Materialien 1982

Stoppt die Ausländerhetze!

Wer ist schuld an der hohen Arbeitslosigkeit? Na, wer schon! Das Kanakenvolk, die Ausländer. Wer ist schuld an unserer Wohnungsnot? Die Ausländer! Wer sonst! Und überhaupt! Wo liegt die Ursache für die augenblickliche Finanznot unseres Staates? Bei den massenhaft Kindergeld ein-
streichenden Gastarbeitern! Das pfeifen doch die Spatzen vom Dach! Also:

„Ausländer raus!“ „Deutschland den Deutschen!“

So schlau sind wir Deutsche, dass wir gar nicht mehr merken, wer uns eigentlich entlässt! Hast du oder dein Kollege das Kündigungsschreiben von eueren ausländischen Kollegen oder vom Chef bekommen? Sind es nicht etwa doch die Münchner Merkur, Siemens, Zettler, Hurth, Thiemig usw., die zur Zeit Massenentlassungen in München vorbereiten oder schon durchführen? Ja, aber wenn alle Ausländer rausgeschmissen würden, hätten wir keine Arbeitslosen mehr! Denkt ihr wirklich, so blöd sind die Unternehmer? Warum behalten sie denn dann die vielen ausländischen Arbeiter? Nicht nur, weil sie billiger sind. Sondern genau aus dem Grund, weil ein Heer von Arbeitslosen ihnen nützt. Damit setzen sie Lohnsenkungen durch, können aufmüpfige Kollegen rausschmeißen, haben es leichter, Forderungen nach Verbesserung der Arbeitsbedingungen abzuwiegeln. Lieber verlagern sie die Produktion ins Ausland, als hier neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Wenn man tatsächlich alle Ausländer entlassen würde. käme es außerdem in vielen Bereichen zu Schwierigkeiten:

Zum Beispiel bei den Hochöfen, an den Fließbändern der Autoindustrie, bei den Straßenkehrern, im Gaststättengewerbe usw. Sollen das doch die „faulen Arbeitslosen“ machen! Kollege, dann du zuerst, wenn du morgen arbeitslos wirst, wenn dein Betrieb schließt oder Hunderte, ja Tausende entlässt. Ganz egal was du gelernt hast – das überleg dir mal! Übernehmt doch nicht die Argumen-
te der Unternehmer! Wer steht dir näher, der ausländische Kollege oder der Boss? Wer drückt euch beiden den Lohn?

Die Ausländer. sie sind „faul“, leben wie die Made im Speck!

Warum arbeiten unsere ausländischen Kollegen wohl zu den schlechtesten Bedingungen? Doch nicht etwa, weil sie so bevorzugt behandelt werden! So ein „Gastarbeiter“ braucht für seine Auf-
enthaltsgenehmigung eine Arbeitserlaubnis und eine Wohnung von mindestens 12 m2 pro Kopf. Hat der Gastarbeiter bereits in Deutschland in einem Betrieb gearbeitet, so braucht er für die Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung zusätzlich zu seinem Arbeitsplatz eine Beurteilung seines Arbeitgebers. Sollte diese Beurteilung schlecht für ihn ausfallen, so darf der Mohr wieder nach Hause fahren. Auf der Jagd nach all diesen Erlaubnissen und Genehmigungen kommt es nicht selten vor, dass der „Gastarbeiter“ vom Ausländeramt ans Arbeitsamt verwiesen wird – wegen der fehlenden Arbeitserlaubnis vom Arbeitsamt nämlich – und umgekehrt vom Arbeitsamt wieder ans Ausländeramt – wegen der fehlenden Aufenthaltsgenehmigung nämlich – und ähnliche Freundlichkeiten mehr. Was die Notwendigkeit der Beurteilung des „Gastarbeiters“ durch seinen Dienstherren, zum Zwecke seines weiteren Aufenthaltes betrifft, so hat sie zur Folge, dass der „Gastarbeiter“ sich im Betrieb so gut wie alles gefallen lassen muss. Ansonsten droht seine Aus-
weisung aus der BRD. Faulheit kann er sich garnicht leisten.

So schlau sind wir Deutsche, dass wir nicht merken, wer wirklich unsere Groschen frisst. Diejeni-
gen nämlich, die trotz Krise immer noch größere Profite machen. Die Siemens, MAN und BMW. Während unsere Regierung im sozialen Bereich, im Bildungsbereich Gelder streicht, unsere Steuern erhöht, schiebt sie großen Unternehmern unsere Steuergelder zu – sogenannte Investi-
tionsanreize:

Einem der reichsten Männer der BRD, Flick, wurden 220 Millionen DM Steuern erlassen. Der Rüstungsetat bläht sich auf auf unsere Kosten, weil da Altbekannte, wie Siemens, Krupp, MBB, Thyssen wieder einmal absahnen wollen. 1,5 Milliarden DM stieg der Rüstungshaushalt dieses Jahr. Das ist genau der Betrag, der bei der Kürzung des Kindergeldes eingespart wurde.

Schlaft ruhig weiter und gebt die Schuld für das alles den Ausländern!

Dass in unseren Sozialwohnungen gut verdienende Leute sitzen; dass es zu wenige Wohnungen sind; dass private Vermieter ihre Mietshäuser herunterkommen lassen und sie immer teuerer vermieten, so dass man sie fast nicht mehr bezahlen kann; dass große Mietprojekte leer stehen, weil sie dem Besitzer so steuerliche Vorteile bringen u.ä.m., das ist auf die Freiheit der Vermieter, der Bauherren zurückzuführen. Ausländer haben damit nichts zu schaffen! Und wenn, dann nur insofern, als sie die letzten, verkommenen Löcher in den grauesten Stadtteilen bewohnen dürfen.

Wenn ihr so dumm seid, wie bestimmte Leute meinen, dann schreit ruhig weiter, dass Ausländer euch die Wohnungen wegnehmen würden!

Nur vom Kindergeld leben die Ausländer also und setzen deshalb extra viele Kinder in die Welt, um auf unsere Kosten leben zu können versteht sich.

Meinst du wirklich, Kollege oder willst du nur nicht wahrhaben, dass in Wirklichkeit der Staat die Sozialkassen plündert! Die ausländischen Kollegen aber zahlen auch Steuern und Sozialabgaben, so wie du. Und insgesamt bekommen sie an Leistungen nur einen Teil davon zurück. Das liegt z.B. daran, dass eine Rente nur der bekommt, der schon dreizehn Jahre in der BRD lebt. Die meisten ausländischen Arbeiter aber bleiben nicht so lange. Die Krankenkasse nehmen sie auch weniger in Anspruch als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung. Denn die meisten ausländischen Kolle-
gen sind in einem Alter, wo sie nicht so häufig krank werden. Die Alten und Kranken müssen ja sowieso in ihren Heimatländern verbleiben. Die „Gastarbeiter“ leben nicht nur nicht auf unsere Kosten, sondern umgekehrt sie stützen sogar unsere Sozialkassen.

Aber die ausländischen Kinder sind schuld, wenn unsere Kinder in der Schule nichts mehr lernen! Es gibt so große Probleme mit ihnen, vor allem wegen der Sprache, dass unsere Kinder schon ver-
nachlässigt werden.

Es ist richtig, dass in Stadtvierteln mit hohem Ausländeranteil die Schulprobleme enorm sind. Die Lösung aber wäre einfach: Man sollte endlich die schwachen Schülerjahrgänge zum Anlass neh-
men, die Klassenstärken zu senken und die arbeitslosen Lehrer einzustellen. In kleineren Klassen könnten die Lehrer dann auch die ausländischen Kinder betreuen, ohne dass die deutschen Kinder zu kurz kämen. Aber man braucht das Geld ja angeblich für die Rüstung.

Die Ausländer kommen ja doch nur her, weil sie in ihren Heimatländern nichts anständiges auf die Beine stellen können.

Sie kommen vorwiegend aus der Türkei und den südeuropäischen Ländern. Das sind alles arme Länder, ganz richtig. Aber warum denn? Gerade nicht deswegen, weil die Leute dort so faul sind, so gerne in der Sonne liegen, gerade nicht weil sie weniger fleißig sind als die Deutschen. Nehmen wir z.B. die Türkei, wo die größte Zahl ausländischer Kollegen herkommt. Zur rechten Zeit wurde dort amerikanisches und deutsches Kapital investiert. Geschenkt haben die fremden Unternehmer dem Land nichts. Profit haben sie gemacht und das gesunde Wachstum der dortigen Wirtschaft verhindert. Zu Spottpreisen haben sie Rohstoffe geplündert und tun es noch. Arbeitskräfte bezah-
len sie zu Hungerlöhnen. Sie lassen nur produzieren, was sie zu eigenen Zwecken brauchen. Der Bedarf der Menschen, die dort leben, war und ist nicht ihr Interesse.

Wer von faulen Kanaken spricht, wer sich darüber beschwert, dass das Ausland von uns so viel Unterstützung bekäme, hat von der Realität keine Ahnung, lässt sich von falscher Berichterstat-
tung an der Nase herumführen.

Bist du einer von denen, die die ausländischen Kollegen in ihren ohnehin knapp bemessenen Rechten beschneiden wollen, sie am liebsten gleich rauswerfen wollen? Welchen Rassisten bist du auf den Leim gegangen?

Wer ruft da „Deutschland den Deutschen“? Das kommt aus einer Ecke, die nicht nur ausländer-
feindlich ist. Das kommt aus einer Ecke, die auch für kranke Arbeitnehmer und Arbeitslose bemer-
kenswerte Forderungen stellt. Die meinen es ernst mit Ruhe und Ordnung. „Verband deutscher Bürgervereine“ nennt sich eine dieser rechten Gruppen. In einer Veranstaltung Anfang September 1981 stellte sie folgende Forderungen auf:

 „Regelmäßige Überwachung kranker Arbeitnehmer durch unangemeldet auftauchende Krank-
heitskontrolleure“

 „Tägliche Meldepflicht von Arbeitslosen mittels Stechuhr bei den Arbeitsämtern“

 „Keine weitere Zuwanderung von Ausländern nichtdeutscher Volkszugehörigkeit“

und anderes mehr.

Na ja, dieser lächerliche Verein mögen manche sagen. Weit gefehlt!

Es ist schon längst nicht mehr nur eine Gruppe oder nur ein paar. Überall schießen sie aus dem Boden, mehr oder weniger offen faschistisch. Viele sind Tarnorganisationen der NPD. So empfiehlt Günter Deckert, NPD-Funktionär und früherer Bundesvorsitzender der „Jungen Nationaldemo-
kraten“ entweder in schon bestehenden neonazistischen, ausländerfeindlichen Gruppen mitzuar-
beiten, oder „eigene vor Ort arbeitende Bürgergruppen“, der „örtlichen Problemlage entsprechend“ zu gründen.

Die Ausländer sind die neuen Juden. Sie sollen den Sündenbock spielen. Sie sollen von den sozi-
alen Problemen ablenken, die sich mit der bestehenden Wirtschaftskrise immer mehr verschärfen. Die Unternehmer hoffen, dass wir unseren Zorn nicht gegen sie, die Urheber der Krise, richten, sondern dass wir uns auf die Ausländer hetzen lassen. Und ihr tut ihnen den Gefallen! Spalten wollen sie uns und ihr fallt darauf herein!

Dagegen hilft nur der gemeinsame Kampf von deutschen und ausländischen Kollegen: Um mehr Arbeitsplätze, mehr Wohnungen, mehr Schulen, denn unser Land wäre reich genug. Es ist nur die Frage, was wir davon abbekommen von diesem Reichtum.

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München. Regensburg: Eigendruck im Selbstverlag


Demokratischer Informationsdienst. Hg. vom Anti-Strauß-Komitee, März 1982 extra, Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

Überraschung

Jahr: 1982
Bereich: AusländerInnen

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