Materialien 1982

Sturm am Kanal

Medien und Kultur werden Spielbälle der schwarzen Mehrheit

Zunehmend sah sich Franz Josef Strauß kritischen Kommentaren der Medien ausgesetzt – und infolge dessen spürten die Medien einen verstärkten Druck von Seiten der CSU-Machthaber. Diese gaben gern der „Hamburger Magazin-Mafia“ die Schuld am Scheitern der Kanzlerkandidatur des Parteivorsitzenden. Auch der Autor dieses Buches, damals Münchner Korrespondent auswärtiger Zeitungen, erfuhr Unmut aus der Lazarettstraße: Wegen eines Berichtes übermittelte Strauß persönlich dem Chefredakteur der „Saarbrücker Zeitung“ eine Beschwerde, die dieser aber, obwohl der CDU nahestehend, zurückwies. Sogar der betont konservative „Münchner Merkur“ passte der konservativen Partei wegen einiger kritischer Kommentare überhaupt nicht mehr. Dem Chefredakteur Paul Pucher und dem Landtagsberichterstatter Rudolf Lambrecht wollte Strauß, wie er auf einer Weihnachtsfeier seiner Fraktion drohte, „das Handwerk legen“. Ins Visier der Hardliner gerieten außerdem Fernsehen, Kabarett, Theater und Kunst. Aus den gegebenen Anlässen lud die Evangelische Akademie Tutzing zu einer Tagung „Pressionen auf die Presse“.

Auch in diesem Jahr werde die Staatsregierung auf die Entwicklung der Medienlandschaft ein besonderes Augenmerk legen, verkündete Franz Josef Strauß am 20. Januar 1982 im Antiquarium der Residenz vor 700 aus ganz Bayern geladenen Journalisten; Verlegern und hohen Repräsentanten der Politik. Ihnen allen entging an diesem Abend, wie umgekehrt ein Medium, das Fernsehen, sein besonders kritisches Augenmerk auf höchste Vertreter des Freistaats legte.

Anderntags freilich konnten die Betroffenen per Video-Aufzeichnung nachschauen, was Dieter Hildebrandt und Gerhard Polt, damals wohl Deutschlands bissigste Kabarettisten, über den Sender Freies Berlin den bayerischen Ministern Anton Jaumann, Max Streibl und Alfred Dick sowie dem ehemaligen Ministerpräsidenten Alfons Goppel und anderen hochkarätigen Herren nachgesagt hatten: Sie kämpften als Mitglieder des Aufsichtsrates des gegenwärtig so heiß umstrittenen Rhein-Main-Donau-Kanals mit unsauberen Mitteln um dessen teure Vollendung und nähmen dafür „Diätenschecks“.

Nun entging den Kritisierten und ihren Parteifreunden offenbar, dass es sich nicht etwa um eine Dokumentation, sondern um blanke Satire handelte, die nach der Definition Tucholsky „alles darf“. Nach anfänglichem Zögern („Die paar hundert Mark Diäten sind wirklich nicht der Rede wert“) verlangte Dienstherr Strauß vom ARD-Vorsitzenden Reinhold Vöth eine „Richtigstellung“. Auch wollte die CSU diese „Scheibenwischer“-Sendung wieder einmal vor den (bayerischen) Rundfunkrat bringen, nachdem sie dort zuletzt gegen den ebenso satirischen Achternbusch-Film „Servus Bayern“ erfolgreich interveniert hatte.

Sogar „rechtlich“ wollte Generalsekretär Edmund Stoiber1 , der sich in Medienfragen immer schon gern als Experte und als Scharfmacher hervorgetan hatte, gegen die „nicht unter das Kunst-Privileg fallende politische Rufmordkampagne“ vorgehen, der er außerdem noch „schlechten Journalismus“ bescheinigte. Und der Fraktionsvorsitzende Gustl Lang schlug, seinerseits satirisch aufgeladen, die bösen Buben Polt und Hildebrandt für Lembkes Berufsratespiel vor: als „professionelle Rufmörder“.

Hingegen hielt der sanftmütige Wirtschaftsminister Jaumann seine linke Wange hin: „Wer Lust hat, mich zu verleumden, darf das tun.“ Wenig Lust an rechtlichen Schritten zeigte auch der Justitiar der betroffenen Kanalbaugesellschaft: „Seit Ludwig Thomas Zeiten hat die Satire immer gegen Justitia gewonnen.“ (Was allerdings gerade im Fall des wegen Beleidigung von Sittlichkeitsvereinen eingekerkerten Thoma keineswegs stimmt.)

Nun wäre die ganze Kanal-Affäre vielleicht doch nur ein Faschingsthema, hätte nicht die CSU, und hier besonders das Duo Strauß/Stoiber, zur damaligen Zeit die „Entwicklung der Medienlandschaft“ nicht nur des bundesdeutschen Fernsehens (das man in München ohnehin für einen „roten Kanal“ hält) in der Tat mit „besonderem Augenmerk“ belegt. Schon geraten auch andere mediale Kanäle ins Schussfeld.

Da wurde auch hineinregiert ins staatliche Residenztheater, wo ein Rudolf Noelte, der als Favorit der Strauß-Familie gilt und durch seine Disziplinierungspläne das Ensemble verschreckt hatte, als künftiger Intendant gehandelt wurde, obwohl sogar Kultusminister Hans Maier schon eine gewisse „Besorgnis“ geäußert hatte. Da drohte Strauß mit einem bayerischen Alleingang bei der Nutzung neuer Medien, insbesondere des Kabelfernsehens, in das die Führung des Freistaats, gleichsam als Pendant zum unbequemen Fernsehen heutiger Prägung, große Hoffnungen setzte und 35 Millionen Mark investieren mochte. Durch Äußerungen zum Beispiel über Autoren habe Strauß ein Verständnis von Kunst offenbart, ja zur „verinnerlichten Richtlinie“ gemacht, das dem Menschen die heile Welt vorspiegele, meinte die FDP-Abgeordnete Ursula Redepenning2 . Dieses Verständnis schlug nicht nur in der Kulturverwaltung des Staates, sondern offenbar auch in anderen verantwortlichen Kulturkreisen der CSU durch. In der Landeshauptstadt etwa, wo die „Liberalitas Bavariae“ auch unter nunmehr schwarzer Herrschaft3 immer noch hochgehalten wurde.

So verweigerte der Bürgermeister Winfried Zehetmeier, der sich in seiner Freizeit selbst künstlerisch betätigt, dem Münchner Autor August Kühn („Die Vorstadt“) bei der Verleihung eines Literaturpreises den Handschlag, weil Kühn in seinem früheren Buch „Die Affären des Herrn Franz“ den Ministerpräsidenten „massiv beleidigt“ habe. So versuchte die Mehrheitspartei, die bislang weltoffene, progressive Kunstpolitik der Städtischen Galerie durch eine Ankaufskommission von CSU-Gnaden zu gängeln. In beiden Fällen musste der parteilose Kulturreferent Jürgen Kolbe abblocken.

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1 1993 – 2007 Ministerpräsident, heute Ehrenvorsitzender der CSU.

2 Nach der Wahl im Oktober 1982 schied die FDP erstmals aus dem Landtag aus.

3 Seit 1978 war Erich Kiesl (CSU) Münchner Oberbürgermeister.


Karl Stankiewitz, Weißblaues Schwarzbuch. Skandale, Schandtaten und Affären, die Bayern erregten, München 2019, 216 ff.

Überraschung

Jahr: 1982
Bereich: Zensur

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