Materialien 1982
Wahre Fülle
Fernsehen
Eine TV-Satire über den Rhein-Main-Donau-Kanal hat den Freistaat Bayern getroffen:
Das Kabarett drang bis ins Kabinett.
Festlich gestimmt und ohne Arg feierte Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß im Antiquarium der ehemals königlichen Residenz zu München seinen Neujahrsempfang für Journalisten aus Presse, Funk und Fernsehen. Mit von der Partie: das halbe Kabinett und die meisten Medien-Wächter aus Parteien und Staatskanzlei.
So kam es, dass zu dieser Stunde keiner von ihnen vor dem Fernseher saß, als eine Handvoll professioneller TV-Spaßmacher im Ersten Programm zur „bissigsten und brillantesten Glosse, die seit langem über den Bildschirm flimmerte“ (Bayerns FDP), ausholte. Am Donnerstag vorletzter Woche planschte die TV-Livesendung „Scheibenwischer“ des Senders Freies Berlin ungeniert in den Wassern eines bayrischen Prestige-Projekts – des Rhein-Main-Donau-Kanals.
Der Kabarett-Routinier Dieter Hildebrandt, der Grotesk-Virtuose Gerhard Polt und die Satirikerin Gisela Schneeberger persiflierten 45 Minuten lang den „Alfons-Goppel-Prestige-Tümpel“, der zwar die heimische Fauna ausmerze, dafür aber „Kanalratten“ neuen Lebensraum und Tierpräparatoren sichere Arbeitsplätze bringe. Die seit über einem halben Jahrhundert geplante Wasserstraße durchschneide wohl ein „lästiges Erholungsgebiet“, aber schließlich könnten ja auch „nur völlig intakte Landschaften diesen Kanal überstehen“.
Die bayrischen Kanalarbeiter zu karikieren, deren teures Werk sogar der amtierende Bundesverkehrsminister Volker Hauff als das „dümmste Projekt seit dem Turmbau zu Babel“ verspottete, konnte dem Ulk-Trio wahrlich nicht schwerfallen. Sie brauchten sich nur an die Daten des Geschäftsberichts der Kanalbaugesellschaft zu halten.
„Unsere internen Zahlen“, verriet in der Sendung der für den Kanal stehende „Dr. Schwamm“ alias Gerhard Polt, „die san so wahnsinnig, die san so gespenstisch“, die könne ein Normal-Politiker wie Schmidt, Strauß oder Goppel gar nicht öffentlich verkünden: „Dann sagt doch der kleine Mann, ja jetzt spinnen’s ganz, die wollen uns verarschen.“
Polt in der Sendung zu Hildebrandt: „Sehen Sie, das ist der Grund, warum wir so einen professionellen Spaßvogel wie Sie brauchen, der uns diese Geschäftsberichte veröffentlicht.“
Mit diesem Kunstgriff brachten die drei Scheibenwischer bequem auch jenes Stück Wirklichkeit unter, dass der Strauß-Vorgänger Alfons Goppel und drei Münchner Kabinettsmitglieder als Politiker und zugleich als Aufsichtsratsmitglieder der Rhein-Main-Donau-AG für den Kanal tätig waren oder noch sind.
Als geschäftstüchtige Kanalbau-Sekretärin telephonierte sich Gisela Schneeberger zu den mehr oder weniger betroffenen Herren durch, um die neuen Aufsichtsratsbezüge zu avisieren: „Herr Staatsminister Jaumann, der neue Diätenscheck ist wieder aufgekommen“, „Herr Streibl, es is wieder amal soweit, gell, ham S’ schon drauf gewartet, ja.“ Bei Ex-Ministerpräsident Goppel kam sie nur bis zum Vorzimmer: „Der Dr. Goppel weiß scho, was ihm zusteht.“
Die „mark- und seelenerschütternde Satire“, vermutete die „Süddeutsche Zeitung“ hinterher, wurde in der ganzen Republik als „hohnlachendes Furioso“ empfunden. Jedenfalls schlug der kurzweilige Kanal-Sketch erheblich mehr Wellen als das ebenfalls in der vorletzten Woche veranstaltete mehrtägige Hearing im bayrischen Landtag über Nutzen und Nachteile des umstrittenen Kanals.
Langeweile über die Hildebrandt-Sendung, die selbst Axel Springers „Hörzu“ als „satirisches Glanzstück“ empfand, kam auch in der CSU-Vorstandssitzung am Montag voriger Woche nicht auf, nur: Zum Lachen fanden sie die Mitglieder der Landesleitung alle nicht. Der Parteichef sprach von „politischer Giftmischerei“ und „Verwilderung des Medien-Journalismus“. Strauß: „Wir müssen in der Sache kräftig nachfassen.“
Dienstag dann kam das Kabarett auch noch auf die Tagesordnung des Kabinetts. Der Ministerpräsident wurde beauftragt, Protestbriefe gegen das Stück, in dem „der Rhein-Main-Donau-Kanal in seinem ganzen Widersinn, das Lobbygeschrei drumherum … herrlich aufgespießt“ wurden („Hörzu“), an den ARD-Vorsitzenden Reinhold Vöth und an den Intendanten des Senders Freies Berlin, Wolfgang Haus, zu formulieren.
„Bei allem Verständnis für Karikatur, Satire und Kabarett“, so schimpfte der Landesherr, sei solche „verleumderische und bösartige Ehrabschneidung“ einfach „unerträglich“ und „skandalös“. Unter dem „Deckmantel der Satire“ sei eine „wahre Fülle von falschen Tatsachenbehauptungen in die Welt gesetzt“ und „der Kanalbau als Idiotie des Jahrhunderts“ abgetan worden. Schlimmer noch: „Wie ein roter Faden“ habe sich der „Verdacht der passiven Bestechung“ von bayrischen Ministern durch die Sendung gezogen.
Mit dem „empörenden Vorfall“ müssten sich, so Strauß, der Rundfunkrat des Bayern-Senders, die zuständigen Gremien der ARD und der anderen Rundfunkanstalten befassen, vielleicht sogar, wie CSU-General Stoiber drohte, die Staatsanwaltschaft.
Das hatte Wirkung. Wenn die ARD-Satire nicht mehr „gemeinschaftsverträglich“ sei, drohte Intendant Vöth letzten Donnerstag den Kollegen vom Berliner Kanal, müsse sich der Bayern-Sender künftig aus dem „Scheibenwischer“-Programm „ausschalten“. Zumindest verlangt der beleidigte Parteichef in seinen Briefen eine Richtigstellung der Satire „an gleicher Stelle durch einen Sprecher der verantwortlichen Anstalt“ (Strauß).
Vielleicht wird der Wunsch des Ministerpräsidenten in Erfüllung gehen, wenn auch in anderer Form, als er sich das vorstellt.
Der Satiriker Gerhard Polt („Warum sich die alle so aufregen, dös wundert mi“) hätte, ebenso wie das gesamte „Scheibenwischer“-Team, gegen eine Zugabe nichts einzuwenden. Polt: „Das wäre sicher eine prächtige Gegendarstellung.“
Der Spiegel 4 vom 25. Januar 1982, 163.