Materialien 1981

Demonstrationsrecht ade (Tschüß)

PROZEDUR GEGEN PROTEST
oder
Auf der Straße könnt ihr demonstrieren,
aber nicht in „unserem“ Wald und auf „unserem“ ungenutzten Bahngelände

Wir machen eine Demonstration gegen die Autobahntrasse: quer durch den Allacher Forst. Klar! Sauerei! Niemals!

Die Sache soll aber auch ein wenig fröhlich sein und Spaß machen. Ganz einfach! Wir machen eine bunte Radldemonstration kombiniert mit einer Wanderdemonstration durch die Stadtviertel in den Wald. Zum Abschluss gibt es eine Veranstaltung im oder am Wald, um den es schließlich geht, mit Musik, Bierausschank, mit Naturkost und mit erzählerischen Einlagen von Leuten, die um diesen Wald herum aufgewachsen sind. Prima!

Die Sache läuft auch relativ gut an. Flugblätter werden gedruckt, verdruckt, ein Absatz neu gedruckt und geklebt. Die Verteilung läuft an.

Sepp hilft Polizei, Münchner Straßen zu finden.

Jemand der parallel dazu die ganze Chose anmelden sollte, 1äßt uns hängen. Der Sepp und ich nehmen die Sache in die Hand. 1m Kreisverwaltungsreferat in der Ruppertstraße läuft es noch ganz gut. Der Sepp erklärt der Verwaltung und der Polizei geduldig, wo welche Straßen in München sind, weil die sie nicht finden. „Blättern Sie auf Seite 23 des Stadtplans …“. „Und dann gehts weiter auf Seite 34!“ Der Sepp kennt sich aus!

„Ja, am Sonntag dürfen sie erst ab 10 Uhr 30 demonstrieren. Vorher ist Ruhepflicht!“ fällt da plötzlich einem Beamten ein. Aha!

Sie sind recht freundlich. Es gelingt uns auch, die „komplizierten“ Zusammenhänge und Schnittpunkte zwischen Radldemo und Demonstration zu Fuß zu verdeutlichen. Auch die Fahrtrouten werden für gut befunden. Nun waren wir in unserem Planspiel am Wald angelangt! Da fiel es den Beamten wie Schuppen von den Augen: „Ja, wenn Sie da eine Veranstaltung machen wollen, müssen sie das mit dem Besitzer klären!“ Der Besitzer ist nach unseren Feststellungen die Deutsche Bundesbahn. Wir machen uns auf den Weg zu deren riesigem Verwaltungsgebäude in der Richelstraße in der Nähe der Donnersberger Brücke. Zuständig ist ein Herr Fellner.

Veranstaltungsverbot der DB:„Objektivitätsgründe“ und „politische Enthaltsamkeit“

Dort mühevoll angelangt, erklärt uns Herr Fellner sofort, dass die DB keine politischen Veranstaltungen mehr auf ihrem Gelände erlauben darf. Dazu gebe es eine Dienstanweisung. Wir bekommen aber trotzdem eine Einladung uns zu setzen. Herr Fellner erklärt uns außerdem etwas von „Objektivitätsgründen“ und „Loyalitätspflicht“ zwischen Bundesbehörden, sprich Autobahnbehörde und Bundesbahnbehörde. Dann erzählt er uns, dass die DB bereits Schwierigkeiten bekommen hat, als sie in einem Zug linkerhand ein SPD-Wahlplakat und rechterhand ein CSU-Plakat hängen hatte. Wir fragen, was das mit einer freien Kiesfläche am Allacher Wald zu tun hätte, die häufig als „wilder“ Parkplatz benützt wird. Herr Fellner spricht wieder von Grundsätzen und politischer Enthaltsamkeit. Enthaltsamkeit? Wer oder was muss sich da enthalten? Der Bundesverkehrsminister mit seinen Weisungen? Oder der Bürger, der sich beteiligen will? Was für Sonderrechte hat eigentlich die Bundesbahn? Ist sie weniger öffentlich als die Kommune? Ebenso wie wir öffentliche Einrichtungen und Straßen über Kosten und Steuern bezahlen, tun wir das doch auch für die Bundesbahn.

Wieso kann uns dann die DB verbieten, auf ihrem ungenutzten Gelände eine Veranstaltung durchzuführen? Herrscht hier absolutistisches Hoheitsrecht der herrschenden Regierung und deren Verwaltung ohne Beteiligung der finanzierenden Bürger? Wir meinen nein und hätten wir mehr Zeit gehabt, hatten wir gegen diese Verfügung geklagt.

DB sucht Ausweg: Das Grundstück von Frau Kuttner

Doch Herr Fellner ist ein braver Mann: Er tut nur seine Pflicht und hat Sympathien für uns. Schließlich hatten wir uns als Freunde der Bahn zu erkennen gegeben. Er holt seinen Plan, denn er hat einen Verdacht: „Aha, 2 Schritt links von der Stelle, wo wir die Veranstaltung machen wollen, ist ein Gebiet, das die DB noch nicht erworben hat.“ Wir schauen nach, wer der Besitzer ist: Eine Frau Maria Kuttner.

Herr Fellner ist froh, dass sich ein Ausweg anbahnt. Im übrigen hätte er nichts dagegen, wenn die Veranstaltung auf „unserem“ Gelände stattfindet, er würde auch nicht nachschauen, doch schriftlich kann er keine Genehmigungsvereinbarung herausrücken. Doch das will die Stadt! Wir fahren zu Frau Kuttner, die kein Telefon hat. Sie wohnt im äußersten Osten. Sie ist nicht da! Am nächsten Tag erfahren wir, nachdem wir noch einmal vorbeifahren, dass sie nicht mehr dort wohnt. Unbekannt verzogen!

Naja, dann machen wir die Veranstaltung halt mehr innerhalb des Waldes und fragen die Bayerische Forstverwaltung. Die ist wiederum im äußersten Süden, in Forstenried.

Die bayrische Forstverwaltung schützt nicht den Wald,sondern den Dienstweg.

Eine Frau Vitzthum ist zuständig. Doch über so kompetente Fragen darf sie natürlich nicht entscheiden. Sie holt ihren Chef, der sich nicht vorstellt. Der schaut ganz verkrampft und als wir sagen, dass wir von den GRÜNEN kommen, zuckt sein ganzes Gesicht. Seine Stimme bebt, als hätte er Angst vor uns. Wir betrachten ihn mehr als Kollegen, der ja auch an dem Wald interessiert sein müsste. Aber der Herr „Kollege“ schützt nicht den Wald, sondern den Bayerischen Staat, seine Dienstanweisungen und seine Akten. Er meint, er bräuchte einen schriftlichen Antrag, der mindestens zwei bis drei Wochen Bearbeitungszeit beansprucht. Wahrscheinlich dauert der Dienstweg so lange! Schließlich muss ja auch der Herr Ministerpräsident Franz-Josef Strauß damit einverstanden sein, dass die GRÜNEN etwas für den Wald tun wollen. Was, die Veranstaltung soll am Wochenende sein? Unmöglich! Der Mann schaut uns fassungslos an. Seine Stimme bebt schon wieder. Wir verlangen für alle und zukünftige Fälle den „Verhaltenskatalog für Veranstaltungen im Walde“. Dort lesen wir zum Beispiel, dass wir „für Schäden im Wald, die während der Veranstaltung durch Naturkatastrophen verursacht“ würden, „nicht haften“. Ach wie großzügig!

Der Mann wird etwas nervös, weil wir nicht gehen. Doch wir brauchen noch etwas Zeit, den neuerlichen Misserfolg zu verdauen und vor uns hin zu „philosophieren“! Dann gehen wir ohne uns zu verabschieden.

Am nächsten Tag gehen wir dann zum Grundstücksamt, um Grundstücke in der Umgebung des Waldes ausfindig zu machen, die der Stadt München gehören. Wir haben dabei eine schöne Wiese im Sinn, direkt am Wald, von der wir wissen, dass dort die Hitler-Autobahntrasse hindurch sollte und somit naheliegenderweise im städtischen Besitz sein musste.

Ohne BA-Vorsitzenden Lucke aus Allach läuft hier nichts.

Wir werden fündig. Flurnummer: 1339, Gemarkung: Allach, Besitzer: Landeshauptstadt München. Nun ist alles geritzt – glauben wir! Wir rufen die zuständige Stelle im Kreisverwaltungsreferat an. Zuständig ist ein Herr Hölty. Er ist heute aber nicht da. Kommt morgen wieder! Wir erklären dem Sachbearbeiter, um was es geht. Also: „Wir brauchen einen schriftlichen Antrag. Darin muss stehen, welcher Art die Veranstaltung ist. Außerdem brauchen Sie die schriftliche Zustimmung des Bezirksausschusses. Und außerdem ,muss erkundigt werden’ ob das Grundstück verpachtet ist.“ Ich frage ihn. ob er das nicht freundlicherweise nachsehen könnte und er ist so freundlich. Genau die Mitte der Wiese ist verpachtet an das Katholische Pfarramt Maria Himmelfahrt, die dort einen Fußballplatz für die Pfarrjugend eingerichtet hat.

Verfilzung etablierter Interessen

Wer den Bezirksausschuss Allach-Untermenzing kennt, weiß, das dieser im Wesentlichen aus dem CSU-Bezirksausschussvorsitzenden Herrn Lucke besteht. Und der hat am Vorabend auf der Bezirksausschusssitzung verlangt, dass unsere verteilten Flugblätter wieder eingesammelt werden. Außerdem hat er Bürger, und insbesondere eine Bürgerin, die etwas gegen die Autobahntrasse vorbringen wollten, das Wort verbeten. Nach dem Motto und in Anlehnung an Kiesls Spruch zum Flughafen: „Die Autobahn kommt durch den Wald – basta!“ Und genau diesen feinen Herrn sollten wir also unterwürfigst um Genehmigung bitten, die der dann höchstfreudig und herrschaftlich ablehnt? Wir werden’s tun – schon um unsere Dokumentation der Verfilzung etablierter Interessen fortschreiben zu können, welche die Demokratie zur lächerlichen Farce macht. Heute noch! Und viele werden es am Sonntag erfahren haben, wie es ausgegangen ist oder ob wir auf den Onyxplatz in Ludwigsfeld ausweichen mussten. Angesichts solcher Prozeduren kann man jedenfalls lernen, dass für künftige Demonstrationen, in denen wir Lebensraum schützen wollen und müssen, der in festen Händen der Zerstörer (Kaputtsanierer) ist, und die uns trotz alledem nicht auf „ihr“ Gelände lassen, das Motto gelten muss: Legal – illegal – scheißegal!!!

Bernd Schreyer


Münchner Zeitung 10 vom Mai/Juni 1981, 5.

Überraschung

Jahr: 1981
Bereich: Umwelt

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