Materialien 1984

Quer durch den Gemüsegarten

Alternativprojekte unter sich

Anfang April trafen sich im Cafe Ruffini knapp dreißig alternative Projekte aus München und Umgebung. Ein Novum in der hiesigen Szene. Ziel des Abends war es nicht nur, sich gegenseitig zu beschnuppern und kennenzulernen, vielmehr ging es auch darum, eine stärkere gemeinsame Zusammenarbeit in die Wege zu leiten. Eine Selbstorganisation etwa in einem „Projekte-Rat“ lässt vorläufig allerdings noch auf sich warten. Der gemeinsame Konsens der Alternativgruppen und Kollektivbetriebe erschöpfte sich vorläufig in einer Vertagung der Diskussion auf den 13. Mai, diesmal in der Gaststätte „Zum Kloster“ in Haidhausen.

Da sich die Gruppen untereinander bisher kaum kannten, stand als erster und wichtigster Tagesordnungspunkt eine gegenseitige Vorstellung auf dem Programm. Und hier zeigte sich für mich, welch erstaunliche Spannbreite an Aktivitäten und Formen von den alternativen Gruppierungen abgedeckt wird. Vom Elektrokollektiv bis zur Schäfereigenossenschaft, vom Rikschafahrer über die Frauenoffensive bis zu Gewaltfreien Aktion war quer durch den alternativen Gemüsegarten so ziemlich alles vertreten.

Natürlich waren auch die Grundsäulen der Münchner Alternativszene dabei: Standardeinrichtungen wie etwa Werkhaus, BLATT, Netzwerk oder die Buchhandlungen Basis und Adalbert 14 oder Szenelokale wie Tagöll und Cafe Stöpsel. Sie behaupten sich teilweise schon seit vielen Jahren als Betriebe, die nicht nur Alternatives bieten, sondern auch von ihrer inneren Struktur her kollektiv organisiert sind.

Alternativprojekte, Kollektive – Schlagworte – doch was steckt dahinter? Das Treffen im Ruffini hat darauf mosaikartig eine Reihe von Antworten gegeben. Die Ansätze für die einzelnen Projekte sind unterschiedlich, lassen sich aber nicht streng voneinander trennen. Bei manchen liegt der Schwerpunkt mehr auf den Inhalten, bei anderen mehr auf der alternativen Betriebsform. Hier ist die Firma ohne Chef die Grundidee. Ein gleichberechtigtes Zusammenarbeiten mehrerer Leute bei gleichem Lohn und Mit- spracherecht. Das Metier selbst mag durchaus etabliert sein.

Die Haidhauser Kistler (siehe HN 9/83) sind dafür ein schönes Beispiel. Seit knapp sechs Jahren führen sie in der Pariserstraße eine Schreinerei, haben einen Meister und einen Lehrling und können sich so zu dritt ganz gut über Wasser halten.

Oder die JAG , die „Journalistische Arbeitsgemeinschaft“, zum Beispiel. Sie existiert erst seit ca. einem halben Jahr. In ihr haben sich drei Journalisten aus verschiedenen Bereichen und mit unterschiedlichen Berufserfahrungen zu einem Kollektiv zusammengeschlossen. Ihr erstes Ziel: eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen gegenüber der üblichen schlechten Situation als freie Journalisten.

Das zweite Ziel der JAG, von den Aufträgen der bürgerlichen Medien unabhängiger zu werden, ist vorläufig jedoch noch nicht zu realisieren. Inhaltliche Schwerpunkte wie ökologische Themen, Stadtentwicklung oder Spekulation können die Arbeitsgruppe allein bisher leider noch nicht ernähren.

Ein anderer Ansatz für Alternativbetriebe liegt in der Herstellung von ökologischen Produkten und der Umsetzung alternativen Lebensverständnisses. Der Erdgarten z.B. war vor sieben oder acht Jahren einer der ersten Naturkostläden in München. Ziel ist der Verkauf biologischer Lebensmittel, und „da gehört mehr dazu, nicht nur Ware über die Theke zu schieben“. Angefangen hat es mit Obst- und Gemüseverkauf aus der Kiste heraus, und „heute läuft der Laden“.

Ähnlich orientiert ist KOBACK. „K“ steht für Kollektiv, „0“ für ökologisch, und gebacken wird Brot aus frisch gemahlenem Getreide. Die neun KOBACKler, davon sechs Frauen, sind allesamt Studenten. Sie haben vor etwa einem Jahr einen gestandenen Bäckermeister gefunden, der sie in den freien Stunden in seiner Backstube arbeiten lässt.

Ihre Idee ist nicht nur, einen kollektiven Betrieb bei gleichem Stundenlohn und gleicher Verantwortung zu führen. Sie haben auch einen politischen Anspruch und wollen den Leuten zeigen, „was uns an unserem Wirtschaftssystem nicht gefällt“.

Auch der Vertrieb unterscheidet sich von der heute üblichen Brotindustrie. Gebacken wird nur auf Bestellung und bei Abnahme von mindestens fünf Kilo. Das Stichwort heißt „Direktvermarktung“; das Brot wird ins Haus geliefert. Ein Tip für Haidhauser: KOBACK-Brot wird im Cafe Stöpsel serviert.

„Recycling von Energie und Abfall“ oder kurz REA nennt sich eine alternative GmbH, in der drei Ingenieure und ein Biologe zusammenarbeiten. Sie beschäftigen sich mit der Planung und Installation von Sonnenkollektoren und energiesparenden Heizungen. Ferner haben sie ein Forschungsprojekt in Vorbereitung, mit dem sie die Herstellung von Biogas aus Haushaltsnassmüll demonstrieren wollen.

Allerdings sind die REA-leute mit ihren Vorstellungen der Zeit noch weit voraus. So hatten ihre Planungen für eine dezentrale Entsorgung der künftigen Trabantenstadt Freiham beim ausgeschriebenen Wettbewerb keine Chance.

Oder ein anderes, sicherlich vielen bekanntes Aus-Alt-Mach-Neu-Projekt: das Radl-Recycling in der Amalienpassage Den Laden gibt es seit ca. vier Jahren. Zur Zeit ist der Dieter allein und sucht weitere Mitarbeiter. Das Ein-Mann-Projekt empfindet sich zwangsweise als „kleinstes Kollektiv Münchens“. Grundgedanke der Radlwerkstatt: „Alte Fahrradteile, die noch Qualitätsarbeit waren, sind zum Wegwerfen einfach zu schade. Die heutigen Räder sind spätestens nach zwei Jahren Schrott.“

Kollektive können auch noch mehr bedeuten. Aus dem Zusammenarbeiten entwickelt sich mitunter das Zusammenleben. So sehen sich etwa die Leute vom Papyrus in Augsburg schon seit einiger Zeit nach einem eigenen Haus um, um dieses Prinzip in die Realität umzusetzen.

Die vier „Jungunternehmer“ verarbeiten Umweltschutzpapier und vertreiben es im Einzel- und Großhandel, hauptsächlich an Initiativen, Naturkost- und Dritte-Welt-Läden. Ihre ersten Anfänge habe ich vor fünf Jahren in der Augsburger Altstadt – gleich um die Ecke – selbst miterlebt: Kopieren auf Umweltschutzpapier – damals war’s noch was Neues.

Auch in der Schäfereigenossenschaft Finkhof im Allgäu wird nicht nur gemeinsam gearbeitet, sondern auch gemeinsam gelebt. Rund dreißig Leute, darunter Jugendliche und Kinder, wohnen auf dem Finkhof. Seit etwa acht Jahren besteht die Schäferei – angegliedert sind eine Spinnerei, ein Laden, eine Kneipe und eine Schreinerei.

Im Finkhof macht man gemeinsame Kasse: „Jeder nimmt sich raus, was er braucht.“ Da läuft dann auch politisch noch einiges mehr: Zwei Finkhofler sind zur Zeit als Brigadistas in Nicaragua.

Ein anderes landwirtschaftliches Kollektiv ist der Schwarzer-Stern-Hof, ein Betrieb mit 12 ha Fläche am Starnberger See. Zwei Leute und eine Praktikantin bauen dort biologisch dynamisch Obst und Gemüse an. Hauptprodukt ist allerdings Milch.

Der Schwarzer-Stern-Hof war das erste Projekt. das vom Münchner Netzwerk gefördert wurde. Die Grundsätze der alternativen Landwirte sind, Boden und Tiere nicht auszubeuten, Produkte von hoher Qualität herzustellen und diese auch direkt zu vermarkten. Und das funktioniert über den Haidhauser Milchring beispielsweise seit fünfeinhalb Jahren.

Der Milchring ist ein Zusammenschluss von einigen Wohngemeinschaften in Haidhausen, die beim Schwarzer-Stern-Hof gemeinsam einkaufen. Ein-, zweimal die Woche wird dort die frische Milch abgeholt. Die Organisation liegt beim Milchring selbst.

Überhaupt kann Haidhausen einiges an alternativen Strukturen und Projekten vorweisen. Neben den Kistlern, die ich schon .erwähnt habe, existieren hier z.B. drei Gaststättenkollektive.

Das älteste ist das 1978 entstandene Cafe Stöpsel. Es wurde seinerzeit von vier Mitarbeitern unserer Zeitung ins Leben gerufen. Die ursprüngliche Idee, mit dem Cafe ein Kommunikationszentrum für die Bevölkerung zu schaffen, dürfte – zumindest für die jüngeren Haidhauser – mit dem Stöpsel gelungen sein. Sogar amtlicherseits ist das „Etablissement“ als Angelpunkt politischer Aktivitäten „anerkannt“. Zur Zeit besteht das Kollektiv aus sieben Teilhabern und drei freien Mitarbeitern.

Etwas andere Konstellationen im Kloster , der Kneipe in der Preysingstraße. Sie ist seit 1980 von drei Leuten gepachtet. Dazu kommen fünfzehn mehr oder weniger feste Mitarbeiter. Die achtzehnköpfige Mann-/Frauschaft trifft sich einmal im Monat zur Kneipenbesprechung. Bei der Diskussion über Arbeitspläne, Lohnsystem, Investitionen, Speisekarte oder Preisgestaltung haben alle gleiches Mitspracherecht.

Auch das Keyno, das vegetarische Restaurant in der Milchstraße, ist kollektiv organisiert. Fünf Leute arbeiten dort bei gleichem Einkommen, alle sind sozial- und krankenversichert. Mit der personellen Erweiterung hat es allerdings Schwierigkeiten gegeben. Zusätzliche Mitarbeiter sind bislang lediglich angestellt.

Natürlich gibt es in Haidhausen auch noch Sponton . Die „Schwarzarbeit-Millionäre“ existieren in München seit sechs Jahren und teilen sich in drei Betriebe auf: Die Westendler, die hauptsächlich Waschmaschinen reparieren, dann die Tontechniker und letztlich die Fernsehreparateure aus der Breisacherstraße. Die Haidhauser Crew ließ sich im Ruffini allerdings nicht blicken. Als „Spezialisten für Kabelfernsehanlagen“ – wie sie sich in Anzeigen nennen – dürften sie das alternative Feld wohl freiwillig geräumt haben.

In seiner Offenheit hat mich vor allem der Diskussionsbeitrag der Ina vom Basis-Buchladen beeindruckt. Die Basis, rechtlich eine GmbH, ist ein Kollektivbetrieb von sechs Leuten. Er besteht – wohl ein Ausfluss der 68er Bewegung – schon seit zwölf Jahren. Ina sagte klar: „Wir wollen in erster Linie einen guten Buchladen machen – die politischen Intentionen sind schon lange nicht mehr klar. Wir versuchen weder etwas vorzuleben noch andere Leute damit anzustecken.“ Trotz einem Schuss Understatement eine angenehm nüchterne Selbsteinschätzung. „Dass es ökonomisch schwierig läuft, ist bei uns ein Dauerzustand, und das ist wohl auch etwas, was uns mit den Alternativen verbindet.“ Auch die kollektive Betriebsform ist für Ina nichts Herausragendes: „Das ist bei uns so Umgangsform geworden.“

In der eigentlichen Diskussion war – nach dem fast zu guten Abendessen im Ruffini – erstmal die Luft raus. Ursprünglich wollte man ja Probleme austauschen, Kontakte knüpfen und vor allem eine gemeinsame politische Linie in Angriff nehmen. Die Bildung einer Selbstorganisation, eines „Projekte-Rates“ stand als Thema im Raum.

Hintergrund ist dabei die aktuelle kommunalpolitische Situation. Sowohl Grün-Alternative als auch die SPD sollen sich vor der Stadtratswahl für eine finanzielle Unterstützung von Alternativprojekten ausgesprochen haben. Was Wunder, dass da nun mancher unverhohlen nach der „Staatsknete“ schielt.

Wie sich zeigte, gehen bei diesem Thema die Meinungen weit auseinander. „Wir wollen nicht a la Raiffeisen-Netzwerk von oben organisiert sein“, die einen. Die anderen hoffen auf eine stärkere Vernetzung und damit mehr politische Aktivität in München.

Ein geregelter Informationsaustausch und das Interesse, über die einzelnen Projekte hinweg langfristig zusammenarbeiten zu wollen, ist für sie ein Minimalkonsens, „sonst darf man sich nicht alternativ nennen.“ Provokante Schlussfrage eines Redners: „Wollen wir nun eine Revolution oder wollen wir nur noch politisches Überlebenstraining machen?“

Kurt


Haidhauser Nachrichten 5 vom Mai 1984, 3.