbad< ekelhaft modern hergerichtet mit komischen Wandlampen und einem goldprotzenden Brunnen im Hof.
Die Idee wegzugehen ist mir eigentlich nie gekommen. Ich wusste, dass ich im Recht war. Ich brauche irgendwie die Stadt. Da kenn’ ich die Infrastruktur, da ist mir alles vertraut: Geschäfte, Kneipen, Kinos, Leute.
Bei mir gibt es auch keine Trennung zwischen Leben und Arbeit.«
Mit Claus Striegel dreht er Filme.
»Einer hieß >Oase der Ruhe< und handelte von unserem Haus. Der war von Lojewski für >Report München< in Auftrag gegeben worden, ist aber nie gesendet worden. Boyko hatte interveniert: ich würde die Mieter für meine Zwecke instrumentalisieren. Ein Jahr später hat >Report Baden-Ba-
den< den Film dann doch gesendet.«
Verhaag dreht weiter: Filme »Was heißt denn hier Liebe?« über ein Stück des Kindertheaters Rote Grütze, »Mama, Papa, Auto« über die Vorteile des Radfahrens, Dokumentationen über Mieterver-
treibung, Heimatverlust, Gewalt gegen Kinder.
»Dinge, die uns selber betroffen machten. Partner war da immer das Fernsehen.«
1985 fiel die Entscheidung, Wackersdorf zu bauen. »Wir wollten zehn Jahre lang beobachten. Niemand wollte das Projekt finanzieren. Wir griffen dann eben auf Gespartes zurück.« »Spalt-
prozesse« entsteht, wird ein großer Erfolg, bekommt viele Preise.
»Es zeigt den Widerstand gegen das Atomkraftwerk und wie aus frommen Bürgern plötzlich wel-
che werden, die Steine für die sogenannten Chaoten sammelten, weil sie denen mehr vertrauten als den Politikern. Es zeigt, wie sich Leute verändern: die, die einen dieser Schwarzgekleideten nie mit einer Pinzette angefasst hätten, luden sie jetzt in ihr Haus ein zum Duschen, Essen, Schlafen. Frauen, die nie allein außer Haus oder in Kneipen gegangen wären, fanden plötzlich nichts mehr dabei.«
»Restrisiko oder die Arroganz der Macht« hieß der nächste Film über das Anhörungsverfahren zum AKW Wackersdorf. »Die wollten uns die Drehgenehmigung entziehen, weil wir immer da waren. Jeden Tag mussten wir neu darum kämpfen.«
»Das achte Gebot« wurde der dritte Teil der Trilogie betitelt.
»Wir hatten Pech: zwei Jahre hatten wir gedreht, dann kam das Aus für das AKW Wackersdorf. Der Film ist nicht mehr verwertbar. Kein Hahn kräht mehr danach.«
Was ihnen als Atomkraftgegner recht, aber als Filmer eben doch nicht so billig ist. Die beiden drehen weiter. Filme wie: »Angst, Tor zur Freiheit«, »Das innere Ausland«, »Grenzgänger« und» Blue eyed« …
1998 zieht Bertram Verhaag aus seiner nur von Dornier ihm überlassenen Wohnung im geschichtsträchtigen Haus 68a am Georg-Elser-Platz.
Bertram Verhaag
:::
1 seit 1997 Georg-Elser-Platz!
Hella Schlumberger, Türkenstraße . Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998, 258 ff.